Hermine (so steht es im Pass), Minchen, Mine, Hermi, Herma: Stadien einer Menschwerdung unter jeweils anderen Sternen, ganz anderen Sternen, einige davon zum Greifen nahe, andere ferngerückt bis an die Grenzen der Generation,wieder andere auf der mobilen Skala Großmutter, Mutter, Kind spielend, niemals das Konkrete verlassend, das in den Darstellungen der Philosophen eine so große Rolle spielt und dennoch auf ein Wort oder deren drei zusammenschrumpft – Hermas Welt gleicht einer endlos aufzuwickelnden Nudel von immer gleicher Form und gleichem Umfang, gefangen auf einer Gabel, zu keinem Munde geführt. Es gibt ihn aber, den Mund, mundus, das Verschlingende, die Welt hinter der Welt, sie ist kompliziert und bis zu einem gewissen Grade undurchschaubar. Herma hat großen Respekt vor den Wissenschaften, vor allem der einen, der sie ihre Ausbildung verdankt.

Ich bin keine Wissenschaftlerin. Ich habe eine Ausbildung.

Das ist korrekt. Dennoch … der Gast empfindet die Zumutung, die in diesen Worten steckt, gleichgültig, ob sie kokett oder ›ernst‹ gemeint sind. Stimmt er zu, riskiert er, sich ihren Hass zuzuziehen, spricht er dagegen, erniedrigt er sich zum Deppen, wie der Jargon eine Person nennt, die in eine gesellschaftliche Falle läuft. Hermine kann, was diese Dinge angeht, sehr nüchtern sein, ach was, sie ist nüchtern bis zum Äußersten und fällt ihre Urteile über Menschen ohne Verzug. Und diese Hermine ist keineswegs tot. Unter all den Minchen und Hermis schlug immer ihr entschiedenes Herz, unerweichbar wie ein schwingender Quarz. Es ist Justus, der Nebenkoch der Familie, der zum Hauptkoch wurde, der seiner Herma seit Jahr und Tag Mut macht, sich ›als Wissenschaftlerin‹ zu sehen.

Als was denn sonst? Sag mir, als was denn sonst?

Und, nach einer kleinen Pause:

Wenn du wüsstest, wer alles an den Universitäten Karriere macht.

Aber das weiß sie doch! Wenn sie es nicht ohnehin wüsste, wüsste sie es aus seinen in allen Tonlagen vorgetragenen Reden, die nie ein Ende zu finden scheinen. Besser wäre es, er würde endlich das Kochen lernen. Aber daran ist in diesem Leben wohl nicht mehr zu denken. In diesem Leben… Könnte sie sich ein weiteres mit ihm vorstellen? Das dann wohl eher nicht. Ein Leben mehr … sie kann es sich nur unter Mühen vorstellen. Aber mit Justus? Das lohnte ja nicht den Übertritt. Warum soll sie es ihm auf die Nase binden? Er ist ein Langweiler, den alle Welt für ein Genie hält. Vielleicht nicht gerade für ein Genie – ohnehin eine zweifelhafte Kategorie –, aber für klug. Vor kurzem erst hat es einer ihrer ältesten Freunde gesagt:

Justus ist der klügste Mann, der mir in meinem Leben begegnet ist.

Der klügste Mann … Herma erwägt die Worte, wiegt sie, lässt sie gleiten … und wie sie gleiten, eines nach dem anderen, eines mit dem anderen, eines so klug wie das andere … abschüssig…

 

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