Eritis sicut deus. Geht man dem Versprechen nach, dann trifft man auf die Schicht des Banalen – die Banalität des Bösen, ja sicher: Hannah Arendt hat mit diesem Ausdruck eine Tür geöffnet, die tiefer in die geschichtliche Welt hineinführt, als ihr – und den meisten ihrer Leser – das vielleicht bewusst war. Sein eigener Gott sein ist gleichsam die Basisformel aller Banalität, sprich der Verwandlung des Menschlichen, was immer es sei, in etwas, das keiner Geltung fähig ist. Das kann sich – in der Realität – zu Massenverbrechen steigern, aber es hat im Kern ›nichts zu bedeuten‹, wie verstörend ein solcher Gedanke auch wirkt.

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Der technische Fortschritt sorgt dafür, dass seit Beginn der industriellen Revolution wohl keine Generation mit einer vorhergehenden hätte tauschen mögen. Für sie alle gilt, dass aus einer imaginierten Sicht der Vorfahren sich die Grenzen des Menschseins ein wenig ins Transhumane verschoben haben. Jede neue Klasse von Gegenständen, Organisationsformen oder schierem Reichtum erweitert das Bewusstsein, die Handlungsmöglichkeiten und damit den Begriff des Menschseins. Das ergibt sich sozusagen ganz von selbst und straft den naiven Konservatismus Lügen, der vorgibt, die alten Zeiten herbeizuwünschen und an der kleinsten Komforteinbuße scheitert.

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Die Wortführer des aktuell hoch gehandelten Transhumanismus, der eine absolute Grenze zu setzen versucht, begehen den alten Fehler der Menschheitsplaner: Sie packen ein Projekt an die Stelle geschichtlicher Entwicklung und legen durch eine simple Kategorienverwechslung den Grund seines Scheiterns gleich mit. Was immer die (in der Suada dieser Vollmundigen) erste transhumane Generation von der vorhergehenden unterscheiden wird, gemessen am realen Dasein der Menschen wird es sich so banal ausnehmen wie der Gebrauch von Zahnpasta und Mobiltelefon heute. Dabei ist die Frage nach der von jeder neuen Technologie ausgehenden Gefahr noch gar nicht gestellt. Für sie gilt: Jeder neue Umgang will gelernt sein, manchmal zu ausgesprochen hohen Kosten.

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Der Mensch ist immer neu, das gehört zu seinen elementaren Eigenschaften, an denen sich auch dann nichts ändert, sollten ihm eines Tages vier Ohren und ein paar Antennen sprießen. Insofern gehört der ›neue Mensch‹ zu den Ladenhütern, mit denen Proselytenmacher die Menschheit in Abständen zu beglücken pflegen. Wenn Darwin die Evolution entdeckt hat, dann Nietzsche ihre Anbetung: Strammstehen und das Wunder der Transformation erwarten. Ich weiß, die Feststellung ist geeignet, gestandene Nietzscheaner zu empören. Mit dem Strammstehen allein ist es auch nicht getan: Äußerste Anspannung aller Kräfte ist geboten, soll das Wunder gelingen. Dabei ist Arbeitsteilung angesagt: Die einen spannen die Kräfte und die anderen streichen die Rausch-Rendite ein, bevor es ein weiteres Mal heißt: Aus der Traum.

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In biologischer Hinsicht ähnelt die Menschen-Zeit der Erd-Zeit: Sie ist und bleibt eine theoretische Größe, die sich der Zeiterfahrung des Einzelnen entzieht. Es ist und bleibt aber für den Einzelnen schwierig, die eigene Existenz innerhalb von Parametern zu denken, angesichts derer seine eigene Existenzspanne in Bedeutungslosigkeit versinkt. Auch so tickt Bewusstsein: das ganze Drama soll sich im eigenen Lebenszyklus vollenden, und sei es im Leben nach dem Tod. Den besten Beleg dafür liefern gegenwärtig die Klimafanatiker, denen mühelos der Spagat zwischen dem Urvertrauen in Mutter Erde und einem panischen Endzeitglauben gelingt, der weiß, dass, wer den Ruf nach Umkehr ignoriert, ›uns alle‹ in den Untergang reißt.

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In der Assistenz des Gäa-Glauben bekehren sich die christlichen Kirchen zum Neuheidentum, nachdem sie ein Jahrhundert lang in der Glaubensspannung ausharren mussten, die durch die siegreiche Botschaft ›Gott ist tot‹ über sie kam. Ein Planet, der den Menschen zum Lakaien degradiert, kann alles Mögliche sein, aber sicher keine Schöpfung im Sinne des Christenglaubens. Er ist ein Götze im alttestamentarischen Sinn des Wortes. Was Ressourcenbewirtschafter glauben, ist eine Angelegenheit zwischen ihnen und dem Sachverstand derer, die etwas davon verstehen. Die Religion in den Grenzen der Vernunft hat oder hätte hier keine Stimme – und die außerhalb dieser Grenzen erst recht nicht.

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Drücke ›den Menschen‹ per Dogma in eine dienende Rolle gegenüber der Natur, etwa dem lebenspendenden System Erde, und du erklärst jede Ressource, so klitzeklein sie auch sei, zu einer Manifestation des Heiligen, dem er sich nur auf Knien oder besser überhaupt nicht zu nähern hat. Damit liegt die Verfügung über die Existenz jedes Einzelnen in den Händen der großen Verfüger, ausgestattet mit priesterlicher Gewalt (›zu binden und zu lösen‹), also von Leuten, die ihre Entscheidungen im Namen des Höchsten treffen und folglich, was immer sie im Detail beschließen, unbelangbar sind. Das klingt verblasen, aber angesichts der Möglichkeiten von Propaganda kann daraus im Handumdrehen eine vitale Agenda entstehen. Wachs in den Händen der Hüter sein – war das nicht immer das Schafsideal aller um ihr Erbe Betrogenen?

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Nahe der Macht entstehen keine neuen Gedanken. Im Gegenteil: Bevor sie in ihren Dunstkreis eintreten, haben sie weite Wege zurückgelegt, sie kommen matt und ausgelaugt an und glitzern scharf in der kalten Sonne. Wer sie im Stadium der Frische und Beweglichkeit kennenlernen will, der muss sie an den Orten ihrer Entstehung aufsuchen. Die Universität ist dafür ein ausgezeichneter, wenngleich nicht der ideale Ort. Hier erfahren sie ihre primäre Vervielfältigung und treten, gleichsam in vitro, in den Durchsetzungsprozess ein. Aus ›Auszubildenden‹ werden Eingebildete, die sich ihren Weg in die Elite bahnen. Wann sie dort ankommen? Wann sie das Sagen übernehmen? Auch das ist ›Prozess‹. Zwanzig Jahre sollte man dafür schon kalkulieren. Was ist dann ›Stand des Denkens‹? Eines ist sicher: Er ist ein anderer.