In Gogols Roman Die toten Seelen kauft der ›Held‹ tote, aber noch gelistete Leibeigene von Gutsbesitzern zusammen, um sie an den zaristischen Staat zu verpfänden – eine Betrugspraxis, in der sich merkwürdige Parallelen zum heutigen Handel mit fiktiven Vermögenswerten andeuten, die aber doch insofern originär bleibt, als hinter jedem ›Wert‹ ein echter Toter, ehemals Lebender steckt, der gleichsam weiterarbeiten darf, wenngleich nur in der Phantasie seiner alten und neuen Eigner. Es gehört zu den Besonderheiten des modernen ›Lockdown‹, dass er wider alles Erwarten auch diese Praxis zurückgebracht hat: Da halten sich Betriebe am Laufen, die, mangels Erlaubnis, nichts produzieren und darauf warten, pünktlich mit der Wiederaufnahme der Arbeit zu kollabieren, weil die finanziellen Reserven längst aufgebraucht sind, während der reguläre Konkurs, da staatlicherseits unerwünscht, fürs erste nicht stattfinden darf. Das klingt kurios genug und der Laie kann nur ahnen, wie viel menschliche Verzweiflung und versteckte Not dabei in der Regel mitläuft. Etwas außer der Regel findet sich der Fall der Linzer Café-Besitzerin, die, ›Lockdown‹ hin oder her, kürzlich unter medialer Höchstbeachtung für eine halbe Stunde ihr Lokal zu öffnen wagte und sogleich die Allmacht des polizeilich bewehrten Verfügungsstaates zu spüren bekam: Chronik einer angekündigten Unbotmäßigkeit, begangen, wie sie sagt, um des nackten Überleben willen. Andere werden folgen. Das lässt aufhorchen, schließlich liegt die Stadt Linz sicher gebettet in der Wohlstandsoase des gemeinen Universums, genannt EU, wo Wörter wie ›Überleben‹ eher in den Börsen- oder Fußballbereich der Nachrichten gehörten, bevor die Alten- und Pflegeheime, allgemein nicht aufs Überleben ihrer Bewohner geeicht, im Zeichen des dreifachen C den Wortklang aufpolierten, so dass er heller strahlt denn zuvor. Wer heute, den erlaubten Ausgangszweck sorgfältig zu Kontrollzwecken memorierend, durch die Straßen Berlins zockelt, trifft auf eine Leere, die ihn – wie nur? – an das vom Norden eroberte und der sozialistischen Lebensart zugeführte Saigon der späten 70er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert. Früher oder später beginnt er sich zu fragen, wohin es wohl die heutigen boat people ziehen könnte, nachdem die Stadt auf dem Hügel mit ganz ähnlichen Problemen kämpft, so dass sich der Umzug, so er denn möglich wäre, nicht wirklich lohnte. Es scheint, als habe die industrialisierte Welt, überdrüssig ihres lastenden Luxus, endlich auf die Produktion von ›deplorables‹ umgestellt, um den einstigen Wahlkampfausdruck der in gewissen Kreisen immer noch hochgeschätzten Mrs. Clinton aufzufrischen. Wie man hört, soll auf diesem Wege das gute alte Neue entstehen, vor dem seinerzeit, das geplünderte und verarmte Saigon vor Augen, die Genossen aus dem Norden schneller Reißaus nahmen, als ihre Gesinnungsfreunde im Westen umzudenken wagten. Doch wer weiß, auch die europäische Metropole Berlin verfügt, wie ihr Umland, über autonome Erinnerungen, die sich rasch auffrischen ließen. Wie lautet der Satz? Das Umdenken hat längst begonnen.

 

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