Weiter im Konservatismus. Wenn sich Kirchenvertreter öffentlich über die politischen Verirrungen von Fußballspielern auslassen, dann beantworten sie damit die Frage nach ihrer Religion. Gleichgültig, bei wieviel Prozent der Anteil der wahrhaft Gläubigen liegt, für den zu sprechen jene ›Sprecher‹ sich für befugt halten: selbst bei unerreichbaren 100 Prozent wäre die kollektivistische Anmaßung mit Händen zu greifen. Mit jedem Überzeugungsschub auf Seiten der Organe des Glaubens wächst die Macht der vormundschaftlichen Verbände. Sie wächst ununterbrochen, bis sie die Differenzen, die den freien Bürger in einem freien Land erst erschaffen, unter einer Decke aus Fürsprecherei, Gedankenschlaffheit, Hörigkeit und – der Teufel steckt im Detail – Ängstlichkeit unter sich begraben hat. Wer hofft, es handle sich um einen Nebenaffekt gesellschaftlicher Prozesse, die im Großen und Ganzen positiv verlaufen, der dürfte sich täuschen: kein positiver Effekt wiegt den Verlust an Selbstbestimmung auf, von der eine freiheitliche Gesellschaft lebt.
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Durch eine lange Konfrontationsgeschichte miteinander verbundene Religionen (wie das Christentum und der Islam) fallen insofern in ein und dieselbe Sparte, als sie darin polare Positionen besetzen. Soll heißen, das Gemeinsame liegt in den Unterschieden. Angesichts der Unterschiede im Dogma darf man die Unterschiede der Methoden nicht übersehen: in der säkularen Gesellschaft sind sie es, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Eiferer des Unglaubens sehen den Eifer der Gläubigen mit Befremden. Wo allerdings Gläubige aufeinandertreffen, gilt die Regel: Je verbissener die Kämpfer, desto subtiler die Differenzen und desto dominanter das Bild der Verschränkung im Kampf. Girard lässt grüßen.
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Profis des interreligiösen Gesprächs begeben sich gern auf die Suche nach gemeinsamen Wurzeln, vor allem dann, wenn die Anciennität der eigenen Richtung unbestreitbar ist. Der Erbe der Neuerer ist stets der eifernde Teil, die Differenz ist ihm wichtig, sie abzuschwächen oder zu leugnen eine Sünde wider die eigene Existenz. Sind erst tausend Jahre und mehr verstrichen, dann geht es darum, die wertvolle Differenz nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Differenz um ihrer selbst willen, die Differenz an sich ist das zentrale Dogma. Solche Leute zeigen sich gern kommod im Auftreten, aber unnachsichtig in der Sache. Man kann auch sagen, sie stoßen auf die Verständigung an und leeren das Glas bei der erstbesten Gelegenheit hinter sich.
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Meisterdenker, die auf dem gemeinsamen Kern aller Religionen bestehen, verraten selten, wer sie die Kniffe gelehrt hat, mit deren Hilfe sie Kern und Schale so sicher zu unterscheiden wissen – gewiss nicht das andere Lager, denn sonst wären sie bereits Renegaten. Mit Renegaten aber verhandelt man nicht: ihr Plädoyer für die verratene Sache ist nichts wert. Wäre es anders, sie wären nicht abgefallen vom Glauben der Altvorderen. Zur Sache des Glaubens gehört, dass geglaubt werde. Ein Glaube an sich ist ein hölzern Eisen. Die Schwäche der Konservativen findet hier ihren letzten Grund. Ein entwichener Glaube lässt sich so wenig konservieren wie eine Wolke am Himmel. Ohne Glauben aber ist alles … nichts.