Wissenschaftliches über den bevorstehenden Bevölkerungsrückgang in Deutschland erfuhr ich zum ersten Mal im Verlauf einer Tagung von Geisteswissenschaftlern Anfang der achtziger Jahre. Der Vortragende, ein Statistiker, erläuterte anhand der Populationskurven von Hasen diverse Regulationsmechanismen der Natur: steigt die Zahl der Hasen, so steigt entsprechend die Zahl der natürlichen Feinde, die ihr Wachstum begrenzen, et vice versa. Auch in Fällen, in denen die natürlichen Feinde ausfallen, geht das Wachstum keineswegs ins Ungemessene, sondern regelt sich anhand bekannter Faktoren wie Hunger und Sozialverhalten in bestimmten Größenordungen ein. Das war damals, im Hinblick auf globale Überpopulations- und Verwüstungsszenerien, eine spannende, beinahe schon beruhigende Aussage. Zwischen 2020 und 2040, so der Vortragende, werde sich die Bevölkerung der Bundesrepublik (die damals noch nicht die ›alte‹ hieß und knapp über sechzig Millionen Einwohner zählte) bei ca. vierzig Millionen einpegeln – in einer Größenordnung also, bei der sich Fuchs und Hase, falls sie Wert darauf legten, beruhigt Gute Nacht sagen könnten –, in etwa vergleichbar der Zahl der Menschen, die vor Krieg, Flucht, Vertreibung und Einwanderung auf ihrem Territorium lebte. Diese Entwicklung, so der Vortragende, sei nicht mehr aufzuhalten – abnehmende Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter, realistische Annahmen über Kinder und Kindeskinder etc. –, sie sei ein Faktum, mit dem man sich abzufinden habe. Allerdings hätten Ökonomie, Politik und Gesellschaft viel Zeit, sich darauf einzustellen, insofern stünden die Chancen gut, dass es gelingen werde, die kommenden Verwerfungen abzufedern. Andererseits solle man das Problem nicht kleinreden: noch niemals habe ein hochkomplexes System wie die Bundesrepublik unter vergleichbaren experimentellen Bedingungen agiert. Die Diskussion verlief ruhig, man kann auch sagen: sie fiel aus.

 

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