Was hilft der eleganteste Kniefall, wenn man den Mächtigen nicht die rauschenden Erfolge ihrer Politik auf digitalen Stellwänden vorführen kann? Afghanistan war das dienstälteste Potemkinsche Dorf westlicher Menschenrechtspolitik. Jetzt fällt die Fassade und es erscheint – Afghanistan. Das erschüttert die Kommentatoren zutiefst. Und das, obwohl sie doch längst alles besser wussten.

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Die Politik der schönen Bilder endet, wie aller schöne Schein, zuverlässig bei hässlichen. Man hat sie sich lange genug erspart, so dass an ihnen kein Mangel herrscht. Es ist folgerichtig, wenn Amtsinhaberinnen sich zum Flammkuchen bei kleiner Flamme verabschieden oder den Realitäten das Kino vorziehen. Die sicheren Räume der Illusionist(inn)en sind die (noch) ungetesteten.

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Jetzt aber, die Panik: Ein Taliban-Kommandant schwadroniert von der Welteroberung und Rom (oder Karthago oder Konstantinopel) brennt. Jeder, der je den Finger gegen den radikalen Islam erhoben hat, sieht sich nun bestätigt und verlangt Satisfaktion. Rechthaberei und Angst, die ungleichen Geschwister, überrennen gemeinsam die Forderung, zur Abwechslung einmal gut regiert zu werden, gleichgültig, was gerade darüber in den Gazetten steht.

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Überschwemmung im Ahrtal, die Taliban in Kabul: »Wir müssen mehr Geld ins Klima stecken, bevor die Kosten des wirklichen Lebens auf diesem Planeten aufbrechen.« So oder ähnlich muss die Logik von Leuten lauten, die dem Land gerade eine eineinhalbjährige Auszeit verordneten und es weiter mit Maßnahmen ohne Maß traktieren, weil da draußen etwas herumschwirrt, von dem wir noch nicht genau wissen, wie gefährlich es eigentlich ist. Aber bitte: wenn’s der Wiederwahl dient.

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Das Klima hat im Rennen der Nationen die Nachfolge der Raumfahrt angetreten, die nun, da genügend Steuermittel verpulvert wurden, für Privatfirmen attraktiv wird. Vielleicht wird eines fernen Tages der Windpark-Tourismus die Energiekosten finanzieren, die jetzt noch auf den geduldigen Schultern der Steuerzahler ruhen. Dann, ja dann wird sich der Kraftakt gelohnt haben.

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Nach sechzehn Jahren Merkel-Herrschaft ist Deutschland noch immer nicht reif, von Frauen regiert zu werden. Wie zu Serenissima-Zeiten ersticken die männlichen Paladine und Hofschranzen jedes vernünftige Widerwort und sorgen dafür, dass die Politik ihre Pirouetten seit Jahren im erdnahen Raum dreht. Unser blauer Planet, regiert er sich nicht entzückend? Es war zu erwarten, dass dem Weltpolizisten USA eines Tages eine Weltregentin an die Seite treten würde. Nur folgerichtig, dass sie aus einem Land schlüpfte, in dem die Bewegungsgesetze der Weltgeschichte erfunden und später in HO-Läden und Selbstschussanlagen umgesetzt wurden. Auch das erinnert – entfernt – an Hegel: Erdmute schwingt den Taktstock im Blauen und die Welt kratzt sich, wo es sie juckt.

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Immer, wenn irgendwo in der islamischen Welt die USA einen sogenannten Verbündeten fallenlassen, räuspert sich auf der Achse Paris – Moskau ein Intellektueller und prophezeit dem Westen mit brüchiger Stimme den Untergang. Der Ton ist rüder geworden, die Botschaft so scheppernd wie eh und je. Der Westen ist viele Tode gestorben, Herztode wohlgemerkt, erlitten durch seine Liebhaber – ich nehme mich da nicht aus. Ansonsten wandelt er sich noch immer schneller als jede andere Weltregion. Selbst die auftrumpfende Weltmacht China ist sein Produkt, zielstrebig verfeinert durch Repression. Was Kritiker für den Westen halten, ist eine historische Momentaufnahme, festgehalten für eine kurze Ewigkeit, die sich ihren Houellebecq als Zampano hält.

