Das Wissen der Wenigen und die Unwissenheit der Vielen

 Es kommt die Zeit, da wir alle fort und vergessen sind, und das Einzige, was dann von uns übrig ist, sind die Treibhausgase, die wir mehr oder weniger unwissentlich in die Atmosphäre gepustet haben.
Greta Thunberg, Svante Thunberg, Malena Ernman, Beate Ernman

Klimakiller

Zwischen 1950 und 2000 stieg die Durchschnittstemperatur über den Landmassen der Erde um einen Wert unter einem Grad Celsius an. Tiefer liegt, bei weit geringerer Dichte der Messstationen, der entsprechend über der Meeresoberfläche ermittelte Wert. Im gleichen Zeitraum stieg, mit wachsender Tendenz, der atmosphärische CO2-Anteil im Weltdurchschnitt um ca. 50 ppm, von denen man auf Grund von Isotop-Messungen annimmt, dass sie durch menschliche Emissionen zustandekommen: eine ebenfalls rein statistische Größe, die keinerlei Aussage über die etwa auf einer NASA-Animation zu betrachtende, den staunenden Laien recht ungleich anmutende Verteilung des Spurengases in der, sagen wir, erdumspannenden Troposphäre enthält, geschweige denn darüber, ob das wichtig ist oder nicht.

Das ist der ›harte‹, durch hoffentlich über jeden Zweifel erhabene Daten abgesicherte Beitrag der Klimawissenschaft zum Klimaalarm. Alle weiteren Aufreger, darunter bereits die bedeutungsheischende Aussage, die Erdtemperatur habe sich ›seit Beginn der industriellen Ära‹ (und nicht etwa ›seit dem Ende der kleinen Eiszeit‹, was einen anderen Zusammenhang suggerieren würde) kontinuierlich erhöht, fallen, für jeden informierten Zeitgenossen einsehbar, in den Bereich des üblichen naturwissenschaftlichen Rauschens, das heißt, des datenbewehrten Spiels mehr oder weniger kühner, mehr oder weniger plausibler oder ›gehärteter‹ Hypothesen und Gegenhypothesen.

Zugegeben: Klimaforschern gelingt es beeindruckend oft, hartnäckig haftende Bilder im medialen Raum zu deponieren. Aufnahmen schmelzender Hochgebirgs- und kalbender Grönlandgletscher zieren jede Klatsch-Illustrierte, irgendwo wütet stets ein verheerender Waldbrand oder ein Wirbelsturm, aus friedlich gen Himmel ragenden Kühltürmen entweichende Wasserdampfschwaden dürfen, jedenfalls in empfänglichen Gemütern, düstere Ahnungen wecken und manchmal bleibt ein Forschungsschiff, das ausfuhr, das Schwinden des arktischen Eises zu dokumentieren, malerisch dort in ihm stecken, wo es vorher niemand vermutete. Keine andere wissenschaftliche Disziplin hat gegenwärtig so viel zu bieten. Seit Jahrzehnten hat sich das Publikum an den Anblick statistisch unterfütterter Verlaufskurven gewöhnt, deren korrekte Ausdeutung Fachleuten vorbehalten bleibt, obwohl alle Welt sie verstanden zu haben glaubt. In aller Regel zeigen die Kurven aufwärts – teils linear, teils in Form steil dem oberen Bildrand entgegenstrebender Wildwuchs-Hyperbeln. Damit werden sie zu klaren Trägern einer durchgehenden Botschaft: So geht es nicht weiter. Was nicht weiter geht und was geschehen muss, darüber weiß inzwischen jedes Schulkind Bescheid: CO2-Ausstoß reduzieren, am besten auf Null bringen, denn CO2 ist der ›Klimakiller Nr.1‹.

Die wissenschaftliche Debatte über den Stellenwert von Kohlendioxid als dem primären Verursacher des ›anthropogenen‹ Klimawandels ist asymmetrisch polarisiert: Die CO2-Theorie des Klimawandels ist ›gesetzt‹. Sie ist der Platzhirsch, gegen dessen erdrückende Vormacht sich die Konkurrenz, gleichgültig, ob sie die einschlägig benannten Klimafaktoren anders gewichtet oder es beim bloßen Bestreiten von allem Möglichen belässt, mit dem zweiten Platz und dem zweifelhaften Etikett der ›Skeptiker‹ und ›Leugner‹ zufrieden geben muss. Ein populär geschriebener Bestseller wie Der Klimawandel von Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber, mittlerweile in der achten Auflage auf dem Markt, ist nicht weniger als ein wissenschaftliches Epos, er trägt dem Verlangen nach der ›großen Erzählung‹ vom menschengemachten Klimawandel und seinen Folgen Rechnung und entsorgt mit überlegener Geste jeden hier und da aufkeimenden Zweifel in die Schmuddelecke, in der die unscheinbaren Reste vergangener Irrtümer auf engem Raum beieinander faulen.

Im Wissenschaftsalltag sind solche Asymmetrien nichts Besonderes. Es kostet, neben der notwendigen theoretischen Anstrengung, Zeit, Kraft und Nerven, Theorien, die es in die Standard-Lehrpläne der Universitäten und Schulen geschafft haben, bei Bedarf wieder daraus zu vertreiben oder auch nur, gegen konkurrierende gehalten, zu relativieren. Das hat, die Unsicherheiten der Materie beiseite gesetzt, auch mit dem Prestige-Charakter wissenschaftlicher Erkenntnis zu tun. Wer als ambitionierter Forscher mit einem Fehlritt ins spekulative Gelände alles verlieren kann, überlegt es sich zweimal, seine Reputation und damit seine Karriere aufs Spiel zu setzen, um einer Spur zu folgen, die ihm vielleicht die heiß begehrte Prominenz einträgt, vielleicht auch das Gegenteil. Wissenschaft insgesamt zehrt vom Prestige, das sie in der Gesellschaft genießt – nicht zuletzt deshalb, weil ihre Erkenntnisse dort als Wahrheiten paradieren, die nicht nach Belieben auf‑ und abgebaut werden können. Eines der primären Kennzeichen gesellschaftlich vermittelter ›Wahrheit‹ ist Dauer: Was heute wahr ist, kann nicht morgen schon falsch oder bloß eine Möglichkeit unter anderen sein. Warten wir also bis übermorgen.

Greta

Fanatismus… – kennen Sie Greta? Eine solche Frage kann nur polemisch gemeint sein, sie fordert das Weltgewissen heraus – falls es so etwas gibt –… sie kann nur, mit dem passenden Zeitgeist-Ausdruck, ›unethisch‹ gemeint sein. Warum? ›Wir alle‹ haben das zweifelhafte Glück, Greta Thunberg zu kennen: vielleicht nicht gerade als Person, aber ganz gewiss als Medien-Ikone und ‑Abziehbild. Im Augenblick hat es, wie es scheint, einen Knacks bekommen, vornehmlich durch die Heftigkeit des New Yorker UN-Auftritt vom 23. September 2019, vielleicht auch durch gewisse nur ironisch zu benennende Umstände ihrer märchenhaften Seereise an die Gestade der Neuen Welt und retour. Das Weltgewissen ist zickig und springt mit seinen Lieblingen um, wie es gerade passt. Auch dem Idol der Klimabewegung widerfährt damit nur, was andere vor ihr hinnehmen mussten. Ihr Auftreten spaltete die Wohlmeinenden und die Bewegung geht über sie hinweg. Genug ist nicht genug. Der Leitsatz der Bewegung gilt im Reich der dieselgetriebenen PS-Boliden ebenso wie für Exponenten einer Weltsicht, in der derlei Luxus besser heute als morgen verboten würde. Plötzlich ist der Star wieder Kind: Am Tag nach der Kapuzenpredigt an die Mächtigen dieser Welt entsannen sich führende Medien der Eltern und ihrer Fürsorgepflicht, als sei dies ein komplett neues Thema und habe nicht lange zuvor auf dem Redaktionstisch gelegen. Die seriöse Welt, in der Entscheidungen gefällt und Mehrheiten organisiert werden müssen, trennt sich, die Gelegenheit nutzend, ostentativ von den lunatics, den überspannten Rebellen des Weltgewissens, das bekanntlich bei Bedarf in jedem Mainstream-Politiker … tickt. Und die wirklichen Rebellen? Sagen wir, die Situation kommt ihnen … entgegen, nachdem ›Greta‹ erfolgreich die Botschaft vom drohenden Untergang in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft und der ihr verpflichteten Politik verankert hat. Konkurrenz belebt das Geschäft und Feindschaft gegen das System garantiert einen langen Atem. Währenddessen wird die Ikone, ausstaffiert mit allerlei Auszeichnungen, ins öffentliche Nirwana all jener Kämpfer für eine bessere Zukunft entrückt, an die von Zeit zu Zeit ein illustrierter Zeitungsartikel erinnert.

