Dass nach den fetten Jahren die mageren kommen, an dieser Binsenweisheit haftet, optisch gesprochen, ein Hauch des Obszönen. Gott sei Dank, werden viele sagen, es haftet ja sonst wenig, am wenigsten die Verantwortung für das Geschehene, und schon gar nicht an den dafür Verantwortlichen. Warum gibt es Verantwortliche, wenn die Verantwortung an ihnen abgleitet wie der Farbbeutel an der Statue des Unterdrückers? »Es gibt keine wahren Urheber mehr«, klagen die Plagiatsjäger, ein seltsamer Ausdruck übrigens, denn wer hat je behauptet, dass es sich bei Plagiaten um Wild handelt, und dann gar um Freiwild? Sie klagen auch nicht um des Klagens, sondern um der Feststellung willen. Mögen andere klagen, vor allem die Betroffenen selbst, mit der Aussicht auf ihre ganz persönlichen mageren Jahre vor Augen. Dass sich sämtliche Zitate der Welt, sorgsam durch ihre Abwandlungen hindurch verfolgt, am Ende in einem Buch versammeln, dem Buch der Welt, aus dem alle abschreiben, ist der konservative Topos schlechthin, konservativer als die Konservativen, die gegenwärtig den Raum bevölkern, denn auch sie sind nur der soundsovielte Aufguss von etwas anderem, das zu sein sie vorgeben: Damit beginnt das Plagiathafte der Gegenwart.

Wer die Gegenwart, so ließe sich folgern, in Plagiatshaft nimmt, der landet schnell bei den sieben Plagen Ägyptens, die noch immer prototypisch die Welt regieren, jedenfalls die Medienwelt, der täglich neu einfallen muss, was sie bereits gestern verabreicht hat. Deutschland zum Beispiel, einst bekannt für sein nur auf den britischen Inseln getopptes schlechtes Wetter, insbesondere seiner verregneten Sommer wegen, erlebt einen deutschen Sommer nach Augenmaß, doch für den Mallorca-gebräunten Informationsstreuer geschehen ungeheure Dinge: Wetter-Vorkommnisse, wie sie in diesen Breiten »noch kaum« zu beobachten waren (Originalzitat eines sattsam bekannten Wetterfrosches). »Wann? Wo?« fragt der ruhigere, durch das Dauerbereisen der halben Welt meteorologisch noch nicht völlig konfus gewordene Zeitgenosse. Wann? Wo? Bald, antwortet die Stimme der angewandten Wissenschaft, sehr bald schon wirst du es erfahren. Es wäre besser, du erführest es nie. Schlage dein Kreuz am rechten Fleck und beuge das Knie, vor allem letzteres, für den Fleck wird schon gesorgt werden, lass das nicht deine Sorge sein. Und nieder geht’s.

Zwei Jahrzehnte nach ihrer Ausrufung ist die Wissensgesellschaft zur Gesellschaft der Prophezeiungen mutiert. Wundern sollte das niemanden, denn alles Wissen, das Vergangenheit und Gegenwart darbieten, ist, wie bekannt, schütter, insofern jeder seine eigene Faktensaat pflegt und hasserfüllte Blicke auf die des Nachbarn wirft. Soll es Fakten geben, auf die sich alle einigen können, dann am ehesten in der Zukunft, die bekanntlich uns gehört, dem großen WIR, das wir sind, wenn schon sonst nichts… Parteien sind WIR-Grabscher, das weiß doch jeder, das weiß der wirklich wichtige Virologe von nebenan ebenso wie der mit seinen Wetteranomalien hausieren gehende Wetterfrosch, und die Klimaforscher … nun, da WIR zu Klimawissenden mutiert sind und damit zu designierten, bereits die Barschaft überschlagenden Weltrettern, fehlt noch die zu rettende Welt, – man findet sie häufiger in Parteiprogrammen als in der Wirklichkeit und dort häufiger auf den Konten, vor allem den gähnend leeren, als in den Gehirnen. Weltverlust ist eine Krankheit, kinderleicht zu diagnostizieren, es fehlen aber die Kinder, und wo es sie gibt, bindet man ihnen atemberaubende Lätzchen vor, damit sie rechtzeitig teilnehmen am Elend der Welt, soll heißen, dem wahren Elend zugeführt werden, das zu thematisieren keinen Sinn ergibt, jedenfalls nicht für die Elite, und das ist doch, unter den Bedingungen des eingeführten Futurs, praktisch jeder. Fakten im Futur, vom WIR dekretiert, sind die Kniebeuger nicht erst der Zukunft, sie befallen auch nicht nur das Knie, sie lassen sich, in hinreichender Zahl verabreicht, überall nachweisen, man braucht dafür nicht einmal Körper, man braucht nur Geduld.