Whataboutism – der Vorwurf, nicht zur Sache zu reden, stattdessen beliebig anderes aufs Tapet zu bringen, damit das Sachgespräch zu durchkreuzen und schließlich zu vereiteln, hat Konjunktur bei Leuten, denen nichts ferner liegt als das Gespräch zur Sache. Auch hier liegt ein alter Propaganda-Trick zugrunde. Man unterstellt der Gegenseite gerade das, worauf die eigene Aktivität hinausläuft. Die Behauptung des Whataboutism, als Waffe geführt, ist ein Whataboutism, der auf Gesprächsabbruch zielt. Dass er das vermag, liegt daran, dass die Frage, ob jemand noch zur Sache redet oder nicht mehr, nur in der Sache entschieden werden kann. Soll heißen: Solange beide Seiten sich im Modus der Sachlichkeit bewegen, bleibt der Vorwurf substanzlos. Die Unterbrechung liegt im Vorwurfscharakter. Darüber, ob etwas zur Sache gehört oder nicht, lässt sich sachlich verhandeln – muss sachlich verhandelt werden, soll nicht der Effekt eintreten, den der Vorwurf behauptet. Der Vorwurf des Whataboutism führt das Behauptete herbei. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

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Die Frage, was zur Sache gehört oder nicht, bleibt immer spannend. Blindheit treibt die Menschen ins Verderben: die Unfähigkeit zu sehen (oder sehen zu wollen), was noch zur Sache gehört. Doch auch das Gegenteil trifft zu. Ein zu weit gefasster Handlungsrahmen schmälert die Aussichten, ein Projekt erfolgreich zu Ende zu führen, beträchtlich. Gleichgültig, ob es sich um theoretische oder praktische Projekte handelt – letztlich entscheidet das subjektive Augenmaß über Gedeih und Verderb. Sind mehrere Subjekte im Spiel, dann entscheidet das Verhandlungsgeschick des Einzelnen – eine externe, aber nicht unerhebliche Größe, sofern die siegreiche Person dem Projekt als Verantwortungsträger erhalten bleibt. Andernfalls tritt früher oder später das ein, was der Autor von Skin in the Game, Nassim Nicholas Taleb, als Produktion von ›bull***t‹ bezeichnet: »First, you show pictures of starving children to elicit sympathy and prevent further discussion – anyone who argues in the presence of dying children is a heartless a**hole. Second, you make it look like any critic of your method is arguing against saving the children. Third, you propose some scientific-looking technique that is lucrative to you and, should it cause a catastrophe or blight, insulates you from the long-term effects. Fourth, you enlist journalists and useful idiots… Fifth, you create a smear campaign to harm the reputations of researchers who, not having f*** you money, are very vulnerable to the slightest blemish to their reputations.«

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Nicht immer müssen es, wie die Ereignisse des Winters 2019/20 gezeigt haben, hungernde Kinder sein, deren Bilder um die Welt gehen. Der wirkungsvollste Whataboutism von allen: die lähmende Angst, unter den nächsten Opfern zu sein, falls nicht dies und das sofort veranlasst wird. Sie sabotiert den ›rationalen Diskurs‹ von Grund auf und verwandelt die Akteure auf der öffentlichen Bühne in Hampelmänner eines irrlichternden Volkszorns, der jeden wegzufegen droht, der sich den Maßnahmen in den Weg stellt. Welchen Maßnahmen? Egal. Hauptsache, sie enthalten ein Schutzversprechen. Das magische Wort ›Impfung‹ steht optimal für ein solches Versprechen, gleichgültig, wie fundiert es daherkommt. Impfung bedeutet Schutz. Eine semantische Falle, gewiss, aber die Tatsache bleibt bestehen: Der Erstbeste, der diesen Schutz-an-sich in Aussicht stellt, ist Herr der Situation: Er diktiert die Bedingungen. Keine Regierung der Welt kann sich zwischen die grassierende Todesangst der Bevölkerung und das im Wort ›Impfung‹ enthaltene Versprechen stellen. Ihnen allen bleibt nur die Alternative, die Welle zu reiten oder von ihr verschlungen zu werden.

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Leere Versprechungen bei vollen Kassen: Selbstverständlich könnte man den Menschen die Angst nehmen. Aber damit nähme man sich selbst das Recht, die Kassen zu plündern, soll heißen, sich wichtig zu machen und die res publica in einen Selbstbedienungsladen zu verwandeln. Bediene sich, wer kann! Geld, Macht, Prestige … und ganz nebenbei den Umbau der Gesellschaft voranzutreiben, der schon so lange auf der Agenda stand, aber durch das störrische Eigenverhalten des in seine Tasche wirtschaftenden Bürgers ausgebremst wurde. Der berühmte Umbau: Wer sich ausrechnet an ihm zu verdienen, der ist dabei. Die anderen, das hat man in langer Praxis begriffen, müssen in Schach gehalten werden. Schach dem Bürger! Man nehme ein ausgereiftes Gesundheitssystem und verwandle es durch ein paar dubiose Maßnahmen in einen Hexenkessel der Inkompetenz – maximaler Effekt! Wir werden uns viel zu verzeihen haben heißt die Parole der langen Stunde, die nach Wunsch und Laune der Initiatoren nie zu Ende gehen dürfte. Man nehme ein rationales Energiesystem, das auf dem einfachen Gedanken der Versorgungssicherheit beruht, und verwandle es in ein von öffentlichem Whataboutism getriebenes Vabanque-Spiel. Man verwandle eine langweilige, auf dem Gedanken des Ausgleichs beruhende Außenpolitik in ein Himmel-und-Hölle-Spiel, bei dem man nur verlieren kann, man verwandle einen halbwegs friedlichen Kontinent in eine Brutstätte der Teufelei, man nehme…

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Handlungssicherheit ist das A und O des liberalen Gemeinwesens. Wer den illiberalen Staat will, weil er die Gesellschaft nur projektförmig denken kann (was bedeutet, dass er sie in der Hand haben will), aber vergebens auf Zustimmung der Bevölkerung hofft, der muss Unsicherheit an die Stelle von Sicherheit setzen – nicht partiell, nicht hier und da, wo sie normal wäre, sondern im Großen und Ganzen, aber dort, wo es weh tut. Fragt man sich, wer so etwas will, dann stößt man auf gesellschaftliche Minderheiten, ausgestattet mit großer informeller Macht: die Ideologiebranche auf der einen, den Geldadel auf der anderen Seite. Ihr Zusammengehen ist stets nur eine Frage der Zeit. Dabei muss niemand gezwungen sein, das große Geld zu hofieren. Erstens ist es nicht nötig, geliebt zu werden, um Reichtum zu mehren, zweitens ergibt es sich kraft der Magie des Geldes ganz von allein. Man kann die Ideologiebranche – sprich: Medien, NGOs, Weltbehörden auf der Suche nach einer Aufgabe – auch kaufen, jedenfalls in finanzielle und technische Abhängigkeiten manövrieren. In diesem Fall gilt das Wort: Jeder tut, was er kann. Man kann sie auch kommen lassen… Wer in Windräder investiert, damit die Erde nicht abschmiert, der kommt irgendwann … aber sicher…

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Zwänge … geborene Ideologen, gewohnt, die Welt auf einer Fingerspitze tanzen zu lassen, unterschätzen notorisch die Macht der Zwänge. Allein schon deshalb, weil sie selbst auf Zwang aus sind: Die Welt soll ihren Gang gehen und da sie offenkundig nicht daran denkt, kann nur der böse Wille eines Feindes sie daran hindern. Schalte den Feind aus und du hast den Gang der Weltdinge in der Hand. Wie schaltet man einen Feind aus, der über Millionen Arme und Beine und, nicht zu vergessen, Gehirne verfügt, die einen Eigenwillen spazieren führen? Man muss ihn lähmen, den berühmten Willen, ganz recht, man muss ihn, durch stete Zuführung von Gedankengift, in seinen Belangen irre machen, man muss ihn zum Zwillingsdasein nötigen… Aber damit schaltet man einen Feind nicht aus, sondern erschafft ihn. Mundus vult decipi. Man spaltet die Gesellschaft in einen willigen und einen widerwilligen Teil. »Das System Erde ist in Gefahr! Wir haben es noch nicht ganz verstanden, wir haben so vieles noch nicht verstanden, aber dies eine wissen wir unbedingt: Du musst dein Leben ändern! Wir alle… Rein in die Arche, ihr Zwillingsfiguren. Wer sähe sie nicht bereits in Gedanken und Hintergedanken, die große Flut, die uns emportragen wird? Die einen so, die anderen so.«

 

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