Bildung

Die junge Dame deutete es an: Sie ist ganz nebenher dabei, ihre Bildung auf dem Altar der Menschheit zu opfern. Warum erlaubt sie sich das? Warum erlaubt sie es ihrer Umgebung? An diesem Drama – denn es ist ein Drama – soll die ganze Menschheit teilnehmen, weil es … nun ja, weil es die Menschheit angeht. Greta Thunberg weiß oder glaubt etwas zu wissen, das keinen Aufschub duldet. Offenbar weiß sie nicht, dass Bildung und Wissen in einem engen Zusammenhang stehen oder, um es weniger schlicht zu formulieren, einander wechselweise bedingen: keine Bildung ohne Wissen, kein Wissen ohne Bildung. Der erste Teil dieses Satzes klingt einigermaßen trivial, der zweite bereits weniger: Man muss wissen – oder eine Ahnung davon haben –, was Wissen heißt und auf welche Weise es zustandekommt, um sich seiner halbwegs angemessen bedienen zu können. Pädagogen und Öffentlichkeitsarbeiter wissen, es gibt einen Fanatismus der Unwissenheit und des Wissens, die einander in ihren traurigen Folgen in nichts nachstehen. Ein nicht unwesentlicher Grund liegt darin, dass letzterer gleichfalls auf Unwissenheit beruht (den Fall der wissentlichen Unwissenheit, des Selbstbetrugs oder der bösen Absicht einmal beiseitegesetzt) – der Unfähigkeit, sich über die Grundlagen des hier und jetzt Angeeigneten Rechenschaft abzulegen. Daher kann keine Unterrichtseinheit den Bildungsgang ersetzen, innerhalb dessen sie angesetzt wurde: Eine Banalität unter Pädagogen, zusehends ausgehebelt durch die grassierende Bildungsverachtung von Leuten, die der Ansicht sind, sie wüssten genug, um die Welt von ihrem schlimmen Tun abhalten zu müssen – selbstredend hier und jetzt, denn die Sache selbst duldet … siehe oben. Die Sache selbst… Ganz recht, die sechzehnjährige Greta kann es nicht wissen, da eine skrupellos agierende Umgebung ihr ein Dasein als Medium andient, dazu verurteilt, anderer Leute Wahrheiten unter die Leute zu bringen – flächige Projektionen eines ›Wissens‹, das in seinem Kern vielleicht Wissenschaft, vielleicht ein Hoax (oder ein guter Mix aus beidem) ist, in jedem Fall aber über eine Tiefendimension verfügt, die sich ihr und ihren Mitkämpferinnen entzieht. Sollte dieses Kind, das kein Kind mehr ist, ein ›Missbrauchsopfer‹ genannt werden dürfen (ich bin mir in diesem Punkt nicht sicher), so weniger einer gezielt ausgeplauderten Asperger-Diagnose als der Absonderlichkeit wegen, dass eine akklamierende Erwachsenenwelt ihm leichtfertig das Recht auf Bildung wegredet. Damit scheint es das Schicksal einer Generation von Jugendlichen zu teilen, unter deren Lehrern und Erziehern es nicht wenige vorziehen, einen selbstgerechten Aktivismus zu lehren, statt ihren Schützlingen die elementare Kenntnis dessen zu vermitteln, was eine frühere Generation ›la condition humaine‹ nannte, die menschliche Weise, in der Welt zu sein und, unter anderem, eine Flut widersprüchlicher Gewissheiten zu generieren, deren Schicksal darin besteht, wieder kassiert zu werden, sobald es an der Zeit ist. Denn noch immer ist der Mensch das Tier, das tief in seinem Inneren weiß, dass es nicht weiß, während es fest zu wissen glaubt, was andere ihm suggerieren.

Wissenschaft

In der Wissensgesellschaft wimmelt es von ›wissenschaftlichen Fakten‹, als hätte Wissenschaft nichts anderes im Sinn, als dergleichen unter das Publikum zu streuen. Der Berufung auf Fakten haftet, wo immer sie in beherrschender Position auftritt, etwas Furchteinflößendes an, zumindest in der Wirkung auf Laien. Sie erscheinen ihnen unumstößlich gegeben: ›Widerstand zwecklos!‹ Das gefällt den Blendern unter den Wissenschaftlern, die sich gern im Licht der Öffentlichkeit sonnen. Denn sie wissen, in ihren Disziplinen ist nichts so umkämpft wie just jene ›Fakten‹. Das Wort factum bedeutet: Fakten werden gemacht. Sie sind das Ergebnis einer theoretischen oder praktischen Anstrengung (›Fakten schaffen!‹). Exakt das unterscheidet sie vom ›Datenmaterial‹, den data, die zwar auch erhoben und interpretiert werden müssen, aber anschließend auf irgendeine Weise, zum Beispiel in Archiven, etwa zum Klimawandel (wo sie, rein theoretisch, auch zurechtgebogen werden könnten), auf Abruf in einer Weise gegeben sind, wie dies Fakten, als Fakten betrachtet, gerade nicht sind.

Selbstverständlich können, mit gewissen Einschränkungen, auch Fakten als Daten interpretiert werden (zum Beispiel, wenn ein Soziologe den Umgang mit Fakten, etwa im Labor, thematisiert) und Daten als Fakten – selbst die einst in der Philosophie so geschätzten Sinnesdaten erwiesen sich im Gang der Gehirnforschung als Resultate komplexer biologischer Entscheidungsprozesse, so dass sie nur noch selten als unbezweifelbarer Grundstoff allen Gewussten in Anspruch genommen werden. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Differenz. Wer demnach, öffentlich sein Renommee als Wissenschaftler in Anspruch nehmend, behauptet, jene einer wissenschaftsfernen Umgebung aufs Auge gedrückten ›Fakten‹ seien, bloß fürs laienhafte Verstehen aufbereitet, die Daten selbst, so dass sich auch der letzte Klima-Aktivist als Kämpfer um die Menschheit verdient machen darf, der beurlaubt sich mit dieser Aussage aus dem wissenschaftlichen Diskurs und mutiert zum Guru. Nicht wenige finden Gefallen an dieser Rolle, nicht wenige Nicht-Wissenschaftler gehen ihnen ins Garn.

Beispiele für diesen Rollenwechsel finden sich in der Klimaforschung zuhauf. Dabei spekuliert die als ›führende Klimaforscher‹ gehandelte Prominenz nicht selten auf die Vergesslichkeit einer dankbar-betroffenen Öffentlichkeit. Gerade die furchterregendsten unter den aufgebotenen ›Fakten‹ müssen, sobald die entsprechenden Studien vorliegen, mit ritueller Regelmäßigkeit nachjustiert werden. Allerdings hat die Allverfügbarkeit öffentlich getätigter Äußerungen via Internet eine Klasse von Beobachtern auf den Plan gerufen, der Respekt vor den Verlautbarungen der Etablierten ein Fremdwort zu sein scheint. Ihre theoretische Kompetenz mag im Einzelfall gering sein, sie darf es auch, solange ihre Lese- und Memorierfähigkeit als wirksames Antidot wider das Vergessen der unübersehbar gewordenen Schar interessierter Zeitgenossen aufhilft, die sich nicht mit der allabendlichen Berieselung durch die üblichen Fernseh-Standardprogramme zufriedengeben.

Spannungen

»Judith Curry, eine Mitautorin der BEST-Studie, warf Richard Muller auf ihrem viel beachteten Klima-Blog jedoch vor, seine globale Temperaturkurve so manipuliert zu haben, dass die seit über einem Jahrzehnt feststellbare Abkühlung verborgen bleibt. ›Es hat in den vergangenen 13 Jahren keine weitere Erwärmung gegeben‹, betont Curry. ›Das zeigen alle verfügbaren Messreihen. Die Behauptung, die globale Erwärmung sei nicht zu Ende, ist wissenschaftlich unbegründet.‹ Eine Studie der britischen Global Warming Policy Foundation (GWPF) gibt ihr recht. Curry weist auch darauf hin, dass die Abflachung der Temperaturkurve in eine Zeit fällt, in der der Kohlenstoffdioxid-Ausstoß schneller als jemals zuvor angestiegen ist. Daraus könne man schließen, dass CO2 sicher nicht direkt für den Temperaturanstieg im 20. Jahrhundert verantwortlich war. Curry vermutet andere Ursachen des Klimawandels eher bei Änderungen der Wolkenbedeckung, in natürlichen ozeanischen Zyklen oder der Sonnenaktivität. Immerhin enthält die BEST-Studie deutliche Hinweise darauf, dass die Temperaturentwicklung der Nordhalbkugel der Erde in den vergangenen hundert Jahren stärker von natürlichen Zyklen wie vor allem der Atlantic Multidecadal Oscillation (AMO) geprägt wurde als von menschlichen Einflüssen.«
Edgar L. Gärtner, Die BEST-Studie bringt nichts Neues (2011)

Nicht jeder, der im Wissenschaftsbetrieb ein warmes Plätzchen ergattert hat, besitzt die Geduld eines Chamäleons. Wer die Härten der Auseinandersetzung nicht scheut, dem stellt die Publikationsform des Wissenschaftsblogs ein Instrument zur Verfügung, mit dessen Hilfe das Hin und Her hinter der Maske gewichtiger Hypothesen ohne abrupten Prestigeverlust in die Öffentlichkeit getragen werden kann. Kein Wunder also, dass die Mehrzahl der Klima-Blogs einen eher kritischen bis skeptischen Hautgout verströmt. Nicht bloß das Publikum will es so. Die mediale Logik vordergründig unzensierter Öffentlichkeit treibt dazu, dem Peer-regulierten (und gelegentlich überregulierten) offiziellen Informationswesen ein Schnippchen zu schlagen.

