Morbokratie = Herrschaft der Kranken, eigentlich der Krankheiten, da die Kranken eher als passive Erzwingungsmasse fungieren. Auch wer über Krank- und Gesundsein gebietet, sieht sich irgendwann zur Herrschaft berufen, nachdem die Differenz, unabhängig von klinischen Befunden, lange die politische Sprache beherrscht hat. Wenn die Politikerclique oder -kaste, die man gern, mit kritischem Unterton, die herrschende nennt, ihren Kredit bei der Bevölkerung weitgehend verspielt zu haben scheint, der Verdacht, nach Strich und Faden belogen und betrogen, vor allem aber ausgenommen zu werden, allgegenwärtig ist und kaum mehr diskutiert werden muss, dann bietet sich das Bündnis der Macht mit den Damen und Herren in Weiß, den Wächtern über Leben und Tod, als letzte Bastion an, um Herrschaft, abseits der Regierungsroutinen, überhaupt durchzusetzen. Und siehe da, es funktioniert. Nicht dass nicht auch der Ärzteschaft das Misstrauen der Leute entgegenschlüge (wenigstens derer, die sich im Wehwehchen-Alltag lieber der Kräutermedizin bedienen als den Segnungen der Wissenschaft zu vertrauen), aber die Furcht vor Krankheit und Tod, als Konstante des menschlichen Lebens, hält sie alle in Schach. Schon unter den karrierekritischen 68ern galten die medizinischen Berufe als sichere Bastion des guten Gewissens. Wer keine Legitimationsprobleme besitzt, soll irgendwann die der anderen lösen. Das klingt plausibel, deshalb steht die Biopolitik ganz selbstverständlich am Ausgang der massendemokratischen Epoche wie an ihrem Anfang. Ihr Auftritt allerdings hat sich gewandelt und die Methoden entsprechen selbstverständlich dem neuesten Stand der Wissenschaft. Das könnte, bei gehörigem Problemdruck, der Hamletisierung der Politik gehörig Vorschub leisten: Angesichts der Unsicherheit und Streitlust der Wissenschaftler verliert die klare Ansage ihre Eleganz und die geborgte Autorität verfällt, bei allzu großzügigem Umgang, rascher der Lächerlichkeit als das Outfit der Outrierten.

 

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