Über nichts reden grüne Deklamatoren, wenn sie ›gedenken‹, lieber als über die Heldentaten der 68er. Das zeigt schon das ganze Ausmaß der Denkfaulheit, die hier ihr Auskommen findet.

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Wer sind diese 68er? Hitlers Babys, die meisten noch in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs gezeugt und gewickelt. Was danach kommt, ist grün. Was sagt uns das? Sie sind salviert.

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Einmal unter dem Führer in die Windeln geschissen, es ist nie mehr wegzubekommen.

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Die grünen Jahrgänge haben sich über Kohls ›Gnade der späten Geburt‹ empört, weil sie wussten: Sie stand erst ihnen zu. Aber alles hat seinen Preis.

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Es gibt immer einen Sündenfall. Finde ihn und du kannst die Glanzstücke des Versagens aufziehen wie die Perlen einer Kette. Du musst nur aufpassen, dass sie dir nicht am Ende wie der berühmte Mühlstein am Hals hängt.

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Die Aufforderung an die Figuren eines Reliefs, sich von der Wand zu lösen, geht an der Sache vorbei.

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Misstraue Menschen, die dich über deine Krankheiten ausquetschen. Sie wollen dir überlegen sein.

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Du hast über deine Kindheit geschwiegen, weil du dachtest, sie gehe niemanden etwas an. Stattdessen hast du ein Leben lang über diesen Niemand geschrieben. Betrachte dein Œuvre als Tribut an die Kindheit, die nie vergeht.

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Man betrachtet die Kindheit als Vorbereitung auf das wirkliche Leben. Wie wäre es, die Kindheit als das wirkliche Leben anzusehen und das sogenannte Erwachsenendasein als Koda, als dienstbares Anhängsel, damit neue Kindheit entsteht?

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Alles erwachsene Glücksgefühl ist kompensatorisch.

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Heute lernen wir die ›Dreißiger‹ und hoffen, die Vierziger bleiben uns erspart. Viele haben die Hoffnung bereits aufgegeben und warten inbrünstig auf die Fünfziger.

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Die ungeheure Neuheit der Welt, das eigene Dasein inbegriffen, ist das eigentliche Substrat der Kindheit und das zutiefst unbewusst bleibende Wunder.

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Man wird erwachsen, um anderen das Erwachsensein zu bestreiten. Schon das zeigt zur Genüge, wohin die Reise geht. Das ganze Erwachsenendasein dreht sich um die Unmündigkeit anderer.

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Lehrer und Politiker halten sich für besonders erwachsen. Gerade das bestreitet der Rest der Bevölkerung mit Verve. Dennoch muss er am Ende klein beigeben.

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Der Mensch, der sich nicht an seine Kindheit erinnert, ist zum Erwachsenendasein verdammt.

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Man hält Kinder abwechselnd für naiv und gerissen, ohne zu bedenken, dass es sich beide Male um dasselbe handelt: ihr vollkommen gegenwärtiges In-der-Welt-Sein. Kinder haben keine Erinnerungen. Sie wissen, was war.

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Die junge ukrainische Mutter in der Kampfzone, ihr Kind wiegend, mit glänzend geweiteten Augen: »Es soll nicht erfahren, dass Krieg ist.« Was wohl aus den beiden geworden sein mag?

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Russland schuldet der Welt eine Entschuldigung.

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Ich habe meine Mutter verloren, bevor ich denken konnte. Ich weiß das, denn ich weiß, dass sie da war. Sie entzieht sich nur der Erinnerung. Sie ist der weiße Fleck, der nicht weggeht.

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Zwei Bilder, die alle anderen auslöschten: die abgemagerte Krebspatientin im Endstadium, zwei fiebrig glänzende Augen und eine fremd klingende Stimme, die der älteren Schwester den kleineren Bruder überantwortete (die damit, wie zu erwarten, pünktlich überfordert war). Ein paar Tage später dann das wächserne Gesicht im Sarg.

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Im Alter wird die Kindheit wichtiger, weil sie es immer war.

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Von der Mutter muss man sich im Mutterleib lösen oder es gelingt nie.

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Dass die Hyperkorrekten an der Mutterschaft zerren, versteht sich von selbst: Korrektheit, und sei sie nur im Verbalen, ist schrecklich unfruchtbar.

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Dass so viele Ältere der Welt nicht grün sind, halten die Jüngeren für einen Defekt. Wären sie klüger, verstünden sie den Zusammenhang zwischen ihrem Glauben und der Skepsis der Alten.

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Im Alter ist Skepsis kein Verdienst. Ein leerer Horizont auch nicht.

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Wem es nicht gelingt, seine Leserschaft von Zeit zu Zeit zu halbieren, der kann gleich mit dem Schreiben aufhören.

Notizen für den schweigenden Leser

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