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Die westliche Suche nach Krankheitserregern, denen, koste es, was es wolle, der Krieg erklärt wird: Man schmeckt, man riecht, man atmet darin den Bürgerkrieg, der geführt und vermieden zugleich werden soll. Nur zwei, drei Zwischenschritte, und aus dem Erreger ist der Täter geworden, der Feind der Gemeinschaft, der Ausschlusskandidat: nicht wie früher als Sündenbock, der für die Verfehlungen aller büßen und die falsche Versöhnung in Gang bringen soll, sondern als (den Erregern sei Dank) ständig sich reproduzierender Gefährder, der den Maßnahmenstaat am Laufen halten darf. Der Maßnahmenstaat ist die Inkassostelle all derer, die ihre Gewinne auf Dauer stellen wollen, ohne sich mit Bedarfsforschung die Finger schmutzig zu machen. Der Bedarf, das ist der Staat.

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Darin besteht der unerklärte Krieg zum Zwecke der Rettung von Menschenleben: »Kaufe dich los!« Vielmehr: »Rechtfertige die Einkäufe, die bereits auf deine Kosten, und nicht zu knapp, getätigt wurden (und weiterhin werden).« Die Konsumenten kontrollieren und denunzieren sich gegenseitig, um dem Staat aus gerade der Patsche zu helfen, in die er sie weiterhin bringt. Nein, es ist keine Frage der Moral. Es ist nur … ach was, es ist nichts. It’s a shame.

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Der Primat des Politischen lässt sich auf zweierlei Weise verstehen: als Weisungsbefähigung und Weisungsbefugnis. Die Eigenart der Politik besteht darin, dass der Befähigungsnachweis durch den Weisungsakt geliefert wird – natürlich nur dann, wenn ihm auch Folge geleistet wird. Das ist der blinde Dezisionismus an der Spitze der Machtpyramide, der so blind nicht ist, dass er den eigenen Vorteil aus dem Auge verlöre. Die Linke, die früher die Theorie des Dezisionismus unter Faschismusverdacht zu stellen pflegte, hat nirgendwo anders gehandelt: Bringe mein Schäfchen ins Trockene und ich erkläre dir, wo die Gesellschaft der Zukunft zu finden ist. Man nennt dergleichen Kleptokratie, eine Sonderform politischer Herrschaft, die überall dort geargwöhnt werden darf, wo ausgereifte bürokratische Apparate buchstäblich jede Regierungsentscheidung mit einem Hauch exzentrischer Rationalität umgeben, der im Ernstfall selbst Verfassungsgerichte betört. Man kann sich auch Regierungszeit stehlen, indem man an die Stelle des Sachgemäßen das Genehme stellt. Bleibt immer die Frage, wem man glaubt genehm sein zu müssen, um im Amt zu bleiben.

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Das Geheimnis der Regierenden liegt nicht im Glauben-, sondern im Vergessenmachen: Je kürzer das Gedächtnis der Regierten, desto länger die Amtszeit der leitenden Staatsangestellten. Beides lässt sich steigern. Am Ende einer überlangen Regierungsperiode gleicht der Bürger einem frisch gewaschenen Säugling, bereit, sich auch das Geschlecht per Verwaltungsakt abspenstig machen zu lassen.

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Gutes altes Hollywood: Konzentrierter als im Howard-Hawks-Streifen Rio Lobo wurde das amerikanische Urdrama nie dargeboten – der Neureiche, dessen Häscher die mittelständischen Farmer auf die ›harte alte Tour‹ um ihr Land bringen, der gedungene Sheriff, der ihm durch eine Atmosphäre der Angst und mit Hilfe eines Systems lückenloser Kontrolle den Rücken freihält, die winzige Widerstandszelle am Rande der Stadt, zuguterletzt John Wayne in der Rolle des Retters aus der Ferne, der hier zufällig noch eine alte Rechnung aus Bürgerkriegszeiten offen hat. Eindrucksvoll, vor allem in den Nachtszenen, die ausgestorbene Stadt. Erst ganz gegen Ende regt sich etwas wie Bürgermut, als ein paar Farmern dämmert, dass es vielleicht besser wäre, den unverhofft an sie zurückgefallenen Besitz rechtzeitig zu verteidigen. »So ist es«, möchte man notieren. Börsen, Indoktrination, digitale Kontrollsysteme, Spritzen – alles späte Zutat. Der Kern liegt hier.

