»Seid realistisch, verlangt das Unmögliche!« lautete einer der Sponti-Sprüche, die nicht schließbare Kluft zwischen dem anarchischen Verlangen und den ›Verhältnissen‹ auf knappe Weise bezeichnend. Die ihn damals im Munde trugen, konnten nicht wissen, dass das ›System‹ auch ihn einmal überholen würde – überholen ohne einzuholen –, mit der Festschreibung von Zero-emission hat sich der Anarchismus der Gesetzgebung bemächtigt und Beelzebub Wirtschaft beschäftigt, wie zu erwarten, einzig die Frage, was sich dabei herausschlagen lässt.

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Man schlägt die ungenannt bleibenden Toten ein zweites Mal tot, indem man weitere ungenannte Tote auf sie türmt: Nach diesem Muster folgen brachialen ökonomischen Beutezügen Kriege, die ebenfalls Beutezügen gleichen, auch wenn der Leichengeruch alles andere überlagert. Man muss, wie billig, auch die anderen verdienen lassen, nachdem man sich die Taschen vollgestopft hat, das gebietet die Klugheit gleich nach der Selbsterhaltung. Für diejenigen, die sich ihren Geruchssinn erhalten haben, gibt’s ein besonderes Schmankerl: die Furchtlosigkeit vor dem Atomkrieg. Sie fürchten ihn nicht, sie kriegten ihn denn: Nach diesem Muster ist noch jeder Welt-Irrsinn irgendwann entbrannt.

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Es stört die Menschen nicht, in der Lüge zu leben, wenn sie nur zu heizen haben. Die Wenigen, die das Bedürfnis ihr eigen nennen, in der Wahrheit zu leben, stellen irgendwann mit Erstaunen fest, dass sie als Ketzer gehandelt werden. Und siehe da, schon brennen sie innerlich lichterloh. Irgendwann, wenn der Himmel sich rot färbt, sind sie ausgeglüht und werden entsorgt: mit einem zynischen Seufzer die einen, schweigend die anderen.

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Ideologen erkennt man zuverlässig daran, dass sie sich die hässlichen Seiten (oder Entwicklungen) des von ihnen bevorzugten Systems nur als Abweichungen von der reinen Lehre oder gleich als Verrat an ihr begreiflich machen können. Von Mises-Schüler sehen, wo immer sie in einen Abgrund blicken, den Sozialismus am Werk. Es ist aber nur der wirkliche Kapitalismus anstelle des papierenen, der ihnen zu schaffen macht. Merke: die Wirklichkeit ist mächtiger als das Konzept, sie schließt den wirklichen Menschen und seine stündlichen Verirrungen ein, desgleichen das Verbrechen, den Betrug, den Irrtum, die Lust, den Mitmenschen auszutricksen und, immer aufs Neue, die Bosheit, die sich bis herunter auf die leblosen Dinge erstreckt.

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Strikte Instanzentrennung ist ein Traum, dessen Realisierung an der Dynamik der Macht und ihrem korrumpierenden Einfluss … nein, nicht scheitert, sondern sich schärft: Je klarer die Trennung, desto subtiler, verschwiegener, raffinierter die Korruption, die sich unter der strahlenden Oberfläche der Rechtlichkeit tummelt. Man kann darin ein Zeichen von Kultur sehen, sicher zu Recht, erwägt man die erschreckende Primitivität, mit der das offene Unrecht zu Werke zu gehen pflegt. Die Frage wäre, wo sich die verworfeneren Charaktere finden: Bühnen-Bösewichter aller Couleur sind ihr gefolgt, ohne sie zufriedenstellend beantworten zu können.

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Auf dem Gipfel der Verschlagenheit erscheint der Trottel, der Mensch, der sich an nichts erinnern kann. Mal in der Maske des Alters, dem man vieles nachsieht, mal in der Maske der Geschäftigkeit, die nicht jede Kleinigkeit ›parat‹ haben kann, vor allem dann nicht, wenn sie heikel zu werden verspricht. Willkürliche Selbstverkleinerung verrät einen funktionalen Umgang mit der Macht: Nicht die Macht ist funktional, sondern der Mensch. Form follows function. Warum machen Menschen das? Um unangreifbar zu werden? Ist die Verächtlichmachung der eigenen Person ein angemessener Preis? Wofür? Dafür, am Drücker zu sein? Aber das ist verächtlich. Es gibt eine selbstlose Form der Verächtlichkeit – sie erwächst aus einer Notlage der Partei oder der Nation und folgt dem Leitsatz Einer muss es machen –, und, natürlich, die selbstsüchtige, in der, jedenfalls in den meisten Fällen, hemmungslose Selbstbereicherung den Ton angibt. In vielen Ländern rechtfertigt das erweiterte Selbst, die Familie, alles. In ideologisch sensiblen Gesellschaften kommt die erweiterte Familie, die Gesinnungsgemeinschaft dazu. Glauben muss sich schließlich lohnen.

