Wäre es einfach, einen Parteisoldaten ins Offene zu locken, es geschähe alle Tage. Da es aber nicht so einfach ist, geschieht es nicht alle Tage, es geschieht, ehrlich gesagt, an kaum einem Tag im Jahr, und wenn es dennoch geschieht, dann beansprucht es nicht Tage, Wochen oder Monate, es beansprucht den ganzen Menschen, es beansprucht all seine Zeit, es beansprucht sämtliche Sprachen des Kontinents, und das alles ohne den geringsten Anspruch auf Erfolg, denn genau diesen Anspruch wird der Parteisoldat ewig bestreiten. Er befindet sich in der ausgezeichneten Position dessen, der sich wenig bewegen muss: Die Partei leistet ihm Schützenhilfe, soll heißen, sie beliefert ihn mit der Munition, deren Nutzlosigkeit ihm die andere Seite ein ums andere Mal demonstriert, derweil er nur die passende Lücke abwartet, um die nächste Salve abzufeuern. Warum eine solche Position verlassen? Dafür gibt’s keinen Grund, es sei denn, ein unwiderstehliches Bedürfnis bemächtigte sich seiner und triebe ihn hinaus ins freie Feld – welches Bedürfnis könnte das sein, die Eitelkeit des Argumentierens einmal abgerechnet, das doch immer gezinkt bleibt? Dieser hier hat, sagen wir, seinen Verstand vor dreißig Jahren, sagen wir, suspendiert, das ist ein gutes Wort, denn suspendiert sehen möchte er, ganz der augenblicklichen Diktion seiner Partei folgend, jeden, der die Parteilinie verlässt – überhaupt ist er ein Kenner der roten Linien, der gesellschaftlichen Stolperdrähte geworden und er verlangt radikale Suspension. »Raus!« brüllt sein Sinn für gesellschaftliche Proportion, »der Kerl gehört raus! Niemand hat die Absicht, Zwangsimpfungen einzuführen. Das ist doch krank!« Er ist ein Fanatiker der Freiheit, der Gute, er kennt sich aus in der Freiheit der Andersdenkenden und findet, sie gehöre an der Wurzel behandelt, dort, wo sie schmerzt. Welches Bedürfnis könnte so einen hinaustreiben in die Gefilde der Deliberation? Wir geraten hier auf das schwierige Feld der persönlichen Freiheit, raunt der Theoretiker und zieht die Nase hoch, schuldbewusst, wie es die Zeitläufe nun einmal mit sich bringen: Ist die Freiheit weg, dann verheddert sich der Parteimensch, denn die Freiheit, seine Mitmenschen zu kujonieren, ist doch das Letzte, das ihn in der Partei hielt, und es streift schon das Unerhörte, wenn er selbst dabei unter die Räder kommt. Dennoch ist er gewillt, das alles zu schlucken, schließlich hat es Räson, Parteiräson, und einer anderen bedarf er nicht. Also braucht es wohl oder übel andere Akteure, die mit ihm so oder so verbunden sind, gleichgültig, wie er sich dreht und wendet: Partner, Kinder, Eltern, Freunde, Nahestehende, Identifikationsfiguren – geraten sie in Bedrängnis, dann, ja dann vielleicht, rührt sich das kleine korrupte Ego, das eifrig verspricht, die Dinge ins Lot zu bringen, schließlich ist man nicht irgendwer … und wenn das versagt … wenn das versagt wird … was kommt dann, langsam, in zähen Schüben, an die Oberfläche? Der Mensch? Der Tyrann? Der aalglatte conformista? Wer immer da nach vorn drängt, er hat einen schweren Start und einen noch schwereren Stand, denn er steht für nichts, er steht nur vor etwas, denn etwas schiebt ihn vor, schiebt ihn als Bollwerk vor sich her, als eines, das leider zusammengebrochen ist, denn anders … anders wäre der Weg ins Freie nun einmal nicht zu bewältigen. Der Parteisoldat ist so lange am Drücker, bis er Druck bekommt. Dann braucht er Verständnis, die kleine Schwester des Verstandes, dem er so ausgiebig zu widerstehen verstand und der jetzt, gerade jetzt, an seiner selbstgesetzten Aufgabe zu zweifeln beginnt.