Das wiederum erlaubt auch institutions‑ und fachfernen Zeitgenossen bei gehöriger Neugier den Blick hinter die Kulissen von Wissenstransfer–Institutionen wie des IPCC. Was sie dort zu sehen bekommen, lockt Journalisten und interessierte Laien gleichermaßen an – und trägt nicht unwesentlich zur Polarisierung der Allerweltsmeinungen in Pro und Contra bei. Am Ende sind alle, die sich ›im Internet tummeln‹, Klima-Experten. Sie sind es mit derselben Unerbittlichkeit, mit der Fans auch andernorts bei der Sache zu sein pflegen: Sie halten zu ihrer ›Mannschaft‹ und gehen mit ihr durch dick und dünn. Das schweißt die Mannschaft zusammen und gibt ihr in den Kämpfen den entscheidenden Kick: Never surrender heißt die Parole und, bei passender Gelegenheit: We are the champions. Diese Haltung bestimmt die Öffentlichkeitsarbeit der Vereine, sprich: der publikumswirksamen Allianzen. Gefolgschaft will gepflegt sein. Wer will, darf sich angesichts der Unerbittlichkeit der ausgefochtenen Kämpfe, vor allem dort, wo ihr Schau-Charakter unübersehbar zutage tritt, belustigt zeigen. Doch damit riskiert er bereits, dass ihm der freundliche Nachbar künftig den Handschlag verweigert, gleichgültig, ob in den Kommentarspalten der Blogs oder an der Haustür: Irre, der / die glaubt doch wirklich… (oder auch nicht).

Ja was denn? Das deutsche Bundesumweltamt weiß sich auf sicherem Grund: »Der anthropogene (durch den Menschen verursachte) Treibhauseffekt ist seit über drei Jahrzehnten zunehmend Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und öffentlicher Diskussionen. Trotz der mittlerweile fundierten wissenschaftlichen Basis melden sich immer wieder Skeptiker zu Wort, die den anthropogenen Treibhauseffekt anzweifeln oder sogar leugnen.«

 

Welt-Sorge

Es existieren auch andere Verlautbarungsformen. Eine davon ist die Petition, die Eingabe an staatliche Stellen, sie mögen nicht länger den Sirenengesängen einer politisch ambitionierten (und gezielt geförderten) Forschung folgen, die, aus exakt diesem Grund, nicht mehr umzusteuern vermag und die Politik sich in teure, unproduktive und gemeinschädliche Sackgassen verrennen lasse.

»Al Presidente della Repubblica
Al Presidente del Senato
Al Presidente della Camera dei Deputati
Al Presidente del Consiglio
PETIZIONE SUL RISCALDAMENTO GLOBALE ANTROPICO
(…) Negli ultimi decenni si è diffusa una tesi secondo la quale il riscaldamento della superficie terrestre di circa 0.9°C osservato a partire dal 1850 sarebbe anomalo e causato esclusivamente dalle attività antropiche, in particolare dalle immissioni in atmosfera di CO2 proveniente dall’utilizzo dei combustibili fossili. Questa è la tesi del riscaldamento globale antropico promossa dall’Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) delle Nazione Unite, le cui conseguenze sarebbero modificazioni ambientali così gravi da paventare enormi danni in un imminente futuro, a meno che drastiche e costose misure di mitigazione non vengano immediatamente adottate. A tale proposito, numerose nazioni del mondo hanno aderito a programmi di riduzione delle emissioni di anidride carbonica e sono pressate, anche da una martellante propaganda, ad adottare programmi sempre più esigenti dalla cui attuazione, che comporta pesanti oneri sulle economie dei singoli Stati aderenti, dipenderebbe il controllo del clima e, quindi, la ›salvezza‹ del pianeta.
L’origine antropica del riscaldamento globale è però una congettura non dimostrata, dedotta solo da alcuni modelli climatici, cioè complessi programmi al computer, chiamati General Circulation Models.
Al contrario, la letteratura scientifica ha messo sempre più in evidenza l’esistenza di una variabilità climatica naturale che i modelli non sono in grado di riprodurre. Tale variabilità naturale spiega una parte consistente del riscaldamento globale osservato dal 1850. La responsabilità antropica del cambiamento climatico osservato nell’ultimo secolo è quindi ingiustificatamente esagerata e le previsioni catastrofiche non sono realistiche.«

»An den Präsidenten der Republik
An den Präsidenten des Senats
An den Präsidenten der Abgeordnetenkammer
An den Präsidenten des Rats
PETITION ZUR GLOBALEN ANTHROPOGENEN ERWÄRMUNG
(…) In den letzten Jahrzehnten wurde die These verbreitet, derzufolge die Erwärmung der Erdoberfläche um rund 0,9°C, welche ab 1850 beobachtet worden ist, anomal und ausschließlich menschlichen Aktivitäten zu verdanken sei, insbesondere dem Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre durch den Verbrauch fossiler Brennstoffe. Darin besteht die vom Weltklimarat der Vereinten Nationen (IPCC) geförderte These der anthropogenen globalen Erwärmung. Ihre Konsequenz wären Umweltveränderungen so ernsten Ausmaßes, dass man enormen Schaden in der unmittelbaren Zukunft befürchten müsste, es sei denn, es würden unverzüglich drastische und kostenintensive Abschwächungsmaßnahmen ergriffen. Deshalb sind viele Nationen in der Welt Programmen zur Reduktion von Kohlendioxid­emissionen beigetreten und werden, auch durch eine nicht nachlassende Propaganda, unter Druck gesetzt, zunehmend fordernde Programme anzunehmen, deren Umsetzung mit hohen Belastungen für die Wirtschaft der einzelnen Mitgliedsstaaten verbunden ist, um das Klima zu kontrollieren und den Planeten zu ›retten‹.
Der anthropogene Ursprung der globalen Erwärmung ist jedoch eine unbewiesene Hypothese, ausschließlich abgeleitet von einigen Klimamodellen, d.h. komplexen Computerprogrammen, genannt ›General Circulation Models‹.
Auf der anderen Seite hat die wissenschaftliche Literatur zunehmend die Existenz einer naturgegebenen Klimavariabilität herausgearbeitet, welche die Modelle nicht reproduzieren können. Diese natürliche Schwankung erklärt einen beachtlichen Teil der globalen Erwärmung, welche seit 1850 beobachtet wurde. Die menschliche Verantwortung für die im letzten Jahrhundert beobachtete Klimaveränderung wird daher ungerechtfertigt übertrieben und die Katastrophenvorhersagen sind nicht realistisch.«
Clima, una petizione controcorrente, mercoledì 19 giugno 2019

Wie muss man sich eine ›mittlerweile fundierte wissenschaftliche Basis‹ in praxi vorstellen? Öffentlichen Einlassungen von Forschern und Experten, die es nicht hinnehmen wollen, hinter der offenbar ›fabrizierten‹ und immer wieder hervorgeholten Zahl von 97 Prozent bekennender Klima-Alarmisten einfach zu verschwinden, schlägt regelmäßig Wut entgegen – Wut aus einschlägigen Aktivisten-Kreisen, Wut aber auch, man kann es nicht anders benennen, seitens Krethi und Plethi, die sich in Klimadingen auskennen und den Kopf schütteln über soviel Unvernunft in den inneren Zirkeln der Wissenschaft: Die sind doch nicht sauber! – warum auch immer. In diesem Konzert – jeder kann da seine Beispiele einfügen – vermischt sich die Sorge um die Zukunft der einen Welt mit der Unbedingtheit des Glauben-Wollens, das von ›der Wissenschaft‹ Sicherheit und Führung verlangt und sie eben damit heillos überfordert. Natürlich darf darüber spekuliert werden, warum dem so ist und wie es dazu kommen konnte. Doch die Tatsache bleibt bestehen und beschäftigt die Gemüter. Die Schwierigkeiten der Klimaforschung im Umgang mit der von einigen ihrer Vertreter heftig in Anspruch genommenen Wahrheit spiegeln sich in den Schwierigkeiten einer zwischen Mehrheits- und Minderheits-Überzeugungen gespaltenen Öffentlichkeit, Wissenschaft als das zu nehmen, was sie nun einmal ist: ein mühsames Verfolgen konträrer Ansätze mit prinzipiell ungewissem Ausgang.

