Die Sinnigen richteten einst ein Fest aus und die Unsinnigen wollten daran teilnehmen. »Aber das ist doch ganz unsinnig«, sträubten sich die Sinnigen, »das ist nun einmal ein sinniges Fest und es liegt in unserem Sinn, allem Unsinnigen abhold zu sein.« »Das ist in der Tat unsinnig«, erwiderten die Unsinnigen. »Schließlich gehören wir zur Familie und wo Sinn herrscht, da geschieht Unsinn, das ist der Lauf der Welt.« »Oh ihr Unsinnigen!«, riefen die Sinnigen wie aus einem Mund. »Wenn wir jeden Unsinnigen teilnehmen ließen, wie schnell ginge da der Sinn des Ganzen verloren.« Die Unsinnigen aber lachten und sprachen: »Habt ihr denn jeden Sinn für das Rechte verloren, dass der kleinste Unsinn euch in die Irre führt? Wie unsinnig ist das denn? Am Ende seid ihr die Unsinnigen und wir sind die wahren Hüter des Sinns.« Daraufhin schwiegen die Sinnigen. Insgeheim aber hielten sie eine Versammlung ab, in der sie beschlossen, dem Unsinn kein Gehör mehr zu geben, bei Strafe der Gehörlosigkeit.

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»Träum weiter«, spricht die Hexe, »wer auf dem richtigen Holzweg ist, kommt bald an einen tüchtigen Fuhrpark. Ersichtlich haben wir es hier mit zwei Teilbevölkerungen A und B einer Gesamtbevölkerung G zu tun. Über die Gesamtbevölkerung ist uns, den aktuell Lesenden, nichts weiter bekannt. Zweifelsfrei kann aus den vorhandenen Informationen allein erschlossen werden, dass sie existiert. Nicht erschlossen werden kann, ob A + B = G. Das mag sich so verhalten oder auch nicht. Wen juckt’s? Es verbleibt im Raum bloßer Spekulation. Was wissen wir über A und B? Nun, sie existieren, das heißt, es handelt sich um Größen in Zeit und Raum. Oder nicht? Genaues wissen wir auch hier nicht. Gäbe es eine Existenz im bloß Geistigen? Die einen sagen so, die anderen so.

Keinem Zweifel kann hingegen unterliegen, dass sie miteinander kommunizieren. Es handelt sich also um kommunizierende Instanzen, im Folgenden ›Kommunikatoren‹ genannt, um zwei vollkommen disjunkte Gruppen von Kommunikatoren, um genau zu sein, wie gesagt, um A und B. Die Vorsilbe ›Un-‹, die sie trennt, ist eben der Disjunktor. Das weiß jeder, der sich irgendwann einmal mit der Materie befasst hat. Es gibt also ein logisches Vorwissen, das wir in die kurze Erzählung, manche dürften es ein Märchen nennen, einbringen. Das zu wissen wiederum ist Interpretenwissen, das nicht in jedem Fall eines einfach Lesenden vorausgesetzt werden darf. Der einfach Lesende ist, der Klarheit wegen sei es hier formuliert, der generelle Leser, insofern es ihn einfach gibt.

Der einfach Lesende steht vor einer einfachen Alternative. Er muss sich entscheiden: Handelt es sich bei diesem Text um einen sinnigen oder um einen unsinnigen? Bei den Antworten tippen wir mal auf ein Verhältnis von 20 zu 80 Prozent. Warum das so ist? Nun, es handelt sich um ein Verhältnis, das sich generell in der Bevölkerung findet. 20 Prozent bilden immer und überall eine kritische Masse. Den Rest können Sie vergessen. Wenn 20 Prozent der Auffassung sind, dass morgen der Strom abgestellt wird, dann gehen 80 Prozent hin und kaufen Batterien. Hinter diesem Bombengeschäft stecken natürlich 20 Prozent der erwähnten 20 Prozent.

