Der Zug der Lemminge – man glaubt zu wissen, wohin die Reise geht, und bleibt doch immer interessiert. Sozialverhalten schlägt Sachverstand. Es ist nicht richtig, hier nur Mitläufertum oder gar Gefolgschaft am Werk zu sehen. Was die Masse fortreißt, ist für die Mächtigen, die Ehrgeizigen oder bloß mit dem eigenen Fortkommen Beschäftigten formbarer Stoff, in den sie einen Großteil ihrer Energie investieren. So kann es leicht geschehen, dass die Wucht des irrenden Kollektivs, genährt von der Summe aller durch den Rausch der Bewegung intensivierten Positionskämpfe, kurz vor dem Abgrund ihr Maximum erreicht. Leider eröffnen sich den nolens volens am Geschehen Beteiligten stets nur kleinere Einblicke. Das große Ganze will geahnt und erraten werden. Doch es reicht für das eine oder andere Dejà-vu. So, wenn zwei Bücher ungefähr gleichzeitig die Spiegel-Bestsellerliste erklimmen, das eine, Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe, der Unruhe, um nicht zu sagen, der Verzweiflung des Wissenschaftlers (Sucharit Bhakdi) geschuldet, der zusehen muss, wie Politik und Medien die rationalen Grundlagen öffentlichen Handelns mit Fleiß zerrütten, das andere, Corona: Geschichte eines angekündigten Sterbens, dem gesunden Erwerbssinn journalistischer Routiniers verpflichtet, die wissen, wie man’s macht. Daran ist nichts Verwerfliches, jedenfalls nicht in dem Individualsinn, der irgendwann erschüttert vor den Folgen des kollektiven Rausches steht und nicht verstehen kann, was das alles mit ihm zu tun hat. Andererseits sind auch die Folgen seit langem angekündigt. Vor Ort schlagen Psychologen und Ärzte Alarm und die Arbeitslosigkeit marschiert – tut nichts zur Sache, solange … solange… das Spiel noch nicht ausgereizt ist. Logisch entscheidend wäre vielleicht, die Pandemie-Kurven frei von Panik sprechen zu lassen und nüchtern zu konstatieren, dass ›das Volk‹ sich gerade an Instrumente der Gängelung und der rücksichtslosen Durchsetzung von Partikularinteressen gewöhnt, die künftig bei jeder Grippewelle zum Einsatz gelangen können. Jede arbeitende Mutter, die ihr zahnendes Kind – und, falls vorhanden, die Geschwister gleich dazu – an der Kita-Tür abholen muss, weil es leichte Schnupfen-Symptome zeigt und deshalb rigoros aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird, darf mitbauen an der neuen Gesellschaft, die da im Werden ist. Schließlich gehören ihre scheiternden Träume von einem selbstbestimmten Leben zu den unentbehrlichen Baustoffen. Das heißt man Opfer bringen: Die einen arrondieren ihre Macht und sammeln Punkte für künftige Kämpfe, die anderen gehen nach Hause und warten auf bessere Zeiten. Ein wenig Verschnupftsein bewirkt da Wunder an Anpassung.

 

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