Macht Sinn / macht (alles) keinen Sinn: Was macht die Menschen so sicher? Was macht sie überhaupt sicher? Der Augenschein, die Emotion, das Kalkül. Was steckt hinter den dreien? Das Begehren. Was steckt hinter dem Begehren? Hier stockt die schnelle Antwort, der Mensch verfällt ins Grübeln. Was steckt hinter dem Begehren? Der Mensch? Das Tier im Menschen? Welches Tier? Das menschliche…? ›Schauen wir ins Gehirn! Da liegen sie blank, die Funktionen.‹ Hoppla, der Übergang kommt etwas abrupt. Die Antwort ist sinnvoll, doch sie trifft nicht den Sinn. Auch der Sinn von Interpretationen, wie jeder Sinn, ist Interpretationssache. Was ›uns‹ sicher macht, ist Kultur. Man kann das ›uns‹ dieses Satzes nicht stillschweigend streichen. Deshalb wirkt das Geschwätz vom bösen ›Kulturalismus‹ vor allem dümmlich. Es leugnet das Offensichtliche: dass der Mensch sich in seinem kulturellen Mantel sicher fühlt und nirgends sonst. In der Diaspora schaltet das kulturelle Bewusstsein von Selbstverständlichkeit auf Überlegenheit um. Der Mensch in der Fremde fühlt sich kulturell überlegen oder er geht verloren. Das Gefühl kann schleichend kommen oder abrupt – aber es kommt. Das schließt Bewunderung für das Fremde nicht aus. Bewunderung und Verachtung wachsen auf einem Holz.
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Versagt die ›Bildung‹, entsteht Randale. In ihr reduziert sich das ›Eigene‹ auf die Aktion. Der ›nackte‹ Mensch fühlt sich unsicher und wird rasch aggressiv. Das Gruppenbewusstsein bündelt die Aggression und gibt ihr Scheinziele. Dahinter blitzt der – weithin vergebliche – Kampf um Anerkennung auf. Das Anerkennungsziel der randalierenden Gruppe lautet: Werde zum Problem. Gibt die Gruppe sich ein politisches Ziel, dann bekommt die Randale Sinn: Wir erpressen die Macht. Doch erpressbar sind nur deren Inhaber. Ihre Rolle ist temporär und prekär, sie sind gezwungen zu reagieren, wollen sie nicht, dass die Macht ihnen über kurz oder lang entgleitet. Sie müssen also entscheiden, ob ihnen aus dieser Ecke Gefahr droht und welche Gefahr größer ist: das Problem der randalierenden Gruppe nicht zu erkennen oder das Problem, das ihr Verhalten bei anderen aufwirft. Rational betrachtet, konvergieren die beiden, aber nicht wirklich. Wo immer die Regierung Gefahr läuft, falsch zu reagieren oder ›den Zug zu verpassen‹, erhöht sich der Druck ihrer Gegner und die Randale dient als Hebel der Opposition. Da zeigt sich eine der vielen Ecken, an denen Politik in Sprachpolitik umschlägt. Sprachpolitik wiederum … ist nur ein anderes Wort für den Versuch, an dieser Stelle ein Tabu zu errichten. »Wollen Sie diese Diskussion wirklich verhindern?« »Natürlich nicht, aber es muss doch…« Nichts muss.
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Das situativ verfügte Sprachtabu dient der Überrumpelung. Der Gegner weiß, er darf nicht zappeln, andernfalls zieht sich das ausgeworfene Netz über ihm zu. Jede Bewegung könnte fatal sein. Am fatalsten jedoch wäre Bewegungslosigkeit: Sie überlässt das Feld der anderen Seite, die ihren Triumph davonschleppt wie … die Hyäne das Aas. Die einfachste Entgegnung auf das versuchte Sprachtabu ist der Hohn. In den Niederungen der Politik gleitet er allzu leicht in Entrüstung ab. Das wiederum spielt dem Gegner in die Hände: Was haben wir denn da? Hate Speech! Wer sich gegen das einseitig verhängte Tabu zur Wehr setzt, heißt das, befleißigt sich der ›Hassrede‹ und macht sich damit strafbar. Strafbar im weiteren Sinne, denn die eilig erstatteten Anzeigen sind (und bleiben in den meisten Fällen) Teil des politischen Kampfes. Es handelt sich um eine der gängigen Schamfallen: Wer hineintappt, ist der Dumme. Wer nicht hineintappt … nun, den haben wir neutralisiert. Angesichts von Sprachfallen gibt es kein korrektes Verhalten. War man selbst an der Errichtung beteiligt und macht sich die (unmögliche) Korrektheit zur Pflicht, dann schafft man sich als ernstzunehmender Konkurrent ab und wird zum Gegenstand von Hohn und Verachtung. In Deutschland ist das der Post-Merkel-CDU widerfahren, die sich nicht aus dem Schatten des Verhängnisses lösen kann – sei es aus wirklicher, sei es aus bloß intellektueller Schwäche.