Soziale Gewissheit

Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, ist binnen kurzem mit ihr konfrontiert: Die Rede von der ›Klimalüge‹, verwendbar in beide Richtungen, beherrscht den öffentlichen, aber natürlich auch den von ihr bestrichenen Teil des wissenschaftlichen Raumes. Sie fügt dem, ›was wir wissen‹, eine nichtwissenschaftliche Komponente hinzu, die letzten Endes Wissenschaft selbst kontaminiert. Ihre Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel, falls es nicht immer wieder gelingt, Falschmünzer in den eigenen Reihen aufzuspüren und aus dem Spiel zu nehmen. So jedenfalls sieht es in der Theorie aus und in den Augen der Gutgläubigen ohnehin. Und es stimmt: In der Regel gelingt das ›ganz gut‹, wie Pragmatiker meinen (dass für jeden aufgeflogenen Schwindel aller Wahrscheinlichkeit nach ein neuer seinen Umlauf beginnt, gehört zum Gang der Dinge und ist nichts weiter als der Preis der Offenheit wissenschaftlicher Prozesse). Gelangt allerdings der pauschale Vorwurf an eine als Clique markierte Gruppe von Wissenschaftlern, einer heuchlerischen Praxis zu huldigen, ins öffentliche Meinungsbild, dann bekommt auch Wissenschaft zu spüren, dass ihre Verlautbarungen und Profile im allgemeinen Bewusstsein kein Extra-Abteil besetzen, sondern, hineingeworfen in die allgemeine Debatte, Verdächten ausgesetzt sind und Verzerrungen erfahren, denen niemand ungeschoren entkommt. Auch Klimawissen ist eine soziale Größe, ein ›fait social‹. Das begrenzt seinen Wahrheitsanspruch empfindlich.

Das Problem: Man muss nicht lügen, um zu lügen. Es genügt bereits, einer öffentlichen Lüge die Ehre zu geben. Um das zu verstehen, muss man begreifen, wo das öffentliche Lügen beginnt und warum es unabweislich der Fall ist. Es gehört zu den Gemeinplätzen der Sozialwissenschaft, dass es leichter ist, in der Gemeinschaft – und mit ihr – unterzugehen denn als Einzelner gegen sie aufzustehen. Das gilt in existenziellen Lagen, in denen materieller Widerstand angesagt sein kann, es gilt aber auch in Lagen, in denen nichts weiter verlangt wäre als Sicherheit und Persistenz des eigenen Urteils (der Mut, es öffentlich zu bekunden, käme als Komplikation noch hinzu). Man weiß, dass sich gestandene Zeugen eines Verbrechens ihre Erinnerung abschwatzen lassen, wird erst der soziale Preis sichtbar, den sie für ihre Standhaftigkeit entrichten müssten, man weiß, dass, nicht anders als das soziale, selbst das persönliche Gedächtnis eine elastische Komponente besitzt, die sich ungemein leichtfertig den kurrenten Erzählungen anzuschmiegen weiß, gleichgültig, ob es um Prominentenklatsch oder um Fragen von Krieg und Frieden geht, man weiß, dass Abgeordnete einstimmig Gesetzespakete beschließen, deren Auswirkungen sie, einzeln befragt, im Ernstfall ablehnen würden, dass Wissenschaftler, um an Forschungsgelder zu kommen, sich Lehrmeinungen beugen, von deren Nichtigkeit sie insgeheim überzeugt sind – und wären sie es nicht, so genügte es, wenn sie ihre Indifferenz (»Darüber habe ich kein Urteil«) bei passender Gelegenheit als Zustimmung auslegten und sich und anderen als Stand der Wissenschaft andrehten, was bei näherer Betrachtung nur eine Forschungsmeinung unter anderen darstellt.

Man kann die Vorstellung vom selbstreinigenden Prozess der Wissenschaft mögen, sogar von ihm überzeugt ist – welcher Wissenschaftler wäre das nicht? –, ohne auszublenden, dass die Scientific Community zu allererst ›community‹ ist, ein soziales Gebilde, innerhalb dessen Wissenschaft betrieben wird. Auch in ihr gilt, dass niemand lügen muss, um zu lügen. Hypothesen lügen nicht, sie werden widerlegt und zu den Akten gelegt oder auch nicht, insbesondere nicht, solange sie Geld, Ruhm und Einfluss generieren. Manche unter ihnen, so darf man annehmen, sind längst in einem Winkel des wissenschaftlichen Universums widerlegt und werden künstlich am Leben gehalten, solange die Quelle, die das ermöglicht, munter weitersprudelt. Wozu gäbe es schließlich Schulen? Die Community muss sich, schon aus Gründen der Lehrbarkeit von Fächern, in vielerlei Hinsicht einigen können, ohne sich wirklich einig zu sein. Wer mag, kann das ›weitgehenden Konsens‹ nennen oder Leitauffassung oder führende Theorie oder ›Erzählung‹: keine Gesellschaft ohne Prämiensystem, kein Prämiensystem ohne einen Anflug von Schwindel. Verhandelt erst die Diskursgesellschaft ihre Schwierigkeiten im kontroversen Benennen dessen, was ist, unter Etiketten wie ›Lüge‹, ›fake news‹ und dergleichen, dann hält das Wort – und die darin enthaltene Unterstellung – über kurz oder lang auch Einzug in die Wissenschaft und ist auf kaum eine erdenkliche Weise mehr aus ihr zu entfernen.

Fallen und Fallensteller

Ein wenig sibyllinisch befindet im Jahre 2019 die Frontseite des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie noch immer über den dritten IPCC-Sachstandsbericht von 2001:

»Ergebnis des Berichts ist, dass das globale Klima durch menschliche Aktivitäten stärker verändert wird als bisher erwartet. Gegenüber dem Zweiten Sachstandsbericht von 1995 gab es einen deutlichen Fortschritt im wissenschaftlichen Erkenntnisstand. Insbesondere durch eine Verbesserung der Datenlage und der Klimamodelle konnten beweiskräftigere Belege für einen Klimawandel gefunden werden.«

Da stehen zwei trockene Sachaussagen unverbunden nebeneinander, die sich gegenseitig zu stützen scheinen. Danach scheint, aus welchen Gründen auch immer, für die Verfasser der Seite die Zeit stehengeblieben zu sein. Einiges über die Vorgeschichte des Instituts, das sich heute der ›Erdsystemwissenschaft‹ verpflichtet weiß, erfährt der Leser aus dem 2013 erschienenen Buch Die Klimafalle: Die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung, gemeinsam verfasst von einem Klimatologen (Hans von Storch) und einem Ethnologen (Werner Krauß). Die aktuelle Klimawissenschaft, argumentieren sie, sei als ›postnormale Wissenschaft‹ (Jerry Ravetz) zu begreifen, für welche die Kriterien wissenschaftlicher Falsifikation nicht mehr gelten, die üblicherweise dafür sorgen, dass Wissenschaft ihre Probleme selbst löst – vielmehr sei hier ein unauflösliches Konglomerat aus Forschung, inner- wie außerwissenschaftlichen Interessen und gesellschaftlichen Interventionen entstanden, bei dessen Beschreibung eher auf sozial‑ bzw. kulturwissenschaftliche Konfliktmodelle zurückzugreifen sei als auf tradierte Muster der Wahrheitssuche.

Das Buch lässt sich gut als Studie über die ›Klimalüge‹, soll heißen das einschlägige Versagen von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik begreifen. Hier ist von ›Lagerfeuern‹ die Rede, an denen die am Prozess der Gewinnung von Wissen und seiner politischen Umsetzung beteiligten ›Stämme‹ ihre Geschichten pflegen und miteinander ›aushandeln‹, wie es weitergeht mit der Wissenschaft und der Welt. Das ethnographische Bild entwickelt seinen eigenen Sog, doch die oben zitierte Petition – wie manches im Buch diskutierte Detail der Klimadebatte – spricht eine andere Sprache. Von Storch und Krauß haben in eine verfahrene Situation einen Vorschlag zur Güte eingebracht, doch die Realität hat sich bisher nicht groß darum geschert. Nach den Gründen muss man vermutlich nicht lange suchen.

Was die beiden Wissenschaftler, weitgehend jedenfalls, außer acht lassen, ist der Machtaspekt aller Wissenschaft: Sie verleiht Macht und steht deshalb im Fokus von Instanzen, die sie zum Zweck der Stärkung oder Gewinnung von Macht unter Kontrolle bringen wollen. Auf dieser Liste stehen der Staat und die nach Einflussnahme gierenden gesellschaftlichen Gruppen obenan. Auch unter machttheoretischen Aspekten betrachtet, verläuft die Klimadebatte, inner‑ wie außerwissenschaftlich (falls sich eine äußere Grenze der Wissenschaft hier überhaupt noch ziehen lässt, ohne Widerspruch zu erregen), im Großen und Ganzen asymmetrisch. Damit erinnert sie an die unter anderem von dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler untersuchten ›asymmetrischen Kriege‹ der jüngsten, in die Gegenwart andauernden Vergangenheit mit ihrer radikalen Ungleichheit an Waffen, Ressourcen und menschlichem Potential, die verhindert, dass die Konfliktparteien sich auf gleicher Ebene miteinander messen und ›die Sache‹ auskämpfen könnten.

Die Haupt-Asymmetrien sind schnell benannt. Sie reichen von der Fähigkeit staatlicher Instanzen, der ihnen genehmen Seite praktisch unbegrenzt Forschungsstätten und ‑mittel zur Verfügung zu stellen, bis hin zur prinzipiell ebenso grenzenlosen Öffentlichkeitsarbeit und -beeinflussung durch gesellschaftliche Akteure, unter denen die unmittelbar involvierten Energiekonzerne ebenso hervorstechen wie privat finanzierte Denkfabriken und aktivistische Nichtregierungsorganisationen (NGOs), soweit sie durch Größe und Vernetzungsgrad den Status ernstzunehmender Mitspieler erreicht haben, zugunsten einer ihnen genehmen Lehrmeinung. Gegenüber tummeln sich die Partisanen des laufenden Meinungskampfs im Dschungel der Blogs und YouTube-Kanäle, der Bürgerversammlungen und oppositionellen Clubs, bei deren Zusammenkünften tatsächlich eine Art Lagerfeuer-Mentalität aufblitzt, in der auch der Spott über die sich in ihrer vermeintlichen Überlegenheit wiegende andere Seite sein festes Plätzchen beansprucht.