Und hier beginnen die Schwierigkeiten. Denn es ist nicht zu begründen, dass diejenigen, die von einem Unsinn profitieren, auch an ihn glauben. Ausschließen lässt es sich nicht, aber es bleiben Zweifel. Manchmal ist Glauben gut für den Profit, manchmal nicht. Das liegt am Profit, aber auch am Glauben. Profiteure, die ihre Sache gut verstehen, glauben anders als ihre nicht profitierenden Artgenossen. Sie glauben gewinnbringender, um es vorsichtig auszudrücken. Das heißt, ihr Glauben ist versatil und passt sich den Gegebenheiten rechtzeitig an. Im Prinzip gilt das auch für die Nichtprofiteure, aber eben nur im Prinzip. In der Praxis sind die Unterschiede gewaltig. Dann jedoch … wären auch die zuerst erwähnten 20 Prozent keine zwanzig Prozent und die anderen folglich auch nicht. Wo bleibt da die Sicherheit?

Um auf die kleine Erzählung zurückzukommen: Unsere Frage lautet nicht, wer sind die Unsinnigen? Man kann sie stellen, aber sie ist unsinnig. Die richtige Antwort (es gibt auch eine falsche) lautet: Sie sind selbsterklärend. Die Sinnigen hingegen erklären sich durch einen Ausschluss. Sie sind diejenigen, die mit den Unsinnigen nichts zu tun haben wollen. Gerade dadurch kommt der Unsinn ja in die Welt. Damit sind die Unsinnigen als Verwandtschaft enttarnt und bereits mitten unter den Sinnigen, die nichts weiter können als den Unsinn zu verzapfen, dessen Ausschluss sie beschlossen haben. Will uns das der Text sagen? Keineswegs. Sonst stünde es ja genau da, wo der Text steht. Es steht aber hier, wo es nicht hingehört.

Andererseits: Ein Einwand ist das nicht. Vieles steht da, wo es nicht hingehört, und müsste dort stehen, wo es nicht steht. Zum Beispiel müsste eine Regierung dort stehen, wo der Feind steht, schon aus Gründen der Gefahrenabwehr. Sie steht aber in Feindesland und das ist ein gewaltiger Unterschied, jedenfalls dann, wenn es sich beim Feind um die zwanzig Prozent handelt, auf die es im Lande ankommt, zum Beispiel die produzierende Klasse oder die wählende Klasse oder die urteilende Klasse. Ihnen allen sagt sie: ›Hört auf mit dem Unsinn!‹ Der Unsinn ist aber just das, was all diese Klassen sind. Ihnen ruft sie demnach zu: ›Verschwindet! Verdünnisiert euch!‹ Allerdings sagt sie nicht, was passiert, sollten die Angesprochen ihrem Rat folgen. Zum Glück für die Wenigen ist das kein Rat, sondern ein Befehl und zwar ein unsinniger.

Was für Regierungen gilt, gilt, wie im Märchen, für jedermann. Die Unsinnigen sind die Unsinnigen und die Sinnigen haben, wie überall, in diesem Spiel schlechte Karten. Sie stehen nur jedesmal obenan. Zum Glück muss, wer oben steht, auch wieder herunterkommen. Der Sinn der Sinnigen ist die Fallhöhe. Die Fallhöhe ist der Abstand, welcher die Sinnigen von den Unsinnigen trennt. Es macht Sinn, sagen die Leute. Wirklich weiß keiner genau, wie der Sinn in den Unsinn hineinkommt. Denn der Unsinn ist das Gegebene und der Sinn ist das Genommene. Viele nehmen sich etwas heraus, aber wenige geben etwas hinein. Trotzdem bleibt das Maß des Unsinns immer voll. Die Hüter den Sinns aber sind die Unsinnigsten von allen. Sie sind die 20 Prozent der 20 Prozent, deren Prozentzahl nicht zu ermitteln ist, weil sie sonst nicht die wären, die sie sind. Wie das? Es liegt am Spiel, genauer gesagt, an den Karten, vor allem den schlechten, also denen, die sich am leichtesten voraussetzen lassen, weil die schlechte Voraussetzung dabei evident ist. Sie ist auch nicht wirklich schlecht, sondern windig. Darin liegt schon der Unterschied, aber ein klitzekleiner. Ich, Hexe XYZ, gehe jetzt und mische die Karten neu.«