In memoriam Jacques Hamel
Das Vergessene kehrt sich um.

1

»Und fast ein Mädchen wars und ging hervor...« – Wer ist
der Orpheus, der aus dieser Zeile spricht? Ein Mensch?
Ein Halsabschneider, dem das warme Blut
aus fremder Kehle den Gesang betört,
als sei der Glaube kostbar nur, der stößig
am Leben sich vergeht, das leben will
und offen ist für alles, was
auch lebt und sich maskiert, selbst wenn es innen
bloß geiler Drang ist, den das Messer juckt,
der stumme Gott des Hosensacks
ins Licht zuckt, wenn … das kurze Hirn
den Kraftschluss braucht, damit es rennen kann?

Wer immer diese Bürschchen zog (nicht dieses,
nicht jenes, ihresgleichen, zog ans Licht
als Waffe, an der Menschheit alte Gurgel
gehalten, für nichts, nur um
gefügig sie zu machen) –
wer diese Waffe zog: er ist der Feind, warum?
Weil seinesgleichen glaubt, dass gerade jetzt,
zu seiner Zeit, das neue Spiel beginnt –
in dem es Herrscher ist und alle Mitwelt Abfall:
billig zu brauchen, billig zu entsorgen,
in Schach gehalten von bekifften Schlägern,
dem tristen Anhang, dem der Pimmel schwillt,
wenn er sich brüsten kann, wo’s andern graut.

2

Der Dürftige: warum? Warum die Null,
die nie zu rechtem Handeln sich addiert,
auch wenn die Tat die Menschenhand entblößt,
die einfach so das Leben dieser vielen
in den Entwerter steckt, als handle sichs
um eine Karte, schnell erlöst, die Ost und West
und Süd und Nord verbindet, weil es Schienen gibt.
Wer baute sie? Wer reist auf ihnen? Wer
ist hier Betrogener, wer Fälscher? Was
läuft falsch, wenn dieser Falsche mitläuft,
dem es der Irrsinn eingab oder Zufall
oder die Geisterschrift im Netz der Netze
oder die eigene Leere, angefüllt mit Stroh
und Zunder. Er kennt die Hand nicht, die ihn lenkt,
das Hirn nicht, das mit Finsternis ihn schlägt.
Er kennt nur wenig. Doch davon viel.

3

Was sich durch Talkshows quatscht,
in hingeschobenen Sesseln rekelt, bis ans Kinn
mit Wortmüll angefüllt, im Hirn den Greifer,
der sich herausfischt, was er fallen lässt,
es kann nicht anders, denn es lässt sich aus,
wo es sich auslässt. Schuld ist sein Geschäft.
Das Unbeteiligte gibt sich beteiligt,
um seinen Teil beizeiten wegzuschaffen.
Sein Name ist Legion. Sein ist die Waffe
des Wortes. Sein das Schweigen. Sein
die Sicherheit und sein das Konto
des andern, Schuldsein ohne Schuld.
Nenn es das Böse, nenn es, wie du willst,
wenn das Geschlecht dich peinigt, nenn es ›Er‹ –
nein, lass es. Diesen nicht. Lass stecken, Er
tut nichts zur Sache. Es
tut nichts zur Sache. Diese Spur
verläuft im Sand, das Meeresrauschen
geht drüber weg.

4

Enthemmte Geiferer, einander
die Freundschaft kündigend
um eines Wortes, eines Worthalls willen,
um der Partei zu folgen, die bekanntlich immer…
ihr Recht verlangt, um das der andern
in jenen Grund zu treten, den sie sich herausnimmt
aus allen Gründen, heilig durch Beschluss,
der heute so ausfällt und morgen anders,
nein, immer anders, denn der Wind,
der ihre Schiffchen fortbläst, bläst
nicht erst seit gestern.

5

»Man hat
Verbrecher sich ins Land geholt und zieht
mit Lammsgeduld sich das Verbrechen an.«
Wer spricht’s? Was spricht? Was schweigt
im Sprechen? Sprache der Vernunft? Das Recht,
das im Gesetz sich bricht, damit es ausgelegt
als Boden durchgeht, auf dem steht, wer
stehen kann und liegt, wer fiel,
zu Fall gebracht – zu Fall! – durch das, was vorgeht,
als ging es hinter ihm, doch geht es vor.
Wer kein Recht hat, dem wird
die Stunde bitter, die ihn aufklärt. Wer eins
zu viel hat, der verlierts, sobald ers braucht,
und alle weitern blähen den Schmarotzer.
Verdorbenes Leben, seelenloses Spiel,
heißt man ein Spiel den freien Fall
in den Entzug. Frei fällt,
wer unfrei aufschlägt zum Entsetzen vieler.
Ein Kirmeslos entscheidet über Leben
und Tod, der billige August
rollt mit den Augen, bis ihm eins herausfällt
und er sich bücken muss, dann wird
der Boden heiß und alles rennt davon.

6

Wir – großes WIR, kein Ich, kein Du, wir
nehmen jeden, der zwei Silben murmelt,
ein Wort wie keins, auch das genügt zur Not,
und stecken faules Geld in shithole states.
Geübt im Wegfang, wenn der Laichplatz Menschen saugt
und die Potenten nach dem Norden drängt.
WIR nehmen jeden, der sich durchschlägt, was
beweist, dass er ein Mann ist, wie die Post
ihn brauchen kann oder der Bau. An solchen Orten
herrscht immer Mangel, nicht
am Konferenztisch, wo Bedarfe sich
in Kurven zeigen, unverschleiert, scheulos.
Am Bau ist jeder recht, der essen will
und hat den Griff. Ob am, ob im Bau, ist am Ende
nur eine Frage der Statistik
oder der Statik.

7

Man kann, was ist, nicht ungeschehen machen.
Man kann den Mond nicht von der Erde trennen,
man kann Europa nicht im Eismeer parken,
bis dass der Pulk vorüberzog, man kann nicht
Menschen in Lagern faulen lassen, nicht
wie Vieh verfrachten, bis ein Land
den Ort anweist, von dem sie, frei,
wie sie im Anspruch sind, doch nicht im Kern,
sich nicht entfernen dürfen, weil der Freigang
sich nicht mit dem Kalkül verträgt, das ihnen
den Weg gezeigt hat und das Ziel behübscht.
Man kann es nicht. Man kann sehr wenig. Wenig
ist fast zuviel. An dieses fast
erinnern viele. Fast zu viele. Zählt,
wer zählt? Ab welcher Zahl? Ein Pakt
soll, unterzeichnet, Wunder wirken.
Umstritten ist das Wo, es zieht
von Land zu Land, als sei es auf der Flucht.
Der Nabel
der Welt ist wund.


EX ACTA