Starkdeutsch für Anfänger / Fortgeschrittene / Professionelle

Fatale Vorliebe Medienschaffender für verbales Schlagzeug. Die Matadore schreiben, als müssten sie ihre Botschaft in die Hörer hineinprügeln. Die Hörer … nun, ihre Leser sind Hörer, die nebenher lesen, was eigentlich zum Hören bestimmt, aber eben doch Lesestoff ist, der nur beiläufig seine Lesbarkeit an die Hörbarkeit abgetreten hat, die vielleicht mit der Hörbarkeit von Ertrinkenden konkurriert oder von Menschen, die sich verzweifelt aus großer Entfernung verständlich machen wollen. Man könnte die Verzweiflung der schreibenden Zunft verstehen, da sie unter dem Diktat der Vorstellung schreibt, dass die leichte, ja überleichte Erreichbarkeit der Texte im Publikum einen Rezeptionssturm verursacht, der sie gleich wieder davonreißt, kaum dass einer sie vor Augen zu haben glaubt, man sich also, um anzukommen, tunlichst auf die überdeutliche Markierung von Hauptwörtern konzentrieren muss.

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Aber nein, so ist es nicht. Es sind ganz normale Mitmenschen, die, durch keinerlei Schwerhörigkeit der Mitwelt dazu befugt, immerfort zum stärksten Ausdruck greifen müssen. Dabei ist das Bild der Lesegewohnheiten, in dessen Bann sie stehen, keineswegs falsch. Das Übel, gegen das sie anschreiben (denn es ist ein Übel, darüber besteht zwischen ihnen kein Zweifel), wird nur durch die Schreier der Zunft unentwegt am Leben gehalten. Sei krass oder du wirst kassiert. Aber niemand will immerfort krass informiert werden. Es ist normal, wenn im Publikum ein starker Widerwille gegen diese Form der Unterrichtung grassiert. Übersetzt ins Befragungsdeutsch heißt das: Das Vertrauen in die Medien sinkt. Das ist so richtig wie falsch. Einerseits sinkt das Vertrauen der Leute in bestimmte Medien stark. Der Grund dafür ist einfach: Es sind diejenigen, deren in früheren Zeiten gesammeltes Vertrauenspolster besonders hoch war, so dass seine Abschmelzung etwas länger dauert. Wie die Matadore der neuen Medien schreiben: Die Leute wachen auf.

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Das Unbehagen am Starkdeutsch verdankt sich keinem Mangel an Vertrauen. Es stammt aus einer Urschicht des Lesens: Wer liest, will frei bestimmen, wieviel Zeit er für eine bestimmte Lektüre aufwendet. Zu diesem Zweck verfügt er über verschiedene Lesetechniken, die von der flüchtigen Lektüre (dem ›Überfliegen‹) über die eingehende bis zur wiederholten (und wiederholenden) reicht. Was die Medienmenschen ›Vertrauen‹ nennen, ist die spontane Erwartung, auf keiner dieser Stufen enttäuscht zu werden. ›Starkdeutsch‹ ist eine Sprache, die bei intensiver Lektüre zerfällt. Wer genau liest, liest mit wachsendem Unwillen, was ihm da geboten wird. Es ist billiger Stoff, also Ramsch, und das Bewusstsein, Ramsch zu lesen, begleitet seine Lektüre, auch wenn er es eilig haben sollte und deshalb in diesem Fall bereit ist, durch die Finger zu sehen. Jede Lektüre sehnt sich nach Genauigkeit, auch wenn im Augenblick keine Zeit dafür bleibt. Das unterscheidet sie vom Hören, bei dem das Medium – und der Sprechende – die Zeit bestimmt, ohne Rücksicht auf die Aufnahmefähigkeit und den Aufnahmewillen der Hörer.

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Es gibt einen Zusammenhang zwischen Ramsch und Falschheit, den jeder Blick auf einen Zeitungsstand bestätigen kann. Wird die Falschheit schreiend, dann regt sich der Lachmuskel des Rezipienten. Insofern boten die alten Boulevardblätter bei gehöriger Distanz auch immer eine vergnügliche Lektüre. Im Zeitalter der Ununterscheidbarkeit verdichtet sich das Lektüreangebot zu einem Universum der Lüge, ganz unabhängig von den üblichen Unwahrheiten, die den Leser erwarten. Die Lüge steckt im sprachlichen Detail. Auch das ist keine ganz neue Einsicht, wie jede Karl-Kraus-Lektüre bestätigen kann. Das Marktschreierische gehört zum Journalismus wie das Jenseits zum Diesseits des Verstandes. Dennoch macht es einen Unterschied, ob man die ›Qualität des Angebots‹ an der Auflage des Medium oder gleich an der Zahl der Zugriffe auf den vom Autor verantworteten Artikel abliest. Der moderne Journalist, gesinnungsfromm oder aufmüpfig, sieht sich einer eingebildeten Meute gegenüber, der er Brocken in den aufgerissenen Rachen wirft, um sie notdürftig auf Abstand und gleichzeitig bei der Stange zu halten. Das gefällt den wirklichen Lesern, sie wollen mehr davon zu sehen bekommen und finden es, alles in allem, ein schreckliches Schauspiel.

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Solange die Pflege des Starkdeutschen sich auf die journalistische Arbeit beschränkt, bleibt der Schaden überschaubar. Lästiger wird es, nähert man sich der Region der Sachbücher, Produkten eines gehobenen Journalismus, der Zeit genug erwirtschaften kann, um mit aufgeschobener Wirkung zu schreiben. Im Sachbuch ist Haudruf Herr aller Informationen, derer er in der Kürze der verfügbaren Zeit habhaft werden kann. Seine Rhetorik hingegen orientiert sich weiterhin an der Logik der ›Aufmerksamkeitsspanne‹, jenes extrem kurzen Zeitfensters, in dem er seine Botschaft im alltäglichen Konkurrenzkampf unterbringen zu müssen glaubt. Wäre er Odysseus, er bewegte sich hoffend und bangend zwischen Scylla und Charybdis, da er aber bloß Haudruf ist, merkt er nicht, wie sehr er sich im Eifer weiterzukommen wiederholt. Die Sprache selbst, seine Sprache, die Sprache des Dummenfangs lässt ihn nicht aus, sie legt ihm das Nachdenken vor und schreddert selbst das noch, was er an Verdienstvollem ›zu sagen hat‹.

 

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