Der Anblick wiederholt sich, verirrt sich der Blick in die Hallen der Wissenschaftlichkeit, in denen die Schlacht um Drittmittel, Publikationsorte und ‑raum, Beratertätigkeiten, Peer-Pöstchen und Gutachterpositionen ihren Gang geht. Vieles an Forschungsvorhaben verdankt sich Machtprojektionen (und ‑ambitionen), die zu thematisieren höchst unfein – und unklug – wäre, falls man sie nicht ohnehin aus seinem Gesichtsfeld fernhält, ›verdrängt‹, wie der psychologische Terminus lautet, obwohl die Psychologie hier gewöhnlich außen vor bleibt. Den ›rein‹ der Wissenschaft ergebenen Wissenschaftler möchte man sehen: Ergebenheit, welcher Art auch immer, kollidiert rasch mit den Gegebenheiten der Welt, in denen sie laufende Beweise ihrer Tüchtigkeit abliefern muss. So kommt es, dass unter den Zurückgesetzten, den, aus welchen Gründen auch immer, Ausgegrenzten und notorischen Widerspruchsgeistern, Leuten also, die ohnehin nicht zu Schulhäuptern oder ordentlichen Lehrstuhlinhabern taugen, und natürlich unter den nicht mehr aktiven Angehörigen des akademischen Lehrkörpers sich am ehesten Kräfte finden, gewillt, den Kampf für die unterlegene Sache aufzunehmen und sich in ihm einzurichten, komme, was da wolle. Das gilt nicht generell, aber es markiert in etwa die Widerstandslinie.

Zu den Charakteristica asymmetrischer Kriege zählt, dass in ihnen ›Siege‹ und ›Niederlagen‹, soweit reklamierbar, nichts bedeuten, da sie keine sanktionierten Friedensschlüsse nach sich ziehen. So angelegte Konflikte können austrocknen oder aus Überlebensgründen partiell entschärft werden. Sie können aber auch, je nach Interessenlage und investiertem Glaubenseifer, generationenlang weiterschwelen: ein Thema, das, neben der Geschichtsschreibung, auch die Literatur immer wieder beschäftigt hat – wohl deshalb, weil die Konstellation oft genug ungewöhnliche Charaktere ausbrütet und die Menschheit, zumindest aber lokale Traditionseinheiten, mit dem nötigen Vorrat an Widerstandshelden versorgt. Wie das Beispiel ›Greta‹ zeigt, lassen sich innerhalb etablierter Konflikte auch gegenläufige Asymmetrien erzeugen – was der momentan überrumpelten Partei, und nicht nur ihr, zu allerlei Bedenken Anlass gibt und den Verdacht schürt, dass hier etwas nicht stimmt, soll heißen, eine von ungenannter Seite präparierte Inszenierung ihren Lauf nimmt. Richtig ist wohl, dass das Drehbuch, an das die Klimakämpferin sich hielt, als sie ihren Freitagsprotest startete, zwar von der Mutter ausgeplaudert, aber von den berichtenden Medien keines Wortes gewürdigt wurde. Nach Neutralität, selbst wohlwollender, schmeckt das nicht.

Klimaleugner

Erzählt mir jemand von der bevorstehenden Eiszeit, so fröstelt es mich, gleichgültig, ob von der großen oder einer kleinen die Rede ist, auch wenn ich weiß, dass die Unterschiede gewaltig wären. Schwieriger liegen die Dinge bei einem Anstieg der Welt-Durchschnittstemperatur um zwei Grad – das hört sich, vor allem in den kühleren Breiten, gar nicht so schlecht an, auch wenn man die armen Menschen bedauert, die ohnehin schon unter der Äquatorialsonne leiden. Man muss mir ordentlich einheizen, damit ich zu fühlen beginne, wie gefährlich, wie abgründig das alles zu werden verspricht. Dafür gibt es Klima-Projektionen mit beigefügten Wahrscheinlichkeits-Indices, mit denen kein Mensch, wenn er ehrlich sein will, etwas anfangen kann, weil sie, auf ihre Funktion hin befragt, wenig mehr sind als Salvationsformeln für Modellierer, die sich grundsätzlich ihrer Sache nicht sicher sein können. Auch dann bleiben die Bedrohungen seltsam unwirklich, was ihre Macht über das menschliche Gemüt nicht mindert, sondern erhöht: So will es die Ästhetik des Erhabenen, die auf Erschütterung aus ist und in hysterischen Reaktionen sensibler Zeitgenossen ihre ultimativen Triumphe feiert.

Lägen die Dinge umstandslos so, wie Greta Thunberg – und mit ihr die Leute von Extinction Rebellion sowie eine nicht exakt zu bestimmende Anzahl aufgeschreckter Zeitgenossen – zu wissen glaubt, dann hätte sie einfach recht. Das zu konstatieren verlangt schlichte intellektuelle Redlichkeit. Recht hätten die Klimakämpfer in der Unbedingtheit ihres Umkehr-Appells, also in dem, was wohlwollende Zeitgenossen, das ›Machbare‹ fest im Blick, Gretas New Yorker Auftritt als ›überzogen‹ ankreiden. Die Paradoxie des Augenblicks besteht darin, dass gerade diejenigen, die ihr gern glauben wollen (und dabei ebenso viel oder wenig wissen können wie sie selbst), die praktische Uneinlösbarkeit dieses Glaubens weiterhin als Richtschnur ihres Alltagshandelns und, sofern sie Politiker sind, ihrer Entscheidungen benützen, während all diejenigen, die mit ihr glauben, dass angesichts des drohenden Untergangs nur noch die radikale Umwertung aller Werte greift, also die ›wahrhaft Wissenden‹ nolens volens ein Gemeindeleben entfalten, durch das sie sich als Sekte vom Rest der Gesellschaft, die sie doch auf ihre Seite bringen wollen, isolieren – und zwar bereits vor jedem ›Kampf‹.

Hier wie dort kommt damit ein unkontrolliertes und offenbar unkontrollierbares Element ins Spiel, das dem guten Willen partout nicht zur Verfügung stehen möchte – ein schlechtes Element demnach, dem einen eigenen Willen und Daseinszweck zu unterstellen bei gehöriger Motivation nicht schwerfällt, also ein ›böses‹. Zur Logik des »Wer nicht für mich ist, der ist wider mich« gehört unbedingt die Figur des Bösen, des Widersachers, die verbal im Englischen deutlicher noch als im Deutschen zutagetritt: der ›climate denier‹ (deutsch: ›Klimaleugner‹) ist primär Verneiner (und nicht einfach ›Leugner‹, wenngleich auch hier die Parallele zum ›Gottesleugner‹ und, wer weiß, ›Holocaust-Leugner‹ stärkste Assoziationen verspricht). Dies vor Augen, liest sich eine Liste der TOP 10 CLIMATE DENIERS im Netz wie die handverlesene Auflistung hochdekorierter Handpuppen der Macht, die, wie gesagt wurde, stets das Böse will und stets das Böse schafft: Lobbyisten einer Ölindustrie, die das Ende der Menschheit willentlich zu Profitsteigerungszwecken in Kauf nimmt – während man andernorts liest, dass auch sie längst in Klimaprojekte investiert. Allein die Auslassung des ›Wandels‹ (›climate change denier‹), der dem offenkundig unsinnigen Ausdruck eine halbwegs fassbare Bedeutung verleihen würde, deutet an: Mit solchen Leuten diskutiert man nicht (so wie Greta den in New York versammelten Repräsentanten des so oder so dem Untergang geweihten Systems grotesk überspitzte Anklagen ins Gesicht schleudert, statt sich der erwünschten Werbe-Sprache zu befleißigen). Man bekämpft sie mit allen erdenklichen Mitteln, die hier und da auch die Grenzen des Rechtsstaats ›austesten‹ dürfen.

Trial and horror

Seit die These vom menschengemachten Klimawandel die Runde macht, hantieren einige ihrer Verbreiter mit biblisch anmutenden Schreckensszenarien. Das visionäre Angebot reicht von einfachen Hitze/Kälte-Effekten über unfassbare Massenkatastrophen bis zum Untergang der Spezies Mensch und der Auslöschung der Biosphäre auf diesem Planeten. Das ist allein deshalb bemerkenswert, weil die Erstellung computergestützter Welt-Klimamodelle und die allgemeine Propaganda für jene These sowohl zeitlich als auch praktisch miteinander Hand in Hand gehen. Ein nüchterner, Schreckschüssen abholder Zeitgenosse könnte auch ohne die korrumpierende Nachhilfe gewisser Kreise auf den Gedanken kommen, dass die schleichend zum Schulstandard avancierte ›Treibhaus-These‹ des nun einmal konstatierten, wenngleich für Laien nicht ohne weiteres durchsichtigen weltweiten Klimawandels das Geld und Prestige zusammentrommeln musste und muss, das die Wissenschaft benötigt, um einerseits die teure Rechnerleistung für das überwölbende Projekt eines globalen Klimamodells bei den Förderern anfordern und andererseits all die Institute und Forschungsprojekte finanzieren zu können, ohne deren Zuarbeit die schönste Modelliertätigkeit rasch an Aussagekraft verliert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Das wäre auch gar nicht nötig, gesetzt, man bliebe sich der forschungspragmatischen Implikationen dieser nun einmal bestehenden Interessenverbindung stets hinreichend bewusst – auch wenn just an der Stelle die Trommler und Pfeifer des Weltgewissens einen ohrenbetäubenden Lärm veranstalten, der jede ruhige Gedankentätigkeit zum Erliegen nötigen kann.

