Der pensionierte Professor spricht:

Vom Präsidenten seiner Universität zum Gespräch gebeten, habe dieser ihn mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei schwulenfeindlich, woraufhin er, X, geantwortet habe, er sei schwul, wodurch der Präsident sichtlich aus dem Konzept geraten sei. Im Lauf des Gesprächs habe sich folgender Sachverhalt herauskristallisiert: Ein anonym gebliebener Student sei mit einem – offensichtlich gezinkten – Vorlesungsprotokoll an das Rektorat herangetreten, aus dem hervorgegangen sei, X habe in seiner (vornehmlich von älteren Semestern besuchten) Vorlesung schwulenfeindliche Reden geführt. Selbstverständlich habe das Rektorat daraufhin in Aktion treten müssen. Der Präsident habe dann auf Verlangen die inkriminierten und offensichtlich verzerrt wiedergegebenen Stellen vorgelegt und in der Tat habe er, X, den man aufgrund seines Alters und seiner politischen Aktivitäten durchaus als einen Nestor der Schwulenbewegung bezeichnen könne, in seiner Vorlesung angedeutet, die LGBTQ-Gemeinde sei angesichts ihres überwältigenden historischen Siegeslaufs in ein Stadium eingetreten, in dem sie den Gedanken nicht aus dem Auge verlieren dürfe, dass auch die sexuelle Mehrheit gewisse Rechte besitze, auf die man künftig verstärkt achten sollte. Er, X, habe, mit diesem ›Vergehen‹ konfrontiert, herzhaft lachen müssen, dann aber ausgeführt, er werde in seinem und ähnlich gelagerten Fällen die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Lehre und Forschung mit allen ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel zu verteidigen wissen. Er habe dann noch hinzugefügt, dass denunzierende Studenten und willfährige Rektorate ihm als Historiker aus gewissen dunklen Abschnitten der Geschichte durchaus geläufig seien, er dem Präsidenten seiner Universität aber zumindest das eine versichern könne: Jene Zeiten seien weder demokratisch noch rechtsstaatlich noch liberal gewesen und hätten, alles in allem, großes Unheil über die betroffenen Staaten und ihre Bewohner gebracht. Schließlich habe er, nachdem das Gespräch bereits beendet gewesen sei, im Hinausgehen noch bemerkt, er habe sich bisher an seiner Universität sehr gut aufgehoben gefühlt und wünsche dieses Wohlgefühl mit sich ins Grab zu nehmen. Insgesamt sei das Gespräch doch recht harmonisch verlaufen, er könne aber nicht zuverlässig aussagen, ob und in welchem Sinne auch die Gegenseite mit aufrichtiger Hochachtung von ihm geschieden sei. Als Historiker allerdings sei er der Auffassung, einer Begegnung der dritten Art beigewohnt zu haben, wie sie seit einiger Zeit immer häufiger aus dem akademischen Raum berichtet würden. Mehr wolle er zu dieser unabgeschlossenen Causa im Augenblick nicht sagen.

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