Die Auseinandersetzungen, in denen Literatur entsteht, leben von Übersetzungen. Ideen, Konzepte, Sprechweisen, in ein anderes sprachliches, gedankliches, emotionales Milieu übertragen, gehen neue Verbindungen ein und erfahren ungeahnte Steigerungen. Der Gedanke drängt sich auf, dass die Wirkungen umso eindringlicher sind, je schärfer und prägnanter die Übertragung sich am Ausgangstext orientiert. Aber das gilt nicht im philologischen Sinn. Erst eine durchgearbeitete Sprach- und Vorstellungswelt erzeugt die Brechungen, an denen sich die Eigenheit des Entstehenden fixiert. Übersetzen heißt hier, dass nur Schemen die Existenz des jeweils anderen Ufers bezeugen. Wer Klarheit in solche Beziehungen bringen will, der geht notgedrungen über das hinaus, was sich unmittelbar wahrnehmen lässt: Er interpretiert.

Es fällt auf, dass Rilke in den Duineser Elegien einen geistigen Habitus in Szene setzt, der, um in der Theatermetapher zu bleiben, das existentielle Ringen mit dem Problem, das George hinter die Kulisse des lyrischen Verses verbannt, an die Rampe verlegt. In dieser Umgebung ist keine Überlegung – und sei sie schlagend –, imstande, den Reflexionsgang zu einem Abschluss zu bringen. Jeder Gedanke wird in einen Wirbel hineingezogen, der seinen Gegenstand dem sprachlosen Dunkel entreißt, um ihn der wortreichen Dunkelheit ekstatisch strömender Verse zu überantworten. Ein Bild dieser dynamischen Entleerung der einzelnen Vorstellung entwirft die zweite Elegie dort, wo der Dichter die Frage nach der Identität der Engel stellt: ›Wer seid ihr?‹ –

Frühe Geglückte, ihr Verwöhnten der Schöpfung,
Höhenzüge, morgenrötliche Grate
aller Erschaffung, – Pollen der blühenden Gottheit,
Gelenke des Lichtes, Gänge, Treppen, Throne,
Räume aus Wesen, Schilde aus Wonne, Tumulte
stürmisch entzückten Gefühls und plötzlich, einzeln,
Spiegel: die die entströmte eigene Schönheit
wiederschöpfen zurück in das eigene Antlitz.

Wer wissen will, was diese Verse zum Ausdruck bringen, der muss die rhythmische Kurve nachzeichnen: den Anruf, verhalten noch, den in der zweiten Zeile einsetzenden vollen Ton, die Beschleunigung nach dem Gedankenstrich, den Tanz und Taumel der Worte, der sich in zwei Worte – ›Wonne, Tumulte‹ – entlädt und zusammenfasst, um in der Folgezeile die in der Spiegelmetapher angezeigte Umwendung einzuleiten: ›plötzlich, einzeln‹. Die Strophe benennt das Wesen der Engel, gewiss. Doch die Flut der Benennungen fügt in das Gedicht die Skizze einer Denkform ein, die man umstandslos die Denkform des Gedichtes (und der Elegien insgesamt) nennen darf. In ihr erscheint der Rausch des Benennens, den schon das Stundenbuch kannte, an die klare Einsicht gebunden, dass nur die Exzentrizität dieses Sprechens, die Flucht der Ideen, die festzuhalten ebenso vergeblich erscheint wie der Wunsch, die notwendig eintretende Erschöpfung auf Dauer zu sistieren, seinen Gegenstand in der Sprache hält. Die resignierte Frage der ersten Elegie Ach, wen vermögen / wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht, mit der der Dichter die Hinwendung zu den ›Toten‹ vorbereitet, enthüllt ihren Sinn erst im strikten Bezug zum Anfang der zweiten Elegie, der die Eingangsreflexion knapp zusammenfasst und dann mit einem ›dennoch‹ den Neueinsatz markiert:

Jeder Engel ist schrecklich. Und dennoch, weh mir,
ansing ich euch, fast tödliche Vögel der Seele,
wissend um euch.

Das Wissen, das der Gesang enthält, verströmt im Gesang. Keinesfalls ist die Elegie dieser Gesang. Aber sie kommt ohne ihn nicht aus. Sie gleicht einer Versuchsanordnung, mit deren Hilfe es gelingen soll, dem Gesang sein Geheimnis – sein Wissen – zu entreißen. Wäre es anders, so wäre das begründende ›denn‹, das auf die Anrufung der Engel folgt, geradezu widersinnig. Denn wir, wo wir fühlen, verflüchtigen; ach wir / atmen uns aus und dahin – dies wiederholt exakt den Einwand gegen die Möglichkeit der Engelrede, in der das Menschensubjekt ›verginge‹, ergänzt und gesteigert durch den Hinweis, dass menschliches Sichverströmen schon deshalb diesen Gegenstand verfehlte, weil es nichts anderes als ›Vergehen‹ sei. Doch der Gedanke entlässt jetzt seinen Hintersinn. Ich verginge von seinem stärkeren Dasein, das impliziert auch: Nichts anderes geschieht. Von nichts anderem geht diese Rede. Der Schmerz über das Vergehen tritt in sie über und lässt sie von Wesen handeln, die ihn nicht empfinden. Keine Erfahrung anderer Art, sondern die nicht geteilte Erfahrung macht den Engel. Sie ihm abzunehmen, sie – die Nichterfahrung des Vergehens – der Erfahrung beizumengen, dies bezeichnet die Aufgabe des elegischen Sprechens.

 

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