Es wird Zeit, dass ich mich einem Thema zuwende, dessen Brisanz notorisch unterschätzt wird – dem Unterschied zwischen Masse und Menge. Wie bereits festgestellt, gibt es eine Menge ›M‹ im Yagir, nur eines sucht man vergebens: das in der Masse aufgehende, in der Masse gelöste ›M‹, wie man es von studentischen Wandzeitungen vergangener Jahrhunderte kennt: »Kommt massenhaft!« Wobei massenhaft bereits eine ironische Verballhornung der revolutionären Willenseinheit darstellte, die man der Masse gern unterschiebt. Im Yagir gibt es keine Massen. Es gibt eine Menge Volk, so wie es eine Menge ›M‹ gibt, es gibt eine Menge von diesem Volk oder von jenem, es gibt eine Menge Leute, die sich von diesem oder jenem Volk oder überhaupt vom Volk distanzieren, so wie es eine Menge Leute gibt, die sich im Namen oder im Auftrag des Volkes oder weil sie sich selbst dafür halten, von anderen distanzieren, es gibt eine Menge Geltenlasser und Geltungsbestreiter unterschiedlichster Bekenntnisse, es gibt Teil-, Unter- und Zwischenmengen aller möglichen Mengen, lauter Mengen, die in der Anzahl ihrer Teile ausnahmslos und ununterbrochen variieren, so dass man sich unwillkürlich fragt, welches ›es‹ so tollkühn sein könnte, das alles auf seine Kappe zu nehmen – aber darin besteht eben Gesellschaft, zumindest im Yagir, so dass die Frage, ohnehin mehr ein Stoßseufzer, ins Leere verpufft. Masse entsteht durch Ballung, Menge durch Teilung. Das ist schon ein gravierender Unterschied, vor allem, wenn man die Reibung in Rechnung stellt, die auf beiden Seiten ins Spiel kommt. In der Masse tritt der Einzelne zurück, in der Menge steht er immer im Zentrum, jedenfalls sagt ihm das seine Selbstwahrnehmung, Formen der Steigerung sind beide. Der Einzelne, der sich zurückstellt, wächst über sich hinaus, er wird Teil eines Lindwurms, der sich durch Straßen wälzt, Plätze füllt, Ordnungskräfte beiseiteschiebt… Der Einzelne, der sich im Zentrum der Aufmerksamkeit wähnt, eingesponnen in die Menge wie in einen Kokon, borgt sich Kraft und sorgt dafür, dass sie verpufft, fast wie die in einer Tüte gefangene Luft, die ein Schlag mit der flachen Hand freisetzt. Soll heißen, er macht Lärm, viel Lärm um nichts, denn die Menge ist zerfallen, kaum dass die Tüte nutzlos und leer zu Boden sinkt. Das klingt wie eine Apologie der Masse. Weit gefehlt! Die Menge, nicht die Masse ist das Schicksal. Im Yagir jedenfalls ist das so.

 

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.