Einmal angenommen, der europäische Menschentypus hätte sich restlos ›ausgedrückt‹, wie das zu Gottfried Benns Zeiten noch hieß –: undenkbar wäre es, im gleichen Register gedacht, nicht, hätte die Natur bereits damit begonnen, ihn zurückzunehmen. Die Natur? Welche Natur? In einem näher an der Gegenwart angesiedelten Register lautet die Formel für das statistische Phänomen ›Selbstintoxikation‹. Unproblematisch ist das nicht. Wer so redet, der will Schuldige sehen. Auf der Schuldseite finden sich: die Namen von Personen und Firmen, Formen des Wirtschaftens, Ideologien. Global, regional, sch… Was wäre ›Natur‹ anderes als die Eigentätigkeit der Gattung, eingebettet in erdgeschichtliche Prozesse?

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Die Perhorreszierung (nazification) des ›weißen Mannes‹ ist in vollem Gange und keine populistische ›Wende‹ wird sie aufhalten. Als willige Helfer fungieren junge weiße Männer, die glauben, sie könnten sich damit das ewige Leben sichern. Mitmachen, obwohl man weiß, dass man einmal in dieselbe Tonne gesteckt werden wird – das ist pathologisch, das ist verrückt, das ist ganz normal, dazu braucht’s keinen Massenwahn. ›Jugend‹ ist in dieser Klasse kein Altersmerkmal. ›Man‹ will schön sein vor denen, in deren Schuld man sich fühlt.

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Wer hat dem ›Nazi‹ den ›-sozialisten‹ entwendet? Der Mythos will, dass Stalin persönlich die Kupierung des Feindes veranlasste – aus damals naheliegenden, noch heute wirksamen Gründen. Noch heute ist der ominöse Aufkleber das Werkzeug von Sozialisten, denen das gewisse Etwas abhanden gekommen ist, man mag es Verführungskraft nennen oder offene Zukunft … oder eben Sozialismus, wie die wahren Sozialisten behaupten. Wahre Sozialisten wird es geben, solange die Ware ›Sozialismus‹ einmal über und einmal unter der Ladentheke verkauft wird.

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Ein großer Geist vertraut seinem Tagebuch Kleinliches über seine Mitmenschen an. Woher der fatale Eifer? Woher das Vertrauen? Ist der große Geist vielleicht nicht so groß wie gedacht? Vielleicht weiß er nicht, dass er kleinlich urteilt, sondern versucht nur gerecht zu sein? Welche Gerechtigkeit mag das sein? Wer hat ihn zum Richter berufen? So fragen darf, wer über kein Urteil verfügt. Das Urteil selbst schreibt sich hin, sobald es fertig ist. Wer fragt nach der Hand, die es führt? Faktisch hingegen verhält es sich gegenteilig. Es sind die Urteilslosen, die mit ihrem Urteil nicht hinter den Berg halten, während das profunde Urteil zurückhaltend oder gar nicht geäußert wird. Da muss schon heftiges Leid im Spiel sein, um diese Schranke zu durchbrechen.

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Man hätte angenommen, die Deutschen seien ein für alle Mal gegen die totalitäre Versuchung gefeit. Warum eigentlich? Weil sie die Verhinderung eines neuen NS zur Ratio ihrer Staaten erklärten? Weil eine westliche Linke unisono fabulierte, der Totalitarismus des Ostens habe rein gar nichts mit dem NS gemeinsam, schon gar nicht mit irgendeinem ›Totalitarismus‹? Und wenn schon: so unbedeutend erschien die DDR im System der Blöcke, dass man diesen Aspekt glaubte ausklammern zu können, wann immer man den Blick auf sie richtete. Sie als Ferment im neuen Staat zu betrachten, kam niemandem in den Sinn. Niemandem? Wer sind diese seltsamen ›man‹ und ›niemand‹, denen man im politischen Raum auf Schritt und Tritt begegnet? Man könnte sie die, je nach Bedarf, hin- und hergeschobene Masse nennen, die Masse, die es nirgendwo anders gibt als in den Strategiespielen der Mächtigen und ihrer Bauchredner in den Medien. Sie blenden den wirklichen Bürger, indem sie ihm eine Masse vorflunkern, der er sich zugehörig fühlen und über die er sich gleichzeitig erheben kann.

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›Totalitäre Tendenzen‹: Warum richten sich alle Blicke automatisch auf den NS-Staat (oder das, was von ihm noch in den Köpfen spukt), obwohl es viel näher läge, den Osten und seine jüngste Vergangenheit ins Visier zu nehmen? Offensichtlich liegt dem zweierlei Aufarbeitung zugrunde – bei unterschiedlicher Zielsetzung: Delegitimierung ohne Zerstörung hieß, mit Rücksicht auf den großen ›Partner‹ im Osten und die Linke im eigenen Lande, die Devise beim politischen Aufbau Ost. Statt Zerstörung wurde dort eine Art mentaler Erbepflege in Gang gesetzt, die manche skurrile Blüte trieb. Um das Ganze zu krönen, holte das westdeutsche Establishment eine ganz normale DDR-Bürgerin an die Spitze der Politik, als spielten demokratische Sozialisation, politischer Werdegang, Kenntnis der westlichen Welt, Prinzipientreue, wenn überhaupt, bei der Wahl einer solchen Persönlichkeit nur eine nachgeordnete Rolle.

