An keiner Stelle vielleicht hat Rilke die Motivlinien zwischen Lächeln, Liebe und Tod enger gezogen als in dem nachgelassenen Gedicht, das sich durch seinen Zitat-Titel als Nachdenken über ein vorgegebenes Thema, als Gedankengymnastik zu erkennen gibt.

›Man muß sterben weil man sie kennt.‹ Sterben
an der unsäglichen Blüte des Lächelns. Sterben
an ihren leichten Händen. Sterben
an Frauen.

Das Gedicht gehört in den ›Umkreis‹ der dritten Elegie. Frauen, so sagt es, sind auf eine gefährliche Weise anwesend. Ihre Anwesenheit unterschreitet die Distanz, die es gemeinhin erlaubt, die Dinge als Objekte, das heißt, in ihrer Gleichgültigkeit wahr- und hinzunehmen. Diese Distanzminderung, so belehrt uns der Dichter, rückt denjenigen, der sie erfährt, in die Nähe des Todes.

Das ist die höfliche Lesart. Die andere, wörtlichere, lässt das Sterben selbst – nicht das Verenden eines Tiers, sondern das menschliche Sterben – aus der Berührung, dem Angerührtsein, hervorgehen. Ohne diese Erfahrung wäre möglicherweise – ein zu erprobender Gedanke – auch das menschliche Ende nur ein Verenden, ein einfaches Zu-Ende-Gehen. Das ist eine der vielen Variationen zum Thema Todeserfahrung, die sich bei diesem Autor finden. Die achte Elegie sagt es anders. Doch zwei Elegien greifen den Zusammenhang wieder auf. In der dritten heißt es, das Entsetzliche selbst habe dem Kind einst gelächelt.

Ja, das Entsetzliche lächelte... Selten
hast du so zärtlich gelächelt, Mutter. Wie sollte
er es nicht lieben, da es ihm lächelte. Vor dir
hat ers geliebt,...

Dem Lächeln geht ein Erkennen voraus.

                                             Und jedes
Schreckliche kannte ihn, blinzelte, war wie verständigt.

Im kindlichen Vorbewusstsein des Todes ist Liebe die Antwort auf das, was sich dort ankündigt und schon den Namen des Schrecklichen trägt, obwohl es sich namenlos in ihm regt. Wenn die spätere Liebe des Jünglings Vorwände braucht, um sich zu entzünden, Masken, dann nicht, weil unter ihrem Namen etwas anderes Platz griffe, sondern weil das geschärfte Todesbewusstsein seinen Gegenstand in die Distanz gestellt hat, die ein Leben im Bewusstsein, sterblich zu sein, möglich macht. Deshalb (und in diesem deshalb kündigt sich das Finale an) ist das Schöne ›nichts/als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen‹, deshalb ›verschmäht‹ in ihm das Schreckliche, ›uns zu zerstören‹. Es ist die Maske, hinter der sich das Tödliche birgt und verbirgt.

Masken, Masken! Daß man Eros blende.
Wer erträgt sein strahlendes Gesicht...

Liebe vernichtet Distanz. Deshalb muss sie, die ein Lächeln ›blindlings‹ heraufruft, geblendet werden. Das der Erfahrung des Kindes entwachsene Todesbewusstsein, aus der Distanz herausgeholt und völlig erfühlt, wäre tödlich, denn es ließe dem Dasein keinen Raum, sich im Bewusstsein zu entfalten. Es ließe Dasein nicht zu. Der ›leichte Auftritt‹ der Geliebten hält den gewussten Tod in der Distanz und lenkt den Überfluss des Gefühls auf das, was auch ist – die Geliebte, und, hinter ihr, die umgebende Welt der Dinge. Vom Helden, den keine Geliebte zu halten vermag, der sich des Lebens entschlägt, um es anders zu gewinnen, sagt die sechste Elegie:

Denn hinstürmte der Held durch Aufenthalte der Liebe,
jeder hob ihn hinaus, jeder ihn meinende Herzschlag,
abgewendet schon, stand er am Ende der Lächeln, – anders.

Von einer weiteren, dem Selbstentwurf des Dichters näher gelegenen Möglichkeit, ohne die Geliebte ›Herzwerk‹ zu leisten, weiß die fünfte Elegie. Sie zieht das halbe Lächeln des Gauklers nach, das sich an seine Arbeit ›verbraucht‹:

Du, der mit dem Aufschlag,
wie nur Früchte ihn kennen, unreif,
täglich hundertmal abfällt vom Baum der gemeinsam
erbauten Bewegung (der, rascher als Wasser, in wenig
Minuten Lenz, Sommer und Herbst hat) –
abfällt und anprallt ans Grab:
manchmal, in halber Pause, will dir ein liebes
Antlitz entstehn hinüber zu deiner selten
zärtlichen Mutter; doch an deinen Körper verliert sich,
der es flächig verbraucht, das schüchtern
kaum versuchte Gesicht... Und wieder
klatscht der Mann in die Hand zu dem Ansprung, und eh dir
jemals ein Schmerz deutlicher wird in der Nähe des immer
trabenden Herzens, kommt das Brennen der Fußsohln
ihm, seinem Ursprung, zuvor mit ein paar dir
rasch in die Augen gejagten leiblichen Tränen.
Und dennoch, blindlings,
das Lächeln.....
 
Engel! o nimms, pflücks, das kleinblütige Heilkraut.
Schaff eine Vase, verwahrs! Stells unter jene, uns noch nicht
offenen Freuden; in lieblicher Urne
rühms mit blumiger schwungiger Aufschrift: ›Subrisio Saltat‹.

Hier, in der Ansicht des rohen, an die mechanische Geschicklichkeit des Körpers verschwendeten Lebens erscheint das Ringen mit dem Engel erneut als die zugrundeliegende Figur. Allerdings in einer anzüglichen Variante, als ein Gewrungenwerden –

                          die dringend von früh an
wringt ein wem, wem zu Liebe
niemals zufriedener Wille?

Der Athlet gibt sich preis: auch er wissend, dass die Figuren, die ihm gelingen, sich im Gelingen bereits auflösen, auch er einer, in dessen Tun sich Gelingen und Versagen kreuzen. Das ›liebe Antlitz‹, das ihm entstehen will, soll heißen, die Schwelle nicht passiert, jenseits derer die mechanische Maske im wechselseitig erblühten Gefühl untergeht, ›verliert sich‹ an das leistende Instrument. Darum geht es. Der Appell an den Engel, er möge das ›kleinblütige Heilkraut‹ verwahren, fordert für das an die Arbeit verbrauchte Lächeln nicht mehr und nicht weniger als die zehnte Elegie für den Jubelgesang ›an dem Ausgang der grimmigen Einsicht‹. Er fordert ›Zustimmung‹. Die Rühmung selbst ist im fordernden Vers schon geleistet. Sie darf nicht ungehört verhallen. Doch nur das Gehör dessen, der mit Gehör begabt ist und zur Rühmung übergeht, ist fähig, sie aufzunehmen, als ein Zurückkehrendes, wie das am Lächeln erwärmte Gefühl, als Zustimmung.

Ach aus eines Engels Fühlung falle
Schein in dieses Meer auf einem Mond,
drin mein Herz, stillringende Koralle,
seine jüngsten Zweigungen bewohnt.

 

Notizen für den schweigenden Leser

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