Fest steht: Ein Klimamodell, dessen von außen fixierte Aufgabe darin besteht, die These der vom menschlichen CO2-Ausstoß ursächlich bewirkten Erderwärmung mit allen möglichen katastrophalen Folgen auf unverrückbare Füße zu stellen, ist ›vom Ansatz her‹ nicht bloß marginal verschieden von einem, das ohne dogmatische Ausgangsorientierung und Prognoseabsicht, bloß mit dem Anspruch auf Erfassung aller bekannten und noch zu erforschenden (und zu gewichtenden) Komponenten das klimarelevante Geschehen auf dem Planeten abzubilden versucht.

Das bliebe richtig auch dann, wenn – gesetzt, die Alternative existierte in dieser Form – beide eine Zeitlang zu vergleichbaren Ergebnissen kämen oder wenn dem ›gesetzten‹ Klimamodell eine Phase freien Bastelns vorausging, wie das in der Frühzeit des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie offenbar der Fall war. Aus naheliegenden Gründen zeigen Modelle, die auf einer gemeinsamen Ausgangshypothese oder dem gleichen Datensatz beruhen, eine Familienähnlichkeit, die man tunlichst nicht mit Wahrheit oder Verlässlichkeit verwechseln sollte. Der Grund für ihr Bestehen könnte ebenso gut auch exakt die eine Hypothese zuviel sein, die irgendwann zur Berichtigung ansteht. Das gilt unabhängig vom Bemühen, ein ›möglichst realistisches‹ Bild der Klimaverläufe zu erstellen – auch wenn der ›wilde‹ Alarmismus dabei, wie in jüngsten Publikationen, deutlich in die Schranken verwiesen wird. Realismus ist ein schlechter Ratgeber, sobald es um theoretische Grundsatzentscheidungen geht, wie die Liste der wissenschaftlichen Revolutionen von Kopernikus über Newton bis zu Einstein und seinen Nachfolgern eindrucksvoll belegt. Auch Forschung beruht, wie alles menschliche Tun, auf vorgängigen Entscheidungen, dem gern so genannten ›Framing‹: Wer einen anderen Ausschnitt als seine Vorgänger und Konkurrenten ins Zentrum seiner Untersuchungen rückt, der findet in der Regel auch etwas anderes, und sei es das berühmte Haar in der Suppe. Ein Mammutprojekt, alternativlos aufgestellt, mit einer Überlast an Verantwortung gegenüber Geldgebern, in deren Augen interesseloses Forschen noch hinter einem Grippe-Impfprogramm für Polarfüchse rangiert, gestartet mit dem Versprechen, den Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nichts weniger in die Hand zu geben als den ultimativen ›big stick‹, mit dem sich buchstäblich jede unpopuläre Maßnahme begründen und durchziehen lässt, sofern man sie propagandistisch nur richtig anfasst – ein solches Projekt darf sich, einmal in Gang gesetzt, nicht auf das übliche wissenschaftliche Hypothesenspiel von ›trial and error‹ verlassen. Es benötigt die härtere Gangart: Trial and horror.

Die Festlegung

Es hat eine Weile gedauert, ehe die Politik in Europa und einigen anderen Staaten – mit den USA als weiterhin unsicherem Kandidaten – sich ohne Abstriche zu diesem Instrument bekannte. Schneller scheinen die im Umweltsektor tätigen Nichtregierungsorganisationen erkannt zu haben, welch unschätzbares Druckmittel ihnen damit in die Hände gelegt wurde. Die Rolle des einstigen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten und späteren Nobelpreisträgers Al Gore bei der symbolischen Aufladung und Popularisierung des gerichtsnotorischen ›hockey sticks‹ ist allgemein bekannt. Ein Meilenstein auf dem Weg zur staatlichen Hegung der Theorie war die Gründung des IPCC, des Intergovernmental Panel on Climate Change, das seine Aufgabe im Netz wie folgt beschreibt:

»The IPCC was created to provide policymakers with regular scientific assessments on climate change, its implications and potential future risks, as well as to put forward adaptation and mitigation options.«

Seit der Annahme dieses Programms stehen Klimaforschung und Politik in einer symbiotischen Beziehung. Soll heißen: Objektive Wissenschaft im Sinne der Klassiker der Wissenschaftstheorie findet in diesem Segment nicht statt. Wer keinen Fuß im IPCC hat, kann kein führender Klimaforscher sein, und wer ihn drin hat, der kann kein unabhängiger Forscher sein: Er führt einen politischen Auftrag aus. Enttäuscht haben einige Wissenschaftler, die sich vom IPCC abwandten, nachdem sie erst dafür gearbeitet hatten, Zeugnis darüber abgelegt, was das im Einzelfall heißt – teilweise in drastischen Worten.

Mehr als alles andere beflügelt diese Tatsache den Argwohn, eine nicht geringe Anzahl öffentlich CO2-gläubiger Gelehrter könnte genau aus diesem Grund auf dem Boden der gemeinsamen Grundüberzeugungen stehen, für deren Verbreitung und Ausdeutung das IPCC geschaffen wurde. Klar ist mittlerweile, dass die EU und ihre führenden Staaten im Einklang mit globalen Finanz- und Wirtschaftskreisen die ›notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels‹ als machtvolles Steuerungsinstrument zur Erzeugung von Hot Spots der Technologie- und Wirtschaftsentwicklung betrachten, ergänzt um die Hoffnung auf eine ganz neue Planbarkeit globaler Prozesse, die sich dem administrativen Zugriff bis dato zu entziehen wussten. Wie überall scheiden sich auch hier die Gemüter (und selbstredend die Geschäftsmodelle) von Realisten und Utopisten. Letztere träumen von einem asketischen Weltregiment, das maximale Verteilungsgerechtigkeit im Rahmen einer ›klimagerechten‹ nachhaltigen Wirtschaftsordnung garantiert. Bis dahin besorgen sie, frei nach Lenin, die Geschäfte der anderen Seite mit, indem sie Druck ausüben.

 

Apokalypse Now

Was wäre, wenn die Apokalyptiker unter den keineswegs einstimmig votierenden Klimaforschern recht hätten? Wenn ›uns‹ tatsächlich die Zeit davonliefe, mit all den Kipp-Punkten, Sekundär‑, Tertiäreffekten und Irreversibilitäten, verbrannte Erde, versunkene Küstenregionen, in Schweden stehen sommers die Fenster offen und die Dame des Hauses fächelt sich Luft zu, dieweil draußen das große Artensterben seinen Gang geht und das Ökosystem Erde kollabiert, kurz, wenn Gretas und ihrer Familie Albträume sich in einem weltweiten Phantasialand materialisieren: Nur noch zwölf Jahre? Die ominösen zwölf – schon wieder? Im Kinderzimmer tickt die verhängnisvolle Uhr, selbst im neu angeschafften E-SUV für alle Fälle, dem freundlichen Dino, gibt’s kein Entkommen. Was dann? Nun, dann läuft uns die Zeit davon, dem einen schneller, dem anderen langsamer, allen jedoch ohne Ausnahme und am Ziel treffen alle wieder zusammen. Dann wird an jeden die Frage ergehen: Wie hast du gelebt? Das ist das Pfand der Klima-Apokalyptiker: Sie für ihren Teil leben bereits in der menschengemachten Apokalypse. Die Zukunft, davon sind sie überzeugt, wird nichts bringen, was sie nicht im Ansatz heute bereits wüssten. Sie befinden sich also im Recht der Wissenden, dem die anderen, seherisch Unbedarften, nichts entgegenzusetzen haben. Wenn sie recht haben, dann haben sie recht und die Welt tanzt, so oder so, nach ihrer Pfeife. Daher lautet die einzige unabhängige Frage im Hinblick auf ihre wahnwitzige Gewissheit: Warum sollten gerade sie recht haben? Weil alle, die glauben, dass sie recht haben, sagen: Ihr habt recht? Das wäre, argumentationstechnisch gesprochen, ausgesprochen dünn. Weil der eine oder andere ›führende Klimaforscher‹, das plötzlich offen stehende Gelegenheitsfenster fest im Blick, behauptet, ›im Großen und Ganzen‹ hätten die Aktivisten doch recht (während er als Forscher unter seinesgleichen sich die Exklusivrechte am Rechthaben ganz ohne populäre Verkürzungen vorbehält)?

