Alphabet des Zerfalls
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Die vornehmste Aufgabe besteht darin, den Sündenbockprozess zu stoppen.
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Worin besteht der Sündenbockmechanismus? Im Zerfall von Funktionshierarchien. Vom (relativ) reibungslosen Funktionieren einer Gesellschaft bis zur nüchtern vollzogenen Einsicht Nichts geht mehr – ein Zustand, in dem immer noch unfassbar vieles geht – zieht sich ein langer, windungsreicher Weg. Auf so einer Strecke kann mancherlei passieren. Schläfrig murmelt das begleitende Bewusstsein: Etwas stimmt nicht mehr. Dann beginnt die Suche nach dem Schuldigen.
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Das Konzert der Schuldzuweisungen beschleunigt den Zerfall. Die wundersame Vermehrung feindlicher Zwillinge lässt den Kampf um die Deutungshoheit explodieren. Die Schuldzuweisungen werden symmetrisch und formen ›wie von selbst‹ einen Hauptgegensatz, aus dem kein Entrinnen möglich scheint.
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Zwischen feindlichen Zwillingen gibt es kein Äquilibrium.
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Feindliche Zwillinge saugen aus jedem Gegensatz Kraft. Kraft, die bei der Bewältigung anstehender Aufgaben fehlt.
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›Kraft‹ heißt die nirgendwo unterbrochene Kette, die von der Wahrnehmung eines Missstandes zu seiner Bereinigung geht.
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Das Bewusstsein, dem Sündenbockprozess verfallen zu sein, lähmt. Das fehlende Bewusstsein desgleichen.
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Woran erkennt man erfolgreiche Gesellschaften? Daran, dass sie es immer wieder schaffen, Hexenjagden abzublasen, bevor der Strudel alle und jeden erfasst.
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Der Selbstschwächungsprozess einer Gesellschaft zieht die Gegner an wie das Aas Schakale und andere Nutznießer der Dekomposition.
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Man kann einer Gesellschaft Konflikte injizieren wie einen Krankheitserreger. Da sie nicht ›passen‹, gibt es für sie keine Lösung und sie breiten sich aus, bis neue Erregungen sie verdrängen.
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Ohne ein lebendiges Wissen der Gesellschaft, welche Konflikte von außen induziert und welche genuin sind, gibt es keine Remedur. Die einen gilt es abzuwehren, die anderen zu lösen.
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Drehe die Glückstafeln um und du gewahrst das Gewimmel der Interessen. Auf den zweiten Blick haben sich alle bis auf eines verkrochen. Das ist der Sündenbock.
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Begreife, wie der Kampf gegen den Zerfall den Zerfall befördert.
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Weigere dich, am Spiel der Verteufelung teilzunehmen.
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Beachte die Verflochtenheit aller Konzepte in der Zeit. Der krasse Gegensatz trügt. Er ist nicht weniger real, er ist nur weniger realistisch.
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Behalte das Motiv der ›geheimen Agenda‹ im Auge, ohne ihm zu verfallen. Es gibt immer ›geheime Agenden‹. Manche sind so geheim, dass ihre Realisierungschancen bei Null dümpeln. Andere sind so mächtig, dass die feindliche (oder nur neugierige) Berührung mit ihnen tötet.
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Noch die verschwiegenste Agenda ist ein Kind ihrer Zeit. Soll heißen, ihr Stoff sind Jedermannsgedanken. Das große Geheimnis ist kein Geheimnis. Es profitiert von der Achtlosigkeit der Mitwelt. Es ist ein ›alter Hut‹.
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Irreale Zielvorgaben, verbunden mit wirklicher Kraft, sind die Schmiermittel des Totalitarismus. Die Kraftlosen schmieren dagegen ab.
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Alle Propaganda weiß um die Macht der Lüge. Wer sich mit Halbwahrheiten zufrieden gibt, der will auch nur die halbe Macht.
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Das öffentliche Aussitzen von Verbrechen deutet auf Organisation.
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Das immer erneute Erstaunen der Öffentlichkeit über die Banalität der Regierenden. Wie Aufzeichnungen zeigen, die den Weg in die Öffentlichkeit finden, sind sie der Kräfte, die sie bewegen, nur in Ausnahmefällen mächtig.
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Konzepte wie der ›Great Reset‹ sind Matrjoschkas. Öffne sie und du findest die nächste Puppe, in dieser die nächste und so fort. (Das Bild idealisiert, in der Regel befindet sich eine Vielzahl von Puppen in- und nebeneinander.)
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Propagandamenschen erkennt man daran, dass sie für jedes Problem die gleichen Freund-Feind-Bilder liefern. Das ist nichts, worüber man sich aufregen sollte. Es ist ihr Job. Wer daraus schließt, dass sie alles wissen, weiß gar nichts.
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Wenn Recht und Gesetz sich lockern, verliert das Gemeinwesen seinen Biss.
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Der Wille, der Bürokratien lenkt, muss erst noch erfunden werden. Das macht sie zu Göttern in Grau.
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Tatkraft kann nicht bestellt werden. In Wahrheit zeigt sie sich erst ex post.
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Die linke und die rechte Hand des Teufels – das wirft die Frage auf: Wer ist der Teufel? Der Teufel ist das liberale System, das sich von seinen Enden her verspeist.
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Wenn der Liberalismus illiberal wird, dann geht zwar nicht die Welt unter, wohl aber die Allerweltshoffnung. Wer jetzt hofft, ist Spieler. Er würfelt um das Schicksal der Welt, als ginge es ihn nichts an. »Es riecht nach Krieg? Gut, setzen wir auf Krieg.«
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Die einfachste Theorie der Gesellschaft ist die schlagendste. Fast immer sind es Theologen, die sich ihrer erbarmen.
