Der Ausdruck ›toxische Rede‹, ein Neologismus, lässt daran denken, dass das Deutsche traditionell zwischen ›giftiger‹, ›vergifteter‹ und ›vergiftender‹ Rede unterscheidet. Der giftende Sprecher wirkt erregt und will verletzen (oder herabsetzen), wobei er selbst sich verletzt zeigt. Verletzt sein und verletzen wollen bilden eine emotionale Einheit, die spontan entsteht und verfliegt. Anders liegen die Dinge bei der vergifteten Rede: Hier steckt das Gift in der Sprache, derer sich einer bedient, meist (und leicht erkennbar) im Vokabular, oft auch in idiosynkratischen Wendungen oder im gewollten (und im Ernstfall abgestrittenen) Doppelsinn der gewählten Formulierung. Vergiftende Rede hingegen ist an ihren Auswirkungen erkennbar, die von der vergifteten (zwischenmenschlichen) Atmosphäre bis zu strukturell geschädigten Beziehungen reichen: Hier bestimmt die Absicht das gewählte Idiom. Sie kann auch unbewusst wirken, jedenfalls wird das oft als Entschuldigungsgrund ins Feld geführt.
Warum die Unterscheidungen? Weil die Sache selbst (und das Reden darüber) giftig ist, bzw. rasch giftig werden kann. Man erkennt das daran, wie rasch Brachialkritiker der Gesellschaft von der Rede zum Sprecher oder seinen unveräußerlichen Eigenschaften (der ›toxische Mann‹) wechseln, sobald es ihnen in den Kram passt oder der Kampfeseifer sie übermannt. Wer Differenzen, die in der Sache gründen, mit modischen oder sorgfältig zu Propagandazwecken ausgewählten Zauberwörtern überdeckt, muss sich bewusst sein, dass er sich in der Mehrzahl der Fälle selbst vergiftender Rede bedient und damit in der Regel das Gegenteil dessen erreicht, was zu erreichen er sich vorgenommen hat – von punktueller atmosphärischer Reinigung bis zu einem generell respektvollen Umgang der gesellschaftlichen Gruppen untereinander. Wie immer man die Sache dreht: Die Bezeichnung fremder Rede als toxisch fügt dem kulturellen Vorrat an typisierten Beleidigungen eine weitere hinzu und provoziert die entsprechenden Reaktionen. Das schließt nicht aus, dass der Vorwurf unterschwellig weiterwirkt und und am Ende beim Einzelnen doch die erwünschte Wirkung erzielt. Sicher ist das nicht.
Mag sein, mag nicht sein… – auf alle Fälle liegt der propagandistische Zweck obenauf. Und der heißt Feindmarkierung: Der Vorwurf toxischer Rede macht all diejenigen kenntlich, die ihn allenfalls in ironischer Brechung zurückgeben, gleichsam in Anführungszeichen, weil sie sich, zu Recht oder Unrecht, als Gruppe angegriffen oder einer Gruppe zugewiesen sehen, der sie sich nicht zugehörig fühlen. Und damit liegen sie nicht falsch. So fungiert eine Vokabel, deren Nominalbedeutung auf Missrede in der Gesellschaft verweist, in der Praxis als Weltanschauungsseparator, sprich: der Erzeugung und Vertiefung von Freund-Feind-Konstellationen. Das wird spätestens dann bedeutsam, wenn sich, wie es seit einiger Zeit geschieht, die Politik ihrer bemächtigt. Letzten Endes führt kein anderer Weg aus sprachlich erzeugten Dilemmata heraus als der Verzicht beider Seiten auf das tückische Kraftwort – es sei denn, Verfeindung wäre der Zweck der Übung, wovor der Spurengeist Redlichkeit die schlafwandelnde Gesellschaft bewahren möge.