Wir müssen reden.

Das verblüfft mich. Hat er sein Flickzeug vergessen und möchte sich meines borgen? Nein? Sprudeln die Einnahmen nicht mehr so stark und er ist gekommen, einen finanziellen Engpass mit meiner Hilfe zu überbrücken? Ich erinnere mich, in letzter Zeit kaum etwas von ihm gelesen zu haben. Hat man ihm am Ende die Kolumne –? Das wäre ärgerlich, aber nicht fatal: ein Dutzend Zeitungen stünde bereit, sie ihm wieder einzurichten. Auf ein Neues! Nein? Das Strahlenpaar ist erloschen, der Untergang, der sich gerade auf seinem Gesicht vollzieht, kostet mich einiges Nachdenken. Was sind, auf dieses Antlitz bezogen, ernsthafte Schwierigkeiten? Trommelt er neuerdings für eine Partei? Hat ihm seine Hausbank das Konto gekündigt? Eigentlich will ich nichts davon wissen, er mag mich tausendmal als seinen guardian angel betrachten – nicht ganz zu Unrecht, auch wenn ich nicht darauf versessen bin, jeden seiner Schritte zu überwachen (das erledigen andere). Steckt er in Schwierigkeiten, dann halte ich sie schon jetzt für hausgemacht und er muss sich auf eigene Kosten wieder herausarbeiten.

Wir müssen reden.

Nun, ich hab’s begriffen. Eigentlich ist er allein es, der reden muss, seine Suada klingt maßlos, eigensüchtig bis zum Exzess, ein Fluss ohne Ufer, eine rhetorische Übung in Selbstvergessenheit, ein Schwall der Selbstpreisgabe, ein Hunger nach Licht, Licht, Licht –: endlich hat auch er die Impfung begriffen, nachdem er ihr lange aus dem Wege gegangen ist, nicht in natura, sondern in mente, obwohl – oder weil – er natürlich zu den Geimpften zählt, genauer, zu denen, die ›kein Problem‹ damit hatten. Doch eine neuere Untersuchung, der Schlaffheit in Kopf und Gliedern geschuldet, hat Beunruhigendes zu Tage befördert, etwas, mit dem umzugehen er erst lernen muss, wie er sagt, das Virus, sagt er – er sagt wirklich ›das Virus‹, die medizinische Terminologie geht ihm von den Lippen, als gehöre sie seit Jahren zu seinem Grundvokabular –, das Virus, sagt er, habe die Blut-Hirn-Schranke durchbrochen, es sei in sein Allerheiligstes eingedrungen und er müsse sich, wohl oder übel, als gehirnlich infiziert betrachten. Bei dem Wort ›gehirnlich‹ geht ein Ruck durch die Gestalt, für einen Augenblick kehrt das Leuchten zurück, um gleich wieder zu erlöschen. Ich verstehe ihn gut: das Gehirn ist der Sitz seiner Freuden, der Vergeistigungsort der Genüsse, der Olymp seiner Weltanschauung, die da lautet: Glaube nicht, was du anfassen kannst, fass nicht an, was dich nicht berührt. Zu wissen – oder zu ahnen –, dass da fast nichts mehr gehen wird … Dio mio!

 

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