Hakim ist nicht verrückt. Er ist nur aufgebracht wie alle Geächteten. Sein Problem, huscht es Don durch den Kopf, besteht darin, dass er nicht aufhören kann. Nun gut, es ist nicht wirklich sein Problem, solange da eine andere Instanz existiert, die nicht aufhören kann, die nicht aufhören will und ihn stets aufs Neue herausfordert. Don weiß nicht, auf wie viele Köpfe sie sich verteilt, die nur darauf lauern, die nächste Strafanzeige zu stellen, das nächste Denunziationsformular auszufüllen und mit einem ›Klick!‹ in die Behördenwelt zu senden. Ehrlich gesagt, er kann sich die Zahl nicht vorstellen, weder absolut noch relativ zur Zahl der Einwohner, die für eine solche Tat in Betracht kommen. Er steht vor einem frühen Gemälde des Homomaris, das ihn vor ein paar Monaten durch seine rohe Kraft zum Ankauf bewogen hat: der Mensch der Qual, ein lebender Leichnam, aufgeschnitten und ausgeweidet, das Messer steckt ihm noch in der Kehle. Er aber steht aufrecht, das lädierte Gesicht spiegelgleich einem unsichtbaren Droben zugewandt … der Don muss an die Aufschrift denken, die er bei Auspacken auf der Rückseite fand: Il male esiste, ganz recht, das Böse existiert, es existiert nicht irgendwo, sondern überall, fein verteilt, gesichtslos, wie es ist, kann es jedes Gesicht annehmen, niemand soll sich da auf der sicheren Seite wähnen. Hakim dagegen ist der seiner Sichtbarkeit allzu bewusste, der zur Sichtbarkeit verwundete Mensch. Gern, da ist sich Don sicher, würde er sich unsichtbar machen, aber kurz vor dem Verschwinden kehrt er um und zeigt seinen Verfolgern den Stinkefinger. Und schon fallen sie aufs Neue über ihn her. Das Erstaunlichste am Bösen ist seine Wiederkehr, die gesicherte Wiederholung desselben, hat es sich erst einmal zu ihm entschlossen. Don würde es nicht wundern, wenn die Anzeigenflut aus dem Kreis der Bewunderer käme, die ihn umgeben und ihn mit ihren Postings zu neuen Schmähtaten anstiften. Im Gegenteil: es würde eine gewisse intellektuelle Befriedigung auslösen, sollte sich einmal herausstellen, dass Hakims Bewunderer und Verfolger immer miteinander identisch gewesen wären. Warum? Er weiß es nicht. Denkt er darüber nach, so zerbröckeln die Gedanken. Da ist eine innere Schranke, offenbar hat sie damit zu tun, dass er Hakim als seinen Freund betrachtet und deshalb nicht unziemlich über ihn denken will. Es ziemt sich nicht, die schmutzigen Gedanken der Verfolger zu denken und sei es nur, um sie zu analysieren. Etwas geht über, etwas geht immer über und deckt etwas auf, das ewig unter der Decke des Ich verborgen bleiben sollte. Gern würde er mit Hakim vor das Gemälde treten und seine Reaktion beobachten, aber der Löwe verlässt die Höhle nicht, jedenfalls nicht für ihn.
—Nun ja. Kommt Zeit, kommt Rat.