»Dieses Land ist krank.« Die Kritik hat diesen Satz so lange hin und her gewendet, bis die Politik schließlich zugriff. Warum die Sache nicht selbst in die Hand nehmen? Besteht Politik nicht genau darin: Eine Sache in die Hand nehmen?

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Am Vorabend einer Wahl erleichtert zu denken: Die Zeit für den Putsch ist abgelaufen … und dann, am Ende der langen Spannung, ins Bodenlose zu fallen, in die Krankheit. Dabei zu wissen: Man ist einer von vielen.

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Lektion für Warner und Wissende: Niemand außer einer kleinen Minderheit will wissen. Die Leute wollen erfahren, und zwar am eigenen Leib. Das und nichts anderes meint die Floskel ›skin in the game‹. Die Nebenfolgen machen das Spiel.

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Medizinethik auf Abwegen: Der Weg vom Entsetzen über die Leichtfertigkeit von ›Entscheidern‹ zur resignierten Einsicht in die Tatsache, dass Verängstigte und Verhetzte jedes Risiko in Kauf nehmen, solange die Aussicht, dass es den anderen trifft, das eigene übersteigt, ist mühsam und nicht ohne moralische Nebenwirkungen.

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Nach der Wahl ist vor der Wahl: Die Wähler haben den Parteien mitgeteilt, was sie von ihnen halten, jetzt zeigen die Parteien den Wählern, was sie von ihnen halten. So geht (Parteien-)Demokratie.

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Freie Demokraten: So schnell wird aus dem Pleonasmus ein Euphemismus.

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Nach der staatlichen Bewirtschaftung von Leben und Tod des Einzelnen jetzt also die von Gesundheit und Krankheit. Wobei Krankheit offenbar als der weit besser zu bewirtschaftende Teil gilt, so wie es immer leichter war, Menschen zu Tode befördern zu lassen als umgekehrt. Die Generationen, die heute zur Macht drängen, werden ausloten dürfen, was das im Einzelnen bedeuten kann, und sie werden auf diese Weise einen ganz neuen Zugang zu der Frage bekommen, wem der Staat gehört.

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Wie man liest, hat sich der dienstälteste Hüter des Verfassungspatriotismus dazu entschlossen, den liberalen Staat als Lebensverlängerungsagentur für Hochbetagte neu zu konzipieren. Man muss ein sehr hohes Alter erreichen, um die Agonie der Gesellschaft der eigenen vorzuziehen – ein hohes, aber kein gesegnetes.

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Wenn Linkslibertäre im Alter ihrer autoritären Phantasie die Zügel schießen lassen, liegen die verborgenen Motive ihrer Anfänge blank. Und, wer weiß, nicht nur ihrer Anfänge. Man ahnt, in welchem Umfang sie die Allgemeinheit zu täuschen verstanden.

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Man hat immer geahnt, dass der ›Kampf gegen Rechts‹ in Wahrheit ein Kampf gegen Ungeimpfte war.

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Die zeitweilige Jeanne d'Arc der deutschen Linken muss daran denken, wie die französischen Kampfgenossen seinerzeit mit ihrem Idol verfuhren. Heute wird auf kleiner Flamme geröstet, aber irgendwann... Inzwischen steht das Wort ›ungeimpft‹ für: ideologieresistent. Das ist natürlich brandgefährlich.

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Die deutsche Linke begreift nicht, dass die Worte der Frau Wagenknecht sie entzaubern (so wie die Tat der Charlotte Corday das Schreckensregime der französischen Revolutionäre entzauberte). Sie begreift es nicht, weil die Verschränkung von Macht & Ideologie sie unempfindlich macht für das, was in Menschen vorgeht – in jenem bourgeoisen Kasten, genannt Psyche, von dem sie weniger weiß als die frühen Kirchenväter samt ihrer frommen Brut.

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Verkehrte Welt, einst eine beliebte Literaturgattung, mittlerweile das Hauptbetätigungsfeld einer Politik, die allem, was krank macht, die Zügel schießen lässt. Es macht krank, die Menschen zu behandeln, als seien sie andere. Man sollte nicht vergessen, dass Narrative von Haus aus nichts weiter sind als Märchenstoffe. Eine Politik, die Narrative in Auftrag gibt, nicht, um den Gegner zu verwirren, sondern um sich selbst Ziele zu setzen, hält sich ganz richtig zum Narren – auf kurze, mittlere oder längere Sicht, je nach den Umständen, die allerdings nicht Teil des Narrativs sind.

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Was ’68 als Wandzeitung nach chinesischem Vorbild begann, endet unter dem wachsamen Auge von Big Tech als Zeitungswand: Tomaten gegen die Mächtigen, Beton fürs Volk.

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Der gute alte Sündenbock hat die Bühne der Politik nie verlassen. Auffällig sind die vielen Esel, die seine Dienste in Anspruch nehmen, seit die Lüge zum ›Selber fake!‹ mutierte.

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Zweifellos spricht es für eine Art Götterdämmerung, wenn Fußballer mehr Verstand in der Öffentlichkeit beweisen als Philosophen. Andererseits ist der Philosoph, an den man dabei unwillkürlich denkt, wenig mehr als ein Ball, den die frenetisierte Medienöffentlichkeit ein ums andere Mal ins Netz treibt. Auch in diesem Fall gilt am Ende: Wer nicht hören will, muss fühlen.

