Leben und Tod: sie sind im Kerne Eins.
Rainer Maria Rilke
›Den Engel machen‹ – das ist so eine Phrase, mit der die Rilke-Forscher (und nicht nur sie) sich die Zumutung zuführen, über die Figur des Boten zu reflektieren, des Mittlers, der vielleicht nur ein Begleiter ist und vielleicht eher ein Begleiter der Menschheit als des Einzelnen, der nur sich will. Er lebt aber im Einzelnen auf, nicht im gesicherten Denken, sondern im ungesicherten, im übergänglichen Denken, gewissermaßen an den Gelenkstellen, an denen Fühlen, Denken, Gedachtes sich nur minimal unterscheiden, nicht voneinander loskommen und stattdessen Wirbel bilden. – So zu reden setzt schon Nietzsches Evangelium voraus, aber eben voraus, als Zielmarke, deren Aufgabe nun einmal nicht darin besteht, frontal gerammt zu werden wie in den populären Verweltungs-Programmen, die am Ende die Spritze brauchen, um den Patienten nicht zu verlieren, dem sie ewige Genesung versprachen. Rilke war populär als Dichter des sparsamen Überschwangs, er ist es nicht mehr, seit der Überschwang dem ganz normalen Exzess weichen musste. Seitdem ist es wieder möglich, an ihm zu lernen.
Dennoch: man nähert sich ihm nicht, es sei denn, man wurde dazu aufgefordert. So einer Aufforderung von befreundeter Seite verdankt sich der Essay, genauer, der zu Grunde liegende Vortrag, der seinerzeit in der Reihe der Tamkang Lectures erschien. Dort findet sich auch versteckt in einer Fußnote der Hinweis auf das daoistische ›Wu Wei‹: gewiss keine ›Quelle‹, aber doch ein Orientierungsraum für den, der verstehen will, ohne stehen zu bleiben oder darüber den Verstand zu verlieren.