Starkdeutsch, zum zweiten

Diese Manier, Botschaften in die Köpfe zu hämmern, gleichgültig wie banal, wie alltäglich, wie eintönig die Inhalte auch sein mögen, ist natürlich älter als alle Netze. Sie entstammt der Sprache der Propaganda und legt ein beredtes Zeugnis davon ab, wie abgründig die déformation propagandiste nach einem Jahrhundert der Dauerbeschallung den Alltag der Medien, wenn nicht aller Schreibenden beherrscht. Wer immer im Kulturkampf gerade obsiegt, sie hat bereits gesiegt und fordert ihren Tribut. Dieser Tribut … man möchte ihn die Verheerung des Gemüts nennen, dem nicht bloß der Lesestoff ausgeht, es sei denn, es orientiert sich an ein paar esoterischen Außenseitern oder beugt sich tief in die Vergangenheit zurück, in der es noch ›große Literatur‹ gab, das sich vielmehr auf der enttäuschenden Suche nach Entlastung vom Druck der affektiv-autoritären Anmaßung in eine harte Nuss verwandelt, ebenso schwer von außen zu knacken wie von innen auszuleben. Das behämmerte Gemüt lebt an den Rändern, es zuckt und duckt sich unter den Schlägen und hält die Gebärden der eigenen Hilflosigkeit für Kampfsignale.

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Und doch, es hat etwas zu bewahren – oder, da es ihm immerfort wegrutscht, wiederzugewinnen, gleichgültig, ob es an der Seite der Macht oder der Ohnmacht streitet. Die gesellschaftlichen Kräfte, die diesen Konservatismus der Seele für sich ausbeuten, müssen ihm bloß das Mäntelchen wirklicher Kämpfe umhängen und schon ist er gefangen. So werden einfache Zeitungleser zu Denunzianten ihrer Umwelt und es bedarf nur einschlägiger ›Portale‹, wie Starenkästen in die Landschaft gehängt, und sie denunzieren wirkliche Menschen, das heißt, sie bereiten sich und anderen selbsttätig die Hölle auf Erden, vor der sie die Welt, hört man ihnen zu, so gerne retten würden. Hört man ihnen genauer zu (was schwer genug fällt), dann weiß man, dass ihr Denkvermögen vom Starkdeutsch gelähmt ist, das maschinenhaft über ihre Lippen geht. Man könnte sie ›Ideologiereproduktionsmaschinen‹ nennen, wäre die Ideologie dabei nicht das Unwichtigste, falls sie überhaupt existiert. Das Wort von den ›gängigen Narrativen‹ beschreibt die Ideologielücke ganz gut, in der das verheerte Gemüt seine Deformationen auslebt.

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In Deutschland ist der Hexenmeister des Bösen, der abgründige Dr. Goebbels nie weit, wenn über solche Phänomene gesprochen wird. Entsprechend nahe liegt die Gefahr der Abspaltung: So schlimm können nur andere, nein, kann nur der Andere sein. Man selbst versteht sich, mit Georges Algabal zu sprechen, … zart wie eine apfelblüte Und friedenfroher denn ein neues lamm – indes, auch Algabal fährt an besagter Stelle fort: Doch liegen eisen stein und feuerschwamm Gefährlich in erschüttertem gemüte. Algabal ist der Troglodyt unter den Weltbeherrschungsphantasten, seine Attitüde, so schräg sie den Heutigen auch erscheint, hat im Medienzirkus eine feste und, wie es scheint, dauerhafte Gestalt angenommen, vor der der Autor sich vermutlich fürchten würde. Solche aus der Zeit gefallenen Ergüsse, die nur noch von wenigen, meist mit Widerwillen, studiert, aber nicht gelesen werden, weil sie den Lesern ›nichts sagen‹, sitzen gleichsam im blinden Fleck des Gegenwartsbewusstseins, das sich unter dem Gewicht seiner Aufgaben bläht, ohne voranzukommen.

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Starkdeutsch oder, allgemeiner gesprochen, Starksprech hat die Tendenz, sich ins Abseits zu sprechen: Die immergleichen Redefiguren, hinter denen sich quasi-automatische Denkmuster verbergen, die immergleiche angestrengte Emphase, die den Kopf des Lesers, der nicht mehr aufhören kann, nach und nach zum Sieden bringt, das alles unterliegt einer schwer zu beschreibenden Logik der Zuspitzung, die an viele differente Prozesse ankoppelt, aber gerade deshalb auch relativ ungebremst sich entfaltet. Die relative Kürze sogenannter ›Hypes‹ verdankt sich ja nicht der Erschöpfung individueller Psychen (für die immer neue ins Spiel eintreten), sondern der rhetorischen Verlaufskurve. Auch missbrauchte Sprachen siegen sich zu Tode. Wenn aber ein allmächtiger Apparat sie am Sterben hindert und stattdessen tagaus tagein zu neuen Großtaten schleift, dann teilen sie das Schicksal von Währungen, die nur noch geeignet sind, den Wohlstand Weniger zu garantieren: Sie bereiten das Endspiel vor, so lange es sich auch hinziehen mag.

 

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