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Das ganze Menschsein dreht sich um ein Motiv: das zweite Leben. Das Christentum hat daraus das gottgefällige Leben der Zweimalgeborenen gemacht, der Staat als Neuling auf dem spirituellen Markt forciert die Zweifachimpfung, die, nach einschlägigen Ersterfahrungen, nie zur Immunisierung gedacht war, sondern zur ›Abschwächung von Verläufen‹. Das klingt so, als sei die christliche Taufe nie zur Gewinnung der Seligkeit, stattdessen bloß zur Abschwächung der Höllenstrafen konzipiert worden und gilt nun, da langsam die volle Wahrheit ans Licht kommt, als probates Mittel, den Höllenpredigern noch ein wenig Kundschaft zuzuschustern.

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Wer die Treiber der Krise kennenlernen will, sollte sich die Aktienkurse ansehen, die bei der ersten Ankündigung, ein Corona-Impfstoff sei entwickelt, explodierten. Aber irgendwie scheint das ewige ›Ich frage ja nur‹ seelisch ergiebiger zu sein (vom sozialen Kapital ganz zu schweigen).

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Erst Davos, dann Dubai: Wanderkonzil auf der Suche nach dem Mythos des 21. Jahrhunderts.

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Die Schwerreichen, zu Bilderberg-Zeiten ein scheues Wild, mausern sich zu Schwerenötern der Politik. Was fehlt, ist die Metoo-Bewegung der Politiker(innen).

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Ich glaube nicht an die politische Erleuchtung von Menschen, deren einziges Talent darin besteht, Geld zu schaufeln. Hingegen glaube ich, dass angesichts ihres Wunsches, als Wohltäter der Menschheit zu gelten, vielen Menschen ein Licht aufgeht. Die Bezeichnung für solche Menschen ist etwas aus der Mode gekommen.

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Die vorwärts trampelnde Menge, die sich unbekümmert um Stürzende, Schwache, Zögernde ihren Weg bahnt, koste es, was es wolle – wir haben sie kennengelernt und wissen jetzt Bescheid. Wir wissen jetzt, wie wenig es braucht, um den Schalter in den Gehirnen umzulegen und aus Millionen Einzelner, die wissen, was sie im Leben wollen und ihren Angelegenheiten nachgehen, eine Herde hervorzuzaubern, die nach dem Pferch verlangt, bloß um blindlings hineinzustürmen. Wir haben begriffen, dass die Sorge kein Freund der Freiheit ist, sobald sie zu klammern beginnt und über alle Grenzen geht. Wir haben lernen müssen – sofern wir es nicht schon wussten –, dass nicht nur die Freiheit, sondern auch die Sorge missbraucht werden kann. Und schließlich haben wir leidend zusehen müssen, wie der Anschein der Sorge die wirkliche Sorge Punkt für Punkt schlagen und aus dem Spiel werfen konnte. Wenn wir jetzt noch wüssten, wer wir sind, dann hätten wir wirklich etwas gelernt.

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Man fragt sich, was die Bevölkerungen, außer dem Dachschaden, bleibend davontragen werden, das es den Regierenden wert macht, nach dem Motto Genug ist nicht genug! immer skrupelloser den Abbau von Freiheitsrechten, selbst unter dem Vorwand, sie ›wiederherzustellen‹, voranzutreiben. Das Einzige, was einem am Ende einfällt, ist die Spaltung selbst: die Spaltung in Schafe und Wölfe, in ergiebige und widerspenstige Konsumenten der angesagten Wohltaten, ›für die wir alle‹ jetzt und in Zukunft ›Opfer bringen müssen‹. Einer Gesellschaft, die eben noch die zahllosen Traumata aufmerksamkeitsprivilegierter Opfer mit durchleben durfte, müssen die Nerven vibrieren, dass sie jetzt als Ganze ihr Opfer bringen darf … wohin auch immer. Irgendwo klingeln immer die Kassen. Wo Opfer sind – oder erbracht werden dürfen –, da ist auch Spaltung, denn ohne Schuldige geht es nicht. Es ist ein bisschen wie damals, als Bauer Schulze die erste Melkmaschine kaufte. Vorbei die Zeiten des ewigen Streichelns, Drückens und Herauskitzelns: ein Knopfdruck genügt und die Gewinne fließen in die richtigen … richtigen … richtigen…

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Die entwickelte Form des Staates ist der Rechtsstaat, soll heißen, der Staat, in dem das Recht herrscht. Alle Formen des Obrigkeitsstaates, in dem die Obrigkeit Recht nach Lust und Laune diktiert oder ignoriert, sind demgegenüber archaisch, das heißt, sie beleidigen den Verstand. Die größte Beleidigung für den Verstand ist der Krieg und die Wiederkehr archaischer Zustände, die er mit sich bringt. Eine Gesellschaft im Kampf gegen einen nicht-menschlichen Feind steht unter der Orwellschen Formel Frieden = Krieg, Krieg = Frieden, gleichgültig, was sie darüber denkt und schreibt. In solche Zustände gleitet man hinein, wie man in den Schlaf hineingleitet. Sie sind der berühmte Schlaf der Vernunft, der seit Goyas Zeiten die Ausleger beschäftigt.