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Die Leute sehen es nicht gern, dass jemand in ihrem Schmutz wühlt – verständlicher-, aber auch verräterischerweise. Schließlich wissen sie selbst am besten, wo der Schmutz beginnt. Machthaber ist, wer dergleichen effektiv zu verhindern weiß, besser noch, wer von Menschen umgeben ist, die dafür sorgen, dass die Dinge unter der Decke bleiben. In der Demokratie ist die Figur des Machthabers schief, sie unterschlägt die Relativität der Funktion auch der Mächtigen, gerade der Mächtigen, jedenfalls in der Theorie. Praktischerweise tritt hier das revolutionäre Selbstbewusstsein in Szene: Wer überzeugt davon ist, ein historisches Mandat zur Umgestaltung von Staat und Gesellschaft zu besitzen, dem fällt es leicht, den Lästigen als Feind zu behandeln und seine Bestrafung zu verlangen, wenn es darum geht, der Rechenschaftspflicht zu entschlüpfen. Jeder Bewegung wohnt ein feudales Element inne.

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Eine weisungsgebundene Justiz ist ein hölzernes Eisen. Das wissen alle, gerade darum ist auf Abhilfe kaum zu hoffen. Wo alle Bescheid wissen, versagt das Instrument der Aufklärung. Mutige Richter, die das Recht höher ansetzen als die Dienstanweisung, sind darauf angewiesen, dass das ›Volk‹, in welcher öffentlichen Gestalt auch immer, hinter ihnen steht. Eine Justiz, darauf ausgerichtet, den Willen des Volkes zu brechen, ist gegen diese Versuchung weitgehend immun, solange … die Machtverhältnisse intakt sind. Was als Rechtsvorbehalt einen guten Sinn besitzt, ist am Ende für die Partei bequem, die am längeren Hebel sitzt. Allerdings nicht auf Dauer. Es gibt immer ein Ende des Endes. Das wissen die Nutznießer der Finallage in den seltensten Fällen, und wenn, dann wissen sie mit dieser Einsicht nichts anzufangen.

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Der Kampagnenkapitalismus ist auf lückenlose Kontrolle der Medien angewiesen, die nicht zu erreichen ist, es sei denn auf begrenzte Zeit. Charakteristisch für ihn ist daher das Zeitfenster, das sich öffnet und schließt: Wer zu spät kommt, um sich die Taschen beim großen Fischzug zu stopfen, den bestraft das Leben. Deshalb ist es wichtig, so viele Nutznießer wie möglich zu beteiligen, Leute, denen das Eigeninteresse gebietet, den Mund zu halten und anderen den Mund zu verbieten. In der Informationsgesellschaft entwickelt sich daraus rasch ein Schneeballsystem, das tendenziell alle politisch-rechtlichen Schranken aushebelt. Das hat seine Grenzen. Eine Gesellschaft muss, etwa durch ein hochriskantes Finanzsystem, bereits weitgehend demoralisiert sein, um solche Spiele auf Dauer zu ertragen.

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Die moderne Oligarchie ist keine Regierungs-, sondern eine auf der Käuflichkeit der Repräsentanten beruhende Verteilungsform. Der Kern dessen, was gelegentlich Ochlokratie genannt wird, ist das umfassende System der Begünstigungen. Nur in unfertigen Oligarchien ziehen die Oligarchen selbst die obersten Ämter an sich. Reife Oligarchien hingegen folgen dem Muster der unsichtbaren Hand. Dass in ihnen die Schlechten herrschen, wie der Ausdruck ›Ochlokratie‹ nahelegt, bleibt stets eine ungedeckte Behauptung – bis zum Beweis des Gegenteils. Da ist es klug, nicht so lange zu warten und gefährdete Führungsfiguren rechtzeitig auszuwechseln. Manche werden renitent, sie enden mit einem Knall.

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Der topische Charakter politischen Argumentierens bringt es mit sich, dass die gegnerischen Parteien sich gegenseitig mit identischen Schmähungen überziehen. Im politischen Kindergarten wimmelt es daher nur so von Verfassungsfeinden. Es war also bloß eine Frage der Zeit, dass der ›Verfassungsschutz‹ die öffentliche Bühne betrat – scheinbar in der Rolle des Schiedsrichters, doch die Leute wissen natürlich Bescheid. Dem könnte ein Denkfehler der Regierenden zugrunde liegen. Eine ›Instanz‹, der der Sprung in die Öffentlichkeit gelingt, wächst sich über kurz oder lang zu einer öffentlichen Macht sui generis aus. Dann winken amerikanische Verhältnisse. Man kann sie wollen, aber man muss sie nicht mögen.

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Ob die Welt am Kohlendioxid zugrunde geht oder nicht, diese Frage darf als ausdiskutiert gelten. Man weiß es nicht, weil man es nicht wissen will, man weiß es, weil man es glauben will. Eine starke Wirtschaftsfraktion hat beschlossen, die Gewinnmaschine bis zum Maximum auszureizen, und wird sich das Heft nicht so rasch aus der Hand nehmen lassen. Mag sein, das ›Klima‹ erweist sich als ökonomischer Flop des Jahrhunderts – dann soll es so sein. Die ›große Transformation‹ – selbstverständlich alternativlos – wird als Steuerungsinstrument der alles überschattenden Finanzkrise in die Geschichtsbücher eingehen. Das zu konstatieren erfordert offenbar keine besonderen Kenntnisse. Dass erwachsene Menschen an den Hitzetod glauben, wenn nichts geschieht, ist auch ein Wunder, aber kein besonderes.

