Gerade bekomme ich Post aus dem Yagir (eingetrudelt nach einer schwer durchatmeten Nacht, in der ich – träumend, wie sonst – mein Söhnchen von einer Brücke aus schwindelnder Höhe ins Häusermeer einer unbekannten Stadt nordamerikanischen Typus stürzen sah). Es ist eine kurze Mail, ein knapp formulierter Neujahrsgruß:

Mit besten Grüßen
Harold, links-grün versifft
Übrigens: In ... Tagen ist Bundestagswahl

Mit so etwas muss rechnen, wer immer sich auf den Yagir einlässt. Es liegt darin eine Art ermahnender Kameradschaft mit drohendem Unterton: Vergiss nicht, was du zu tun hastund wenn du nicht für uns bist, dann bist du – schon klar, was dann folgt, übrigens nicht zum ersten Mal. In solchen Momenten bin ich meine eigene Schöpfung leid. Was zeigt, dass ich nicht frei von Mimosentum bin. Ich habe sie schließlich so eingerichtet. Nur mit mir selbst lasse ich höchst ungern so umspringen. Die Irritation im Morgengrauen beginnt bei der fehlenden Anrede: Welche Grüße sind unter Freunden die ›besten‹? Es ist, genau erwogen, ein bestialischer Gruß, der das Bestmögliche zugunsten des – angesichts der allgemeinen Situation – Besterwogenen aufgibt, worauf es rechtens bloß eine konsequente Antwort gäbe: Alles bestens, mein Lieber. Kann man so weit sinken? Ich denke, ich werde die Mail unbeantwortet lassen. Es lohnt nicht, über den Zaun hinweg einen Hickhack um Worte zu beginnen. Im Hintergrund höre ich schon: Korinthenkacker! – doppelt schmerzhaft, weil der Schimpf von einer selbstgeschaffenen Kreatur kommt, aber ich muss das wegstecken. Die Feinwahrnehmung der Yagiriten wird zusehends zum Problem. Mir scheint, sie hat durch den Impfstatus schwer gelitten, auch bei Ungeimpften, die hier und da in der Menge schwimmen. Wie gesagt, es soll an der Luft liegen. Genaueres weiß man nicht. Als doppelt schmerzhaft empfinde ich, dass besagte Feinwahrnehmung nicht allein gelitten hat, sondern von vielen zum Hassgegenstand erkoren wurde. Ich weiß, was passieren würde, ließe ich mir eine freundliche Antwort mit leicht ironischem Beiklang einfallen. Ich hätte die Meute am Hals und sie trüge das Gesicht eines alten Freundes, mit dem mich übrigens heute nicht mehr viel verbindet. Tempora mutantur, nos et mutamur im illis. Wer’s nicht versteht, frage Google und ihm wird aufgetan.

 

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