Was ist konservativ? Die Frage wird in der Regel politisch oder dezidiert unpolitisch beantwortet. Politisch blickt man auf die Parteien, die sich selbst als nicht-links, aber eben auch nur höchst ungern als ›rechts‹ titulieren: Sie sind, was immer sie sind, ›konservativ‹, das heißt, es fehlt ihnen der Wille zum ›Umbau‹ der Gesellschaft. obwohl eine dominierende Linke ihnen genau das unterstellt: als Wille zur Regression auf frühere Zustände. Was nicht ganz falsch ist, da die herrschende Linke ihnen, wie sie betonen, stets mindestens einen Schritt zu weit geht (und sie beabsichtigen, ihn nach gewonnener Wahl zurückzunehmen). Die Konservativen wollen also, auch wenn ihnen der Ausdruck nicht passt, die Zeit zurückdrehen, jedenfalls betonen sie das gegenüber ihrer unpolitischen Klientel, wohl wissend, dass es in niemandes Macht steht, die Zeit zurückzudrehen und stets Neues geschieht, was immer man zu tun beabsichtigt hatte.

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Mit unpolitischen Augen betrachtet ist Konservatismus in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft eine Lebenseinstellung, die sich der Topoi der Privatheit bedient: Konservativ ist, wer einen ererbten Lebensstil pflegt, womit automatisch die Werte der Familie in den Vordergrund treten. Der konservative Lebensstil, soviel lässt sich ohne einen Anflug von Dogmatismus ausführen, steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu dem, was gesellschaftlich gerade angesagt ist, ebenso zu dem, was die Politik gerade durchsetzen will, gleichgültig, ob sie von linken oder rechten Vorstellungen ›inspiriert‹ wird. So kann es hin und wieder vorkommen, dass der familiäre Konservatismus progressiver auftritt als eine ›reaktionäre‹ Politik. Doch das bleibt Ausnahme. In der Regel kommt Familie von weiter her als die Politik und zeigt das größere Beharrungsvermögen – jedenfalls dann, wenn sie im Großen und Ganzen intakt ist. Durch ideologische und mediale Einflussnahme zerrüttet, wird sie zum Kampfplatz der Generationen, die sich, außer Beschimpfungen, ›nichts mehr zu sagen‹ haben.

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Es wäre falsch, Privatheit mit Familie gleichzusetzen. Das sozial schwächere, doch politisch erfolgreichere Modell ist das der Singularität: Der singuläre Einzelne macht seine Rechte gegenüber den habituellen und ideologischen Zwängen der Gesellschaft geltend. Nicht immer geschieht das im Namen des Konservatismus. Während das Anarcho-Individuum ihn ablehnt, umarmt ihn das Individuum, das sich als Träger einer ›Kultur‹ begreift. Das Verhältnis des singulären Einzelnen zum Staat ist ambivalent: Er will ihm entgehen und er will ihn formen, er ist entschieden dagegen, sich von ihm formen zu lassen, aber er betrachtet sich als Träger eines bestimmten Staatsbewusstseins, welches immer es sei. Dafür herrscht eine Art von natürlicher Feindschaft (oder Konkurrenz) zwischen ihm und den Parteien, die ihn abwechselnd als Sozialfeind brandmarken oder sein bedauernswertes Los durch Vergemeinschaftung zu ›verbessern‹ gedenken. Daraus wird nichts. Der singuläre Einzelne genießt seine Minderheitsstellung und zieht sein Selbstwertgefühl aus ihr. Er weiß: eine Mehrheitsgesellschaft aus seinesgleichen wird es nicht geben.

 

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