»Wenn sich aus der Geschichte der dreißiger Jahre etwas lernen lässt, dann, dass der große Bluff irgendwann die düpierten Kräfte des Realen zurückzuschlagen veranlasst –« Die Stimme am Ohr, leicht krächzend, Triumph: kleiner Sieg über die Gegenwart, dem lang zurückreichenden Gedächtnis geschuldet, das sich im Zeitlosen verliert, der großen Urschuld, aus der alle Erkenntnis steigt. Die dreißiger Jahre… Welches Jahrhundert? Im Yagir gilt ein Jahrhundert wie das andere. Die Unterschiede sind minimal, eigentlich nicht vorhanden. Spezialisten, die es auch dafür gibt, trennen überscharf, aber sie gewinnen nichts dabei, sie verlieren bloß … sie verlieren, sage ich – wenngleich darüber geschwiegen wird –, jedes öffentliche Duell, die privaten ohnehin. Lasst sie reden! Klappen sie den Mund zu, dann antwortet ihnen Schweigen, das so lange währt, bis ein Anwesender das Wort ergreift und auf andere Gegenstände überlenkt. Nur die Dreißiger glühen heißer als tausend Sonnen, sie sind das dunkle Gestirn am Firmament. Die Älteren spüren es im Nacken, die Jüngeren tragen sein Gegenbild auf der Stirn. Welches Bild? Das kollektive Gedächtnis, geeicht auf Filmschnipsel von Aufmärschen und Stakkato-Reden, verschluckt das meiste, obwohl es, wie die dunkle Sonne, niemals weicht. Der Yagir, ich muss es leider an dieser Stelle einfügen, steht im Zeichen der Schuld wie andere Länder im Zeichen der Ungeduld oder des Aufbruchs. Soll heißen, er besitzt seine Hexenmeister wie den Eigner der Stimme an meinem Ohr. Denn wo Schuld ist, da wird gezaubert, und wo gezaubert wird, da entsteht neue Schuld. Sie sickert aus allen Poren, sie steigt und steigt und steigt … plötzlich erfüllt sie den Raum. Vieles im Yagir geschieht plötzlich – und plötzlich geschieht vieles –, ohne Vorwarnung, es sei denn, man betrachtet das allgemeine Gefasstsein auf schlimme Dinge als ausreichend, was aber niemand macht. Woran das liegt? Der Zauber wirkt. Er wirkt, auch wenn jedermann verächtlich darüber redet. Die Zauberer sind die eigentlichen Eigner des Landes, sie kommen noch vor den Geldmenschen, denn Geld … Geld ist am Anfang wie am Ende festgeschriebener Zauber.
Nachtbuch IV/29
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