Das wirft die nächste Frage auf: Woran forscht der führende Klimaforscher, der sich so weit aus dem Fenster lehnt, ganz konkret? Nun, er forscht … an dem und dem, an Meeresströmungen im Nordatlantik vielleicht oder speziell im Jadebusen. Oder er hat ein paar Mitarbeiter zu einer geologischen Tiefbohrung abgestellt, während er am Schreibtisch eine neue Vortragsserie ausarbeitet, mit eingeplanten Stopps in Singapur und Beijing. Ansonsten, nimmt man ihn beim Wort, verlässt er sich er auf die Künste der Klimamodellierer – mit Computerprogrammen der komplexeren Art kennt er sich karrierebedingt nicht so aus. Schließlich gibt es unendlich viel zu erforschen und das Sesam-öffne-dich ›Klimaforschung‹ öffnet fast wie von selbst die Herzen und Konten und Grenzen. Er wäre doch gänzlich von Sinnen, wollte er die Gültigkeit eines noch lange nicht ausgereizten, ihm in wesentlichen Aspekten intellektuell und entscheidungstechnisch kaum zugänglichen Modells bestreiten, nachdem es ihn zur öffentlichen Person hat emporsteigen lassen und er ihm, unter anderem, den Zugang zu den Mächtigen verdankt.

Im Universum eines solchen Forschers besitzt die Frage »Habe ich recht?« keinen rechten Sinn. Besäße sie einen, so wüsste er, nicht viel anders als jeder blutige Laie, darauf nichts zu sagen. Also sagt er, und seine Stimme verlangsamt sich, als streiche er sich durch einen nicht vorhandenen Bart: »Wir wissen.« Er könnte auch anmerken, schließlich befinde er sich auf dem Stand der Forschung. Doch eine innere Stimme warnt ihn, denn er kennt sehr wohl ein paar der brüchigen Stellen und weiß recht genau, was eine bloße Hypothese von einer fundierten und diese von einer gesicherten unterscheidet. Er könnte auch sagen: So sieht das Standardmodell aus (nun gut, es gibt, wie immer, ein paar Varianten), die Modellierer haben eingebaut, was gut und teuer ist, auch ein paar von mir ausgeheckte Hypotheschen stecken mit drin, das gibt mir ein besonders gutes Gefühl und deshalb sage ich im Brustton der Überzeugung: »Wir wissen.«

Aber vielleicht hat der führende Klimaforscher auch schon längst keine Zeit mehr für eigene Forschungen. Er studiert die Berichte anderer und bereitet seinen nächsten Kameraauftritt vor. Das hindert ihn nicht daran, die ominösen Worte zu sprechen: »Wir wissen.« Wie viele solcher Wissender, die in Wahrheit nichts wissen außer dem, was andere geschrieben oder gemessen oder berechnet oder modelliert haben, also dem, was jeder sich anlesen kann, ohne ein führender oder überhaupt ein Klimaforscher zu sein, stecken in jenen unglaublichen 97 oder 99,9 Prozent ›wissender‹, tatsächlich zu wissen suggerierender Wissenschaftler, die irgendwann einer Meinung (und, jedenfalls in der Hauptsache, der sie ihr Einkommen verdanken oder die sie, aus welchen Gründen auch immer, in einer Publikation gestreift haben, eines Sinnes) zu sein behauptet haben sollen? Und wie viele von denen wiederum gehören zu den Apokalyptikern? Da schrumpft die Zahl der ernst zu nehmenden Klimaforscher, die immerhin wissen, wovon sie reden, weil es sich um ihren persönlichen Forschungsgegenstand handelt, doch gleich und Sie können, statt unter diesen ernst zu nehmenden Leuten die übriggebliebenen Apokalyptiker aufzutreiben, genauso gut zu den Adventisten gehen oder zu den Zeugen Jehovas oder den Heiligen der Letzten Tage: Davon gibt’s mehr und das Glaubenspotential ist gewaltig.

Politik absolut

Politik hat es mit Interessen zu tun, nicht mit Wahrheiten. Das haben von Storch und Krauß gut herausgearbeitet: Der wissenschaftlich drapierte Anspruch, politische Wahrheiten auszusprechen, zerstört den Sinn von Wissenschaft und Politik gleichermaßen. Politische Wahrheit beruht auf Simplifikation. Man spricht sie aus, um Zustimmung einzuholen: Diese Partei hat recht, wir sollten ihr folgen. Politikern, mit ›Wahrheiten‹ konfrontiert, stellt sich die Frage: Was will dieser Mensch (oder diese Gruppierung) von mir? Das ist kein Versagen angesichts der Wahrheit, sondern Ausfluss der Verantwortung für wirkliche Menschen und existenztragende Systeme. Soll heißen, jede wissenschaftliche ›Wahrheit‹, in den Raum der Politik getragen, verwandelt sich in Propaganda und wirkt als Propaganda. Im Raum der Wissenschaft gibt es keine Wahrheit, allenfalls die Suche nach ihr. Was zählt, ist das Argument. Nichtsdestoweniger ist Politik, jede Politik, gehalten, sich an den von ihr bereitgestellten ›Fakten‹ zu orientieren. Daraus besteht das beiden gemeinsame realistische Fundament, das niemand ungestraft verlässt.

Auflösen kann man den Widerspruch auf zweierlei Weise. Entweder lässt sich die Politik von der Wissenschaft führen und gerät dadurch in die Fänge ›führender Wissenschaftler‹ – ›B-Wissenschaftler‹, wie Alexander Sinowjew sie einst aus inniger Kenntnis nannte –, deren Verhältnis zur Macht in ungekehrt proportionalem Verhältnis zur ›Wahrheit‹ (zum wirklichen Stand des Wissens) steht, oder sie behandelt Wissenschaftsvertreter, sie mögen so fordernd auftreten, wie sie wollen, als Lobbyisten wie andere auch und sorgt dafür, dass sie zu ihrem – im Sinne des Gemeininteresses: relativen – Entscheidungsanteil gelangen. Politik und Apokalypse schließen einander aus. Die Geschichte der modernen Menschheit kennt einige Anläufe, wissenschaftszentrierte statt menschenzentrierte Politik zu betreiben – sie sind kläglich oder katastrophal gescheitert (Versuche, gegen wissenschaftliche Einsichten zu regieren, allerdings auch). Das liegt, unter anderem, an der jeweils auserkorenen ›Wissenschaft‹, die unter dem Einfluss der Macht mutiert und, siehe Diamat, in deprimierende Leerläufe mündet. Und es liegt an der Perversion der Macht, die sich, durch Wissen abgeschirmt, dem Individuum gegenüber absolut setzt, da es, Niklas Luhmann lässt grüßen, streng genommen kein Teil des Systems ist. Absolute Macht aber ist … böse. Die Beschwörung des Bösen bewirkt das Böse. Wer hat das gesagt? Niemand vermutlich. Nur die Aussage steht im Raum.

Faktenverdreher

Szenen aus dem Herzen – so lautet der deutsche Titel des Buches, das kurzfristig durch die Medien geisterte, weil es authentischen Aufschluss über die privaten Hintergründe des schwedischen Jungstars versprach, der, seiner Mutter zufolge, CO2 sehen kann. In einer Episode daraus diskutiert die Familie der Opernsängerin (Gretas Mutter Malena Ernmann) mit dem ›weltweit führenden‹ Klimawissenschaftler Kevin Anderson und seinem Kollegen Isak Stoddard im Institut für Geowissenschaften der Universität Uppsala über das Welt-Klimageschehen und die Publikationspolitik der schwedischen Medien. Dort fallen Sätze wie:

»Ich verurteile Klimaleugner und Skeptiker nicht. Nicht mal Politiker und andere Entscheidungsträger. Wirklich irritierend finde ich Forscherkollegen, die mehr oder weniger bewusst Fakten verdrehen, um nicht als Alarmisten dazustehen, auch wenn sie das innerlich sind. So was bringt mich auf die Palme.«

Wie das? Im Haus der Wissenschaft, sollte man meinen, sei Platz für Unaufrichtigkeiten aller Couleur. Wie zum Beispiel steht es um prestigesüchtige Wissenschaftler, die ›Fakten verdrehen‹, um als Alarmisten dazustehen? Oder um ethisch bewegte Wissenschaftler, die in die Klimaforschung gegangen sind, um ›etwas in der richtigen Richtung‹ zu tun? Oder um jene nie zu vermeidenden Opportunisten, die ihr Forschungsschiffchen in den Strom drehen, der uns alle trägt? Sind ›Fakten‹ Schalter, die sich nur in einer Richtung verdrehen lassen?

Das wäre zumindest seltsam. Wie schon gesagt, ein Faktum ist eine Zusammenfassung, ein Ermittlungsstand, der momentan und in einem bestimmten Zusammenhang nicht weiter problematisiert werden soll. Ein Faktum, das nicht in Frage gestellt werden könnte, ist keines. Irgendwo beruht alle empirische Klimaforschung samt ihren Fakten auf Messungen: Es ist immer möglich, dass sie fehlerhaft oder ungenau oder ergänzungsbedürftig sind oder falsch interpretiert werden, weil die Forscher – nun, weil sie einer vorgeprägten Auffassung folgen. Und selbstverständlich lassen sich Fakten in alle möglichen Richtungen verdrehen – aus Unfähigkeit, sie ›richtig‹, das heißt im Sinne derer zu interpretieren, die sich auf sie geeinigt haben, aus Arglist oder egoistischen Gründen, sicher auch aus politischer Täuschungsabsicht, falls es dafür Gründe gibt.