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Soweit Deutschland. Das weltweite Phänomen erinnert daran, dass die Propagandatrommeln des Zweiten Weltkriegs nie ganz verstummten: Uncle Sam und Uncle Joe retten gemeinsam die Welt. Dass Uncle Joe zwischenzeitlich zur Unperson wurde, hat das Programm der Weltrettung, nun vor den Folgen der eigenen Feindschaft, nicht annulliert. Der böse Totalitarismus, der gute Totalitarismus, der neue Totalitarismus – man kann alles sagen. Wozu sonst hätte der Mensch Sprache?

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Gibt es überhaupt eine Totalitarismus-Frage? Solange das Motiv der mass formation dabei im Vordergrund steht, ist Skepsis angebracht. Ein anderes Bild entsteht, sobald Medienanalyse ins Spiel gebracht wird. Die modernen ›Massen‹ sind virtuell – Einstimmungsinstanzen, die nur im Kopf des Medienkonsumenten existieren, wo sie künstlich erzeugt werden. Aber was wirklich erzeugt wird, ist ein Getöse, vor dem sich der Konsument in seine Blase flüchtet, die nur für ihn bestimmte ›Masse‹, aus der das manipulierende Medium ihn nicht wieder, es sei denn unter völligem Verlust seiner ›Freunde‹ und ›Follower‹ herauslässt. In diesem Sinn ist jeder ›Anbieter‹ Konsument.

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Ab einem gewissen Pegel der Feindseligkeit und Gehässigkeit gilt: ›totalitär‹ sind immer die anderen. Damit kommen die ›Player‹ ins Spiel, d.h. alle, die über Manipulationsmacht verfügen. Der Staat … der Staat ist in diesem Spiel bloßer Handlanger. Seine Vertreter, seine ›Herrschenden‹, seine Kontrolleure: Konsumenten, gefangen in ihren Blasen wie der Rest der Gesellschaft auch. Ist das noch Gesellschaft? Was von ihr blieb, ist ebenso virtuell wie die ominösen ›Massen‹. Anders als von letzteren kann man in ihrem Fall sagen: in ihr vollendet sich die Erregungsgemeinschaft. Das Übergewicht der Empörten versetzt die Eliten in einen Belagerungszustand, aus dem sie nicht wieder herausfinden.

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›Eliten‹: Notgemeinschaft derer, die das Volk mit leeren Versprechungen führen. Oder: Inbegriff derer, denen es auf die Finger zu sehen gilt. Das jedenfalls wäre die amerikanische Definition, die vieles für sich hat.

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Frankreich und Deutschland sind heute die Länder, deren ›Kulturverlust‹ in Europa am stärksten zu Buche schlägt. Sie bestimmen die Tiefe des Falls. Sie mögen sein, was sie wollen, aber eines sind sie mit Gewissheit nicht: Außenseiter des ›Kontinents‹. Verglichen mit ihrem Los lebt Italien seit seiner Gründung in der Posthistoire. Die Faschisten wollten das ändern, aber es gelang ihnen nicht. Ein Beispiel dafür, dass der Nationalstaat die historische Dynamik eines Landes auch abschalten kann, ohne sein Selbstvertrauen dranzugeben.

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Stoff für Romane: Aus den USA wird bekannt, dass die meteorologischen Daten längst stillgelegter Messstationen noch immer in die einschlägigen Statistiken eingespeist werden (Epoch Times). Eine Gruppe von Aufklärern macht sich auf, den Missstand zu dokumentieren. Was sie erfährt, verschlägt ihr den Atem: Klimadaten werden generell durch Modellierung gewonnen, das sei ganz normal. Faktoren werden hinein- und herausgerechnet, um ein Flächenbild zu erzeugen. Die Modelle der Stufe A sind die Fakten der Stufe B. Fazit: Die Absicht, ein wenig nachzuhelfen – bei was auch immer – ist nicht belegbar. Ein Schelm, wer… etc. Meditation: So stützen sich Historiker auf Dokumente, die sie nie zu Gesicht bekamen, entwickeln Autobauer Modelle, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz, die sie nicht beherrschen, verkaufen Pharmakonzerne Gentherapien, die zur Impfung umdefiniert wurden, gegen Krankheiten, die bei der Entwicklung nach Insider-Aussagen ›zu keiner Zeit‹ eine Rolle spielten. Undsofort. Das virtualisierte Wissen enteilt dem Wissen um die Virtualisierungen.

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Romane und saurer Kitsch: Die Problemzonen dieser Welt, eingewickelt in Romanhandlung wie einst der Bückling in Zeitungspapier, lassen die Hülle stinken.

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Die Wahrheit bekommt leicht etwas Eiferndes. Wer frei von Fehlern ist, werfe den ersten Stein.

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Gegen Laienkontrolle wappnet sich Wissenschaft mit Komplexität. Dem Laien tritt der Sprecher entgegen, der versichert, dass ›alles in Ordnung‹ sei, wohl wissend, wo hinter seinem Rücken es stinkt. Aber das geht nicht allein Laien so. Das Spiel wiederholt sich innerhalb der Wissenschaft und in jedem Wissenschaftszweig bis hinunter zum einzelnen Institut: Was hier schiefläuft, was geht’s dich an? In den Geisteswissenschaften fungieren die Literaturlisten als Rolläden: Alles eingearbeitet: noch Fragen? Nein? Dann schließen wir jetzt.

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