Einige Ältere sahen ihn schon lange in den Lüften schweben, hoch über den Köpfen der Leute, die sich gegenseitig versicherten, wie heiter der Tag und wie blau der Himmel sei und wie man bald in ewiger Bläue seine Tage verbringen werde. Niemand kann sagen, wie viel Zeit verstrichen sein mag, in der er sich langsam, aber sicher niedersenkte, ohne dass es die schärfsten Augen bemerkten. Selbst jetzt, da nur noch wenige Tage zu fehlen scheinen, bevor er rasselnd den Boden erreicht und unseren Erdteil zum zweiten Mal in der Geschichte von Norden bis Süden zerteilt, sind nur wenige bereit hinzusehen und sich und ihrer Mitwelt einzugestehen, was da vorgeht. Stattdessen sieht man immer wieder Verrückte sich bei dem Versuch eine blutige Nase holen, frei und unbeschwert von der einen auf die andere Seite zu wechseln. Einige dieser offenbar von allen guten Geistern Verlassenen scheinen für ihr Verhalten bezahlt zu werden und ähneln geschminkten Clowns, andere scheinen Opfer des Feuereifers zu sein, der in ihnen, wodurch auch immer angefacht, lodert.

Noch scheint es einfach zu sein, mit Hilfe einiger dazwischengeschobener Steine den Vorhang am Erreichen des Bodens zu hindern. So bliebe wenigstens die Möglichkeit bestehen, in Zukunft gebückt oder kriechend unter ihm durchzukommen und damit die Illusion aufrecht zu erhalten, jedermann könne sich, wann immer er es wolle, überall frei bewegen. Doch jedes Mal, wenn ein Trupp Arbeiter sich an diese leichte Arbeit macht und Steine herbeizuschleppen beginnt, stellt sich ihm ein anderer Trupp entgegen: offenkundige Nichtstuer, die nur darauf warten, diese an sich so nötige Tätigkeit zu unterbinden, indem sie die Arbeiter zu Fall bringen. So kommt es, dass die Umgebung des sich unaufhaltsam weiter schließenden Vorhangs (genau genommen handelt es sich um eine halb verrostete und in den Gelenken quietschende eiserne Jalousie) mittlerweile mit zerborstenen Steinen übersät ist, die jeden Zugang zum Ort des Geschehens in eine halsbrecherische Kletterpartie verwandeln.

Wirklich sind in letzter Zeit mehrere Fälle von Hals- und Knochenbrüchen in dieser Region zu verzeichnen. Selbst geübte Hochgebirgskletterer, deren Namen noch einen guten Klang im Volk haben, befinden sich unter den beklagenswerten Opfern. Die Schlaumeier unter den Zeitgenossen haben sich daher auf Ferndiagnosen eingerichtet und setzen ihre Mitbürgern Lichter auf, wie es auf der anderen Seite zugeht, ohne dass sie jemals den Fuß in die Nähe der Gefährdungszone gesetzt hätten. Das hat zur Folge, dass wir uns allmählich in ein Volk von Wissenden verwandeln, das keine offenen Fragen kennt und Antworten weit über Bedarf hortet, so dass die Verwalter heimlich große Mengen davon abzweigen und, da einige von ihnen geheime Beziehungen in die Welt jenseits des von allen Seiten geleugneten Vorhangs unterhalten, diese drüben, bei den anderen, zu Spottpreisen losschlagen. Geschäft ist schließlich Geschäft, und wenn sich auch alle sicher sind, dass dort drüben Chaos und Unterdrückung herrschen, so sieht doch niemand ein, warum man sich nicht an den Unterdrückten schadlos halten soll.

Gestern hieß es, die Steinregion sei wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit abgeriegelt worden. Heute erfahren wir, dass unsere Soldaten dort in Stellung gegangen sind. Streitkräfte der anderen Seite, heißt es, seien in die Schutthalden eingedrungen und lieferten sich dort Artillerieduelle mit den Einheimischen. Es gibt also Leben zwischen den Ruinen und wir stehen in der Pflicht, es zu beschützen. Ein einfacher Landschaftsvorhang genügt offenbar den raffinierteren Bedürfnissen des modernen Kriegstheaters nicht mehr. Es muss scharf geschossen werden. Natürlich hat die andere Seite angefangen, das steht ganz außer Frage. Unsere Leute können kein Wässerchen trüben. Geschwächt durch die lange Friedenszeit und die Gewohnheit, überall hinzureisen, wonach ihnen der Sinn steht, sind sie allzu weltoffen geworden und müssen jetzt neu dressiert werden.

 

 

 

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