Wie sie einer verdreht, bleibt dem Zweck geschuldet, den er verfolgt. Wenn mir jemand sagt: »Ich bin Wissenschaftler, deshalb bin ich Alarmist! Meine Kollegen sind Täuscher, denn sie verfolgen eine politische Absicht«, dann weiß ich, das Feld ist politisiert und ich tappe auf zwei Ebenen im Nebel – der politischen und der wissenschaftlichen. Dieser eine Wissenschaftler mag mir sympathisch sein, er mag mir vertrauenswürdig vorkommen oder nicht: Meine Unwissenheit ist radikal und absolut. Und er kann mir tausendmal erzählen, dass alles ›in Wahrheit‹ noch viel schlimmer und drängender sei – entweder er führt mich in etwas ein, was er weiß, weil er nah genug dran ist, um sagen zu können: »Hier bewegt sich unser Wissen«, oder seine eigene, in der moralisierenden Wissenspose versteckte Unwissenheit mag sich graduell und relativ von meiner unterscheiden, aber sie bleibt durch Korpsgeist oder Gesinnungshuberei überdeckte Unwissenheit und eine Aussage über die Kollegen wie die zitierte enthält eine Denunziation.

Der Umbau

Hat ein den Interessen seiner Bürger verpflichteter Staat das Recht zum radikalen, technisch und arbeitspolitisch prekären Umbau seiner Volkswirtschaft auf den beratenden Zuruf einer Forschergruppe hin, deren Prognosen ein nach dem Urteil nicht weniger Fachleute unausgereiftes Klimamodell zu Grunde liegt? Hätten seine Repräsentanten das Recht, der Empfehlung eines von der Regierung einberufenen Umweltrates folgend dem demokratisch gewählten Parlament einen der wissenschaftlichen Wahrheit verpflichteten ›Rat für Generationengerechtigkeit‹ vorzuschalten? Immer angesichts der Tatsache, dass ›ein bisschen Wahrheit‹ gleichbedeutend mit einer großen Täuschung wäre, von der niemand mit Gewissheit zu sagen vermöchte, ob sie bei den Hauptakteuren auf Selbst- oder Fremdtäuschung beruht?

Selbstverständlich bleibt bei alledem richtig, dass die Abwehr einer drohenden Gefahr mit ineffektiven Mitteln ›in Wahrheit‹ bedeutet, keine Abwehr zu leisten. Das weiß auch die Klimalobby und verlangt stets eine ›unrealistische‹ Schippe mehr. Als rein symbolische Abwehrmaßnahmen allerdings sind die Klimapakete, die da geschnürt werden, ein wenig teuer und greifen zu tief in die Rechte der Bürger ein, um einfach so als ›das uns heute Mögliche‹ zu passieren. Staaten, die so handeln, geraten leicht in den als ›populistisch‹ geschmähten Verdacht, ihren Bürgern gegenüber die wahren Ziele der getroffenen Maßnahmen zu verschleiern. Einmal endemisch geworden, ist er geeignet, das Vertrauen einer großen Zahl von Bürgern in das Regierungshandeln nachhaltig zu unterminieren – und zwar, was gern vergessen wird, auf beiden Seiten des ›Klimaretter‹ und ›Klimaskeptiker‹ voneinander trennenden Grabens.

Neben – und über – der mit zweifelhaften Mehrbelastungen notwendig einhergehenden ›Enteignung‹ der Steuerzahler steht der Argwohn aufgescheuchter Bürger im Raum, nicht länger frei im Rahmen der bestehenden Institutionen über die Zukunft des Landes entscheiden zu können – und vielleicht, je nach ›umzusetzender‹ Variante, mehr als ein bloßer Verdacht. Argumentativ sind diese Bürger im Recht: Wer ihren ins Parlament entsandten Vertretern das Vermögen abspricht, ›gerechte‹ Beschlüsse zu fassen, und ihnen um künftiger Generationen willen eine Art fürsorglichen Vormund vorschalten möchte – Platons Philosophenstaat lässt von ferne grüßen –, verlässt den Boden der pluralistischen Demokratie und nähert sich Herrschaftsmodellen an, die, sollten sie in anderen Ländern angetroffen werden, ›autoritär‹ oder ›diktatorisch‹ zu nennen den hiesigen Medien in der Regel nicht schwerfällt. Kein Wunder also, wenn am Rande des offiziellen Politikbetriebs bereits die flapsig geführte Diskussion darüber brandet, ob Partei-Diktaturen nach chinesischem Muster nicht womöglich für künftig anstehende Entscheidungen großen Stils besser gerüstet seien als das eigene, als ›schwerfällig‹ stigmatisierte System. Seit Jahren macht ein gewisser vornehmer Ton, in dem von linker und rechter Seite einmal mehr die Demokratie zu Grabe getragen wird, so manchen Feuilleton-Beitrag ungenießbar. Wer die persönliche und politische Freiheit einem simplen ›vielleicht‹ zu opfern bereit ist, der sollte nicht allzuviel Hoffnung in die vage Möglichkeit setzen, sie vielleicht eines Tages, nach mehr oder weniger glücklich bestandener Gefahr, von den dann Herrschenden zurückerstattet zu bekommen. Im ökologischen Utopia der neuen Rousseauisten, die den ›Fußabdruck‹ des industrialisierten Teils der Menschheit auslöschen möchten, scheint sie ohnehin nicht vorgesehen zu sein.

Modellierer und Modell

Alle kennen sie, die gefühlte Wahrheit, das Glauben-zu-wissen, die Treue zu einer einmal gefassten Idee oder Hypothese, egal was die gesunde Skepsis darüber zu sagen weiß. Ein Modell, gleichgültig, ob es sich um einen Plastik-Bausatz des Sprößlings oder ein Welt-Klimamodell handelt, ist niemals wahr oder falsch. Es repräsentiert ein Objekt, einen Objektbereich, ein Kausalgeflecht, aber doch nur in bestimmten Hinsichten, niemals total oder absolut. Will ich wissen, ob es realistisch, das heißt für meine Zwecke tauglich ist, so muss ich mir über die von mir verfolgten Ziele im Klaren sein. Wozu soll es dienen? Ein Kind, das erleben muss, wie sein mit Eifer zusammengeklebtes Plastikmodell der Santa Maria im Wasser zur Seite kippt und zu keinerlei Schwimmtätigkeit aufgelegt ist, sobald der stützende Finger entfällt, erfährt durch Erwartungsenttäuschung, dass die Repräsentation, deren optischem Charme es erlag, sich zwar auf alles Mögliche, aber nicht auf die Schwimmeigenschaft bezieht. Anders ausgedrückt: Sie bleibt im Modell unrepräsentiert. Das Kind lernt daraus, dass es sich künftig entscheiden muss, ob es ein Modell zum Anschauen besitzen möchte oder ein schwimmfähiges.

Ein zu Prognosezwecken erstelltes Klimamodell, das nach Insider-Auskunft mit schöner Regelmäßigkeit unzureichende Prognosen (mit, wie man liest, sich stetig bessernder Tendenz) liefert, sobald man es an bereits eingetretenen Zuständen testet, ist entweder untauglich oder unausgereift. So lautet die wohl vernommene Botschaft nicht selten unzitiert bleiben wollender Kollegen. Ein auf zweifelsfreien Daten basierendes Klimamodell, das bei jedem signifikanten Datenschub – etwa der in den späten neunziger Jahren einsetzenden ›Erwärmungspause‹ – nachjustiert und mit Zusatzhypothesen aufgeputzt werden muss, von denen vorher, zumindest öffentlich, nirgends die Rede war, wirft Zweifel an der Grundhypothese auf (dass in Bedrängnis geratene Wissenschaftler immer noch einen Pfeil im Köcher haben – geschenkt). Ein in mehreren Varianten, zwischen denen keine rational begründbare Wahl möglich scheint, dem Rest der Community – und der Welt – aufgenötigtes Modell nährt den Verdacht, in wesentlichen Momenten unter- oder überdeterminiert (oder beides) zu sein, sprich: auf unzureichenden Daten und/oder willkürlichen Annahmen zu beruhen. Das festzustellen ist ganz normal und sollte nicht den Zweifel am Geisteszustand der ›Skeptiker‹ befeuern. Umso erstaunlicher wirkt die Erregung, die den Skeptikern von jenseits des Klimagrabens entgegenschlägt und außerhalb des umzäunten Wissenschaftsareals erst richtig zu Buche schlägt: Lobbyisten gegen Lobbyisten, Politiker gegen Politiker, Medienschaffende gegen ihre Leser, Leser gegen Leser, Eltern gegen Eltern, Kinder gegen Eltern, Erzieher gegen Eltern, Schüler gegen Parlamente, Fridays for Future gegen den Rest der Welt – lauter Unwissende, die zu wissen meinen, nein, glauben zu wissen wie je ein Dämonen- und Hexengläubiger des Mittelalters oder der frühen Neuzeit. Es ist keine kleine Sