Schritt für Schritt werden wir an den Krieg herangeführt. Wir spüren die Hand, die schiebt, aber wir sehen nicht den Akteur, dem sie gehört. Während Amerika sich um Dokumente in einer Garage sorgt, sorgen wir uns um Panzer im Vorgarten. Keine Sorge! Wozu sich sorgen, wenn der Präsident Demenz-Signale in die Welt sendet und ein Kanzler den besorgten Bürgern erklärt, warum ihre Sorge unbegründet sei: Wir machen nichts im Alleingang und deshalb wird alles gut. Und wo nichts gut ist, eben da ist alles in Ordnung. Dieser Krieg, der vor aller Augen und Ohren an Fahrt gewinnt, ist der Krieg aller. Wenn alle dasselbe tun, stellt sich die Schuldfrage nicht – der Schuldige steht schon fest. Der Schuldige, einmal festgestellt, spricht uns von aller Verantwortung frei. Und das ist gut so.

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Nein, das ist nicht der Krieg der jungen Männer, die durch die Hölle gehen und verheizt werden – einen so simplen Gedanken zu verhindern bedienen wir uns des Genderspeak, der gerade jetzt unnachsichtig durchgesetzt werden muss; es ist nicht der Krieg der Waffen, die gebaut und verkauft werden müssen, solange der böse Markt es hergibt; es ist nicht der Krieg der Strippenzieher – davor steht der Name des Schweizer Örtchens Davos, wo unser aller Zukunft gleißt; es ist nicht der Krieg einiger geopolitisch hypermotivierter Machtjunkies, denn diese Spezies gibt es gar nicht, sie ist bloß ein böses Gerücht, ausgestreut, um den einzig wahren Schuldigen zu entlasten. Es ist, wie so oft, der Krieg des Bösen gegen die Welt. Er hat angefangen. Oder doch der oder der? Es gibt keinen Anfang vor dem Anfang und wo der Anfang liegt, das bestimmen wir. Und es ist wahr: Er hat es getan. Was hat er getan? Er hat Panzer geschickt. Erinnert uns das…? Nein.

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Wenn Krieg das Schlimmste ist, was Länder einander antun können, warum dann mehr Krieg? Weil mehr Krieg gut ist? Weil noch mehr Krieg allemal besser ist als ein um Haaresbreite verpasster, nein: verpatzter, nein: unausweichlicher Frieden? Weil wir dem Überfallenen mehr Krieg schulden? Steht also die Mitwelt in der Schuld dessen, der den Frieden verpatzt hat – aus Gründen, die auf dem Tisch liegen, aber nicht genannt werden dürfen, weil das dem Feind hilft? Welchem Feind? Warum ist der Feind des Anderen unser Feind? Wo es von ›wir‹ und ›uns‹ nur so wimmelt, da ist Hochamt und die Kollekte nicht weit. Wir fühlen uns gut, die Herzen sind aufgetan, die Börsen gelockert: Her mit dem Zaster! Und wenn es nun einmal beim Zaster nicht bleibt: Fest steht und treu…! Man nennt dergleichen Kriegsmentalität und ist schockiert. Man weiß, sie ist die Mentalität einer radikalen Minderheit. Die Mehrheit will nichts davon wissen. Aber sie gibt nach, sie gibt nach … diese radikale Minderheit nimmt die Position der Stärke für sich in Anspruch: Man hört die Trommeln und nicht die Stille. Es sind die Trommeln, die Stimmung machen. Es sind die Trommler, die Kälber machen.

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Die kollektive Hervorbringung des Schuldigen ist ein bedeutender Schritt auf dem Weg ins Finale: Auf ihn mit Gebrüll! Wenn Moderatorinnen den ›kriegsskeptischen‹ Studiogast fragen, ob er im Ernst glaubt, man dürfe mit dem da verhandeln und ein ungläubiges Gesicht ziehen, sobald dieser ahnungslos bejaht, dann hat das Wort ›moderat‹ jeden Sinn verloren, es ist zu einer Vokabel aus dem Wörterbuch der Sternchenkrieger*innen geworden und kämpft jetzt an anderen Fronten. Man zieht sie in diesen Tagen aus allen Winkeln: Da, die Skeptiker! Die Verhandlungsphantasten! Die Ahnungslosen! – Welche Ahnung ist da gefragt? Nun, es ist weniger eine Ahnung als ein Geschmack: der Geschmack des Krieges, der Geschmack am Krieg, der Geschmack des Todes, der Geschmack von zerfetztem Fleisch … nicht wahr? Es ist aufregend, auf einmal Geschmack zu haben, den Geschmack der Herrschenden… ›Krieg entsteht in den Köpfen‹ – wer hat das gesagt? Gemeint ist damit nicht nur die Banalität, dass ihn jemand beschließen und planen muss. Er muss auch gewollt werden, widerstrebend gewollt von Massen, die wissen oder ahnen oder nichts davon wissen oder ahnen wollen, dass sie den Blutzoll entrichten werden, wenn es denn so weit kommt… Dort der Schuldige, einsam wie ein Turm, und hier unser aller Opfer … das ist die Konstellation, in die es hineingeht, immer hinein, es ist noch viel Platz.

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Wer sein Handwerk versteht, versteht – ein klassischer Trugschluss. Die Propaganda-Handwerker verstehen, was sie tun, doch sie verstehen das Spiel nicht. Sie verstehen es nicht, weil sie nicht länger Mit-Spielende sein könnten, ginge ihnen einmal der Sinn auf. Sie wissen, dass Kriege um Interessen geführt werden, doch sie meinen, es würde genügen, dass sie ihr Interesse am Spiel definierten: Mach mich groß, stark, unabhängig (vor allem letzteres), gib mir Anstellung, Brot, Unterkunft, ein Zuhause… Sie denken, es würde genügen, ein Zuhause zu definieren, sprich: einen ›Standpunkt‹ einzunehmen und endlich Partei zu sein. Endlich Partei! Ja, sie fühlen die Verpflichtung, Partei zu sein. Die Partei rangiert über der Freiheit, Gedanken zuzulassen, die gerade ihr Obdach verloren haben, sie rangiert über der Aufrichtigkeit gegen sich selbst, seit sie als ›selbsternannt‹ gilt, sie rangiert über den bösen Ahnungen, seit der gängige Zwiesprech sie ›ahnungslos‹ schimpft, sie rangiert über der Unparteilichkeit, seit sie ›Verrat‹ oder ›Feindpropaganda‹ heißt. Der Schuldige zieht alle Schuld auf sich, er zieht sie aus dem Gemeinwesen heraus, das von Tag zu Tag unschuldiger dreinblickt. Bald wird es wie neu geboren daherkommen. Das wäre dann der avisierte Tag des Gerichts. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Als erster entschuldet sein … Traum aller Öffentlichkeitsarbeiter, die wissen sollten, dass man immer nur tiefer in die Schuld hineinkommt, je heftiger man alle Schuld von sich weist.

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Man verheizt die jungen Leute eines anderen Landes, von dem man beteuert, es sei wie das eigene. Man sagt Sorry, aber ihr tut es ja gern und wir bewundern euch sehr. Man rühmt ihre unverstellte Vaterlandsliebe, ihre Unbeugsamkeit angesichts drohender Überfremdung, ihre Unerschrockenheit vor dem Feind … lauter Einstellungen, für die man, werden sie im eigenen Lande laut, nur Verachtung übrig hat. Dieser Krieg ist ein Regionalkrieg. Warum ist er dann unserer, wie die Außenministerin sagt? Man bereitet sich auf den größeren Krieg vor und verkündet öffentlich: Keine Gefahr! Warum macht man das? Es ist der Gang der Dinge. Der Gang der Dinge bedarf eines Schuldigen, aber vieler Auslöser. Wie durch Zauberei stellen sie sich ein – einer nach dem anderen. Einer wie der andere. Wer immer sie sein mögen, in einem Punkt gleichen sie sich: Sie sind Mitwirkende im großen Orchester, der Big Band, wie das in alten Rundfunkzeiten hieß, als die Abhängigkeiten sichtbarer waren als heute, da man die Gesichter sieht. Gesichter zerstreuen den Blick, sie vermitteln den Eindruck, man habe es mit Individuen zu tun, mit individuellen Positionen oder, noch besser, noch gefährlicher, mit individuellen Entgleisungen. Nichts könnte falscher sein.

Notizen für den schweigenden Leser

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