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Das bürokratisch verfügte Sprachtabu funktioniert anders. Man wird straffällig (oder fällt auf), wenn man einen Sachverhalt korrekt beschreibt, aber in ›unkorrekter‹ Sprache. Prima vista erscheint das seltsam, weil das einzige Kriterium korrekter Sprache in der Adäquatheit liegt: Sachangemessene Rede kann nicht inkorrekt sein, allenfalls missliebig. Wobei Sachangemessenheit auch eine soziale Dimension besitzt: Wörter tendieren dazu, fatale Nebenbedeutungen mit sich zu führen. Auf diesem Klavier lässt sich trefflich klimpern: sobald Hypersensibilität mitmischt, öffnet sich ein Türchen in den weiten Raum subjektiver Anmutungen, das sich nie mehr schließen lässt, es sei denn, man einigt sich darauf, dass es nicht von Belang sein soll. Eine US-amerikanische Bildungseinrichtung, liest man, soll das Wort ›Feld‹ aus der Liste der erlaubten Wörter gestrichen haben. Sie begründet den Schritt damit, dass es die Nachfahren der zur Feldarbeit gezwungenen Sklaven an das Elend ihrer Altvorderen erinnere. Aus der Ferne hört sich das seltsam an, weil die Klientel, die zu schützen man vorgibt, exakt diese Erinnerung sich und ihrer Umwelt zur Pflicht gemacht hat und keine Gelegenheit auslässt, darauf zu sprechen zu kommen. Andererseits: Nichts hält frischer als ein geschickt platziertes Tabu.
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Man kann sich über den ›Unfug‹ mokieren, aber er liegt auf der Linie aller ›Korrektheit‹. Fatal daran: wie jede erinnert auch diese zwanghaft an die Unkorrektheit, die draußen bleiben muss wie der Köter, der jeden ankläfft, der die Tür zum Sitzungszimmer passiert. Alles Vergangene, behaftet mit dem Schmutz der Geschichte, ist unkorrekt. Sprache dient dazu, das Gegenwärtige und das Vergangene zu bezeichnen. Solange sie funktioniert, ist sie der Bote, nicht die Botschaft. Man kann ihr Funktionieren systematisch untergraben, indem man den halbwahren Satz The medium is the message konsequent in Alltagsattitüde umsetzt: Seht her, wie schrecklich all das ist, was da gesagt wird. Natürlich untergräbt man damit Gesellschaft. Es wäre naiv zu glauben, genau das wäre nicht gewollt. In dieser Hinsicht ist der Titel des Buches von Douglas Murray, Krieg dem Westen, gerechtfertigt. Natürlich ist ein Großteil dessen, wovon es berichtet, Schwachsinn. Aber dieser Schwachsinn hat Methode.
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Dagegen führt die Frage, wer dahintersteckt, ein Stück weit in die Irre. Nichts natürlicher als dass sich Interessen damit verbinden: Gesellschaft ohne Interessen wäre keine. Diese Bewegung geht durch alle Köpfe hindurch, gleichgültig, wie sie sich dazu verhalten. Ein Teil der Humandisziplinen, auf gesellschaftliche Relevanz getrimmt, geht ihr voraus und erzeugt die Ideenwolken, Berufsideologen verwandeln sie in Initiativen und die bessere Hälfte der ›hart arbeitenden‹ Bevölkerung nickt dazu, weil es sie dunkel an das erinnert, was aus der Studienzeit hängengeblieben ist. Mehr Urheberschaft ist nicht vonnöten. Verschärfend wirkt, dass die breite Bevölkerung neue Techniken wie das Internet noch nicht wirklich beherrscht. Manipulateure haben da leichtes Spiel. Virtuelle Gemeinschaftsräusche, durchsetzt mit Ausnüchterungsphasen, in denen man gegen die Macht der Kontrolleure anrennt, zeugen davon, dass auch der rechte Gebrauch neuer Medien ›Kultur‹ ist, die langsam wächst, während der Missbrauch fertig und zur Stelle ist, sobald die Geräte bereitstehen. Hier wie überall lautet die Botschaft: Leute, lernt lesen!