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Man darf davon ausgehen, dass die heutigen Deutschen, als Klima-Fanatiker der ersten Stunde, allein aufgrund ihrer Urlaubsreisen kein Klimaempfinden mehr ausgebildet haben. Soll heißen, die Wetterprofile, die ihre Körper gespeichert hat, sind kurzfristig und disruptiv, sie sind auf Fernreisen in andere Erdteile zusammengeklaubt und enthalten von Deutschland nur die Zeiten, in denen gearbeitet wird. Man kann diesen Leuten, was das Regionalklima angeht, das Blaue vom Himmel herunter erzählen und sie behaupten unbesehen, genauso hätten sie es erlebt. Der Abstraktheit ihres Klimaerlebens entspricht die Abstraktheit des ›Weltklimas‹: Auch das gilt, obwohl das Gegenteil der Fall ist, als ›erlebt‹. Sie leben also, was diese Dinge angeht, in einer abgeschlossenen Märchenwelt, und zwar unabhängig von der Frage, was an den Theorien dran ist, die man ihnen auftischt. Mit solchen Menschen kann man sich (fast) alles erlauben.

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Keine Märchenwelt ohne Märchenerzähler: Der Minister, der in Indien aus dem Flugzeug klettert und findet, es sei ›zu heiß‹, mag von Skeptikern verspottet werden, aber er klinkt sich ein in das sanfte Blöken der heimischen Herde, der es genauso geht und die endlich einen Schuldigen für ihr geheimstes Empfinden gefunden hat: das globale Kochen. Man darf also weiter die heißen Länder bereisen und es dort ›zu heiß‹ finden: Schließlich muss man sich über den Klimawandel auf dem Laufenden halten. Man will auch wissen, warum es gerade jetzt die Wärmepumpe sein muss und warum man sich die Seele aus dem Leib radelt, um zur Arbeit zu kommen, während der italienische Kollege im blitzenden SUV vorfährt. Er ist eben, als Südländer, Klima-Opfer, von daher eher bedauernswert. Umso beschämender, dass seine Regierung nichts davon wissen will.

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Keine einzige Insel ist im aufhaltsamen Anstieg der Meere untergegangen, keine Polkappen sind abgeschmolzen, kein Kölner Dom ragt kümmerlich aus dem rheinischen Ozean: Die spektakulären Prophezeiungen der Klima-Majestäten sind, allen Raunern sei es geklagt, so grottenschlecht, dass man geneigt wäre, unbesehen das Gegenteil anzunehmen, sobald sie neue auf den Tisch legen. Parallel dazu ist der Glaube an sie in einem Teil der Bevölkerung, angeheizt durch einen hemmungslosen Medienzirkus, ununterbrochen gestiegen und erreicht mittlerweile Pegelstände, bei denen den Frommen im Lande ernsthaft bange werden sollte. Stattdessen sind die Kirchen in das Geschäft eingestiegen, froh, ihr Corona-Versagen fortwedeln zu können und wieder an der Spitze der kollektiven Gesinnung zu marschieren. Das erinnert daran, dass aller wahre Glaube kontrafaktischer Natur ist: Credo quia absurdum.

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»Ich brauche Hitzetote«, fleht der Mäuseminister seine Untergebenen an und dreht das Schwänzchen nach oben, um den Trend anzudeuten. »Kein Problem«, piepst die Corona und huscht in die Archive. Und schon sieht man sie, Hitzetote allerorten, im Kühlschrankfach wie auf der Kommode, auf Parkbänken, tief im Gebüsch und hoch droben auf Fensterbänken, selbst die gotischen Fenster der Kirchtürme bleiben nicht verschont. Woher die Flut? Denn um eine Flut handelt es sich, ansteigend, den Hockeystick im Genick, beängstigend, was sich da alles von den Hauswänden löst. »Ich brauche Mäuse«, ruft der Minister, »tote Mäuse, keine Allerweltsmäuse, dir mir den Käse vom Mund wegfressen. Bringt tote Mäuse!«

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Woran erkennt man einen Fanatiker? Dass ihm ein verlorener Krieg soviel gilt wie ein gewonnener. Er teilt diese Auffassung mit der Rüstungsindustrie und ihren Zuarbeitern. Die Frage, wer wem das moralische Recht gibt, ganze Jahrgänge junger Männer auszulöschen, welche das Pech haben, gerade in diesem und keinem anderen Land zu leben, wird selten erörtert. Eigentlich nie.

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Man darf die Lüge nicht stehenlassen. Man darf ihr auch nicht glauben. Schließlich sagt sie nicht: Ich bin eine Lüge. Woran erkennt man sie dann? Vielleicht am leise brodelnden Unterton: Wer nicht hören will, muss fühlen.

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Mäusehauptstadt mit B.

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