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Alles, was der Staat anordnet, steht unter Sinnverdacht. Es gibt keine Politik, die sich diesen starken psychischen Mechanismus nicht zunutze machte. Wer Unsinn verspricht oder verordnet oder versprochenen oder verordneten Unsinn durch Expertenrat populär macht, der erzeugt fanatische Parteigänger – und ihren Widerpart aus Entsetzten, die so etwas nicht für möglich gehalten hätten.

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Beispiel STIKO: Dass sich eine Institution politischem Druck beugt, ist ganz normal. Seit auch das Toilettenputzen als eine Art Karriere betrachtet wird, ist der Rücktritt als öffentliche Geste sinnlos geworden. Die Verantwortung müsste beim Eintritt in ein solches Gremium Pate stehen – dann wäre der Rücktritt konsequent. Da steht aber nur KARRIERE, verbunden mit einem ›Was soll’s?‹ Und in der Tat fragen sich draußen im Land viele: »Was soll das jetzt?‹ Dass grenzenloser Opportunismus auch vor den Kindern nicht Halt macht – man hätte es wissen können. Aber jetzt, da man es wissen kann, will es einem nicht zu Kopf.

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Der Spur des großen Geldes folgt man auf eigene Faust. Die Redseligen haben nichts begriffen. Besitz jenseits der Norm macht schweigsam. Vermutlich hängt das mit der Einsicht in die Mittel und Wege zusammen, Schweigen zu erkaufen oder auf andere Weise zu erzwingen. Aber das ist nur die Perspektive einer Minderheit. Der Sog des Geldes wirkt unmittelbar und sinnlich.

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Nicht vergessen: das Epizentrum dessen, was gerade geschieht, liegt nicht in Deutschland, nicht einmal in Europa. Für die Mehrzahl der Leute bedeutet das: Es liegt zu weit ab von ihren Erregungsreflexen. Was in Amerika oder in Asien geschieht, fällt unter den Begriff Weltklima. Man weiß sich einig, dass ›es‹ mit dem Kapitalismus auf die Dauer so nicht weitergehen kann. Aber vor der Hand bleibt ›es‹ das Gesetz des Himmels und wir alle müssen uns ihm beugen.

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Es haben mehr Europäer den Satz gesprochen: »Ich bin ein Amerikaner« als jenen anderen: »Ich bin ein Europäer«. Das sagt fast alles über das Verhältnis zwischen den beiden Kontinenten aus. Die heutigen Medien machen es den Massen leicht – die USA sind Europas escape room auf der Flucht vor der Verantwortung für das eigene Land und den eigenen Kontinent.

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Sollte der Westen – oder, eine Spur bescheidener und zugleich anspruchsvoller, Europa – wirklich einmal untergehen, dann wegen keiner seiner sogenannten ›Fragen‹, sondern wegen einer Banalität, die keiner voraussehen konnte, obwohl sie vielleicht heute schon da ist, bloß verborgen vor den Augen der Kommentatoren, die ein Thema erst dann aufgreifen, wenn es Sozialprestige verspricht. Man kann auch sagen, der heutige Westen ist weitgehend ein Prestigesystem – alles, was es dort nicht hineinschafft, ist ›Mittelalter‹ oder Schlimmeres. Es laufen genügend Menschen im Westen herum, die dieses System nur in Spuren verinnerlicht haben. Sie gehören dazu, ohne dazu zu gehören. Die Leute meinen immer, ›Westen‹ bedeute ›Lebensart‹, und sie vergessen gern all diejenigen, die man dabei übergeht oder deren Leben eine immer rege Propaganda willkürlich umetikettiert, um sie dazuzählen zu können. Wie Vergessen meist hinterlässt auch dieses eine Spur im Bewusstsein: Das Empfinden, etwas vergessen zu haben, erzeugt das Gefühl der Bedrohung, das in allem Identitätsdenken spukt.

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Nachtrag: Solange man in Frankreich den Impfausweis nicht auch fürs Scheißen braucht, ist noch alles offen.

 

Notizen für den schweigenden Leser

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