Intelligenz kennt keine Freunde. Wo sie sich gegenseitig befeindet, geht es um Superiorität pur, ohne Rücksicht auf Geld, Macht, Sex, diese Mittel im Spiel, die immer bloß mediokre Ziele sein können. Was Machtmenschen im seltensten Fall erreichen – niemanden Höheren über sich zu haben –, das gilt unter Intelligenzmenschen als normal. Darum werden die Debatten der Intelligenz schnell hitzig: kaum ein Beitrag, der ohne die versteckte Andeutung auskäme, der andere könne dem Autor nicht das Wasser reichen, und wo er es dennoch versuche, sei es mit Bestimmtheit das falsche. Wo sie im Pulk auftritt, wie bei Journalisten und Professoren, und demgemäß Rücksichten dominieren, vergeht sie sich rasch an sich selbst. In diesen Regionen ist es ratsam, nicht allzu viel Intelligenz in die Waagschale zu werfen, vor allem im Journalismus, in dem die Intelligenten stets in der Unterzahl sind. Das wahre Glück der seriell geschalteten Intelligenz ist der Alkohol, er löst das Problem auf leise, leider aufs Ende zu gelegentlich brutale Weise.
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Journalismus war und ist der Nährboden des Antiintellektualismus. Ein Journalist, der zur Ruhe des Denkens gelangt, ist keiner mehr, ein Intellektueller, den das Medium aufgesogen hat, kein Intellektueller, jedenfalls nicht im puristischen Sinne des Wortes. Die meisten Intellektuellen sind Zwitter, sie tragen das Drama aus Neid und Hochmut, das zwischen den Parteien spielt, mit sich herum: ein Amulett, das pünktlich zu glühen beginnt, sobald sich ein passender Anlass findet. Neid und Hochmut … zwei Affekte, die coram publico jeder Befallene leugnet. Woraus folgt, dass dieses Verhältnis nie ehrlich sein wird, gleichgültig, wie hoch sich die wechselseitige Lobhudelei im Ernstfall schraubt. Man merkt es an den Phrasen, die sie übereinander gebrauchen: Sie wirken immer falsch.
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Die Einsamkeit des Intellekts verdankt sich dem Pathos der Distanz. Denken ist das Herstellen von Distanz, immer und überall: Wo keine sich aufbaut, da wird nicht gedacht, sondern Einmütigkeit zelebriert. Wenn alle eines Mutes sind, wer braucht da Mut und wozu? Der Mut aller trägt über jede Grenze. Wären alle stets alle, dann ginge die Einmütigkeit über alle Grenzen. Der Alltag sieht anders aus. So sieht man Gruppen, die ihre Streitereien mit den immer gleichen Argumenten austragen, in Worten, die schon ihre Vorgänger benützt haben – und selbstredend ihre Feinde auch. Es ist nicht gefährlich, in Gruppen zu denken, es ist unmöglich. Wer denkt, schert aus. Was nicht besagt, dass jeder, der ausschert, ein Denker ist. Er kommt sich aber so vor. Kein Wunder, dass die Welt, vor allem in Angstzeiten, von falschen Denkern wimmelt, denn das Ausscheren kann viele Gründe haben und die meisten davon sind keineswegs freiwillig.
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Die Klasse der Intellektuellen entstand mit dem Nationalstaat. Als die soziale Frage zum Prestige-Motor wurde, wechselte sie ins internationalistische Fach. Dieses Chamäleon führte dem Autor Julien Benda die Hand, als er das Buch Der Verrat der Intellektuellen schrieb – ein Werklein, das dem Publikum etwas verrät, was ohnehin jeder weiß: Im Vatikan sitzt ein Atheist. Das geflügelte Wort vom Verräter soll die Klasse zusammenschweißen und übt just damit Verrat am Intellekt. Kein Wunder, dass die Partei der Arbeiterklasse sich den handlichen Topos zunutze machte, um aufzuräumen und jene unsägliche Spezies der Kultur- und Medienschaffenden zu erschaffen, deren Leib-und-Magen-Aufgabe darin bestand, den Klassen-, vormals Rassenstandpunkt zu zementieren. Das Schimpfwort vom ›freien‹ Intellektuellen hat die Auflösung des Sowjetreichs überlebt – er gehört zur Pseudo-Klasse der unnützen Esser und Maulaufreißer und damit … Schwamm drüber! Kein falsches Wort! Wo diese Parole kursiert, da ist … Schluss mit lustig. Daher sagt man es englisch.
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Im vereinten Deutschland übernahm es eine Gruppe von Journalisten, die Selbstauflösung der Intellektuellenklasse oder -kaste publizistisch zu begleiten: ein Akt der Anpassung an die neue strategische Lage, vergleichbar dem Zurückschrauben der riesigen Panzerarmeen, die sich eben noch an der Elbe gegenüberstanden. Das letzte Fossil, das dran glauben musste, war Günter Grass, als er tat, was er sein Leben lang getan hatte: Israels Selbstverteidigungskünste zu verschreien. Da war er schon aus der Zeit gefallen. Journalisten übernahmen den Job der Bloch, Adorno, Schelsky, Böll, der Enzensberger, Habermas, Luhmann, Grass, Sloterdijk & Co. und errichteten im Namen der ›Wahrheit über…‹ eine Welt aus Schein: die journalistische Hölle, in der brutzelt, wer immer mit Fragen ankommt, an deren Beantwortung den Auftraggebern gerade (oder überhaupt) nicht gelegen ist. Denn ›echter‹ Journalismus, wer wüsste es nicht, ist Auftrag.
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Natürlich war und ist das Überforderung pur…: Was soll schon passieren, wenn Leute, angewiesen, aufs Stichwort zu reagieren, sich in die Rolle der Stichwortgeber hineinschmuggeln, um auf beiden Seiten des Vorhangs tätig zu werden? Sie warten auf den Rattenfänger, der sie alle einsammelt. Das kann ein junges Mädchen sein, das Zornestränen über den Zustand der Welt vergießt, es kann aber auch ein Programm sein, gut mit Fördermitteln gepolstert, das ihnen suggeriert, an einer großen und guten Sache beteiligt zu sein und daran mitzuwirken, dass endlich eine andere Welt entsteht – hier wirkt das fatale Erbe der verschwundenen Klasse nach, die sich nach nichts mehr sehnte als danach, in den tätigen Massen unterzugehen – nachdem man als solus ipse abkassiert hatte, was für einen selbst drin war. Die intellektuelle Grundverlogenheit, für die der Geist stets dort stand, woher der Wind wehte … untermischt mit der Angst der Journalisten, durch Programme und Algorithmen überflüssig zu werden und im Grunde bereits zu sein, ergibt das seltsame Gewölk, das alle Ecken und Ritzen der gesitteten oder auch nur braven Gesellschaft ausfüllt und einen Geisteszustand bewirkt, der jeden Verdacht, betrogen zu werden, entrüstet von sich weist. Die wirkliche Beweislastumkehr, die erst gar keine Beweismittel zulässt, findet Abend für Abend in den Wohnzimmern statt.
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Masse ist manipulierbar: wie und womit, das hängt ganz vom Stand der Technik und dem Besitz der Produktionsmittel ab. Wie die Twitter-files zeigen, finden die großen Akteure sich ganz von selbst ein, denn Manipulation ist Macht und wo Macht ist, da wird manipuliert. Und dennoch … der entscheidende Faktor des von den sogenannten ›sozialen‹ korrumpierten Mediums liegt im bescheidenen Preis der Teilhabe, der die Findigkeit des Einzelnen zum überwiegenden Produktionsfaktor erhebt. (Natürlich lässt sich auch an dieser Schraube drehen.) Nun ist Findigkeit nicht gleich Intellekt und Intellekt nicht gleich Intellektuellentum. Wer die Realverhältnisse noch einmal will, nämlich im Raum einer grundsätzlich ›horizontalen‹ Kommunikation, der darf sich nicht beschweren, wenn alle schon da sind und auf Beute lauern. In schöner Deutlichkeit zeigt sich im Internet das Paradox herrschaftsfreier Kommunikation: Herrschaftssicherung und ‑dekonstruktion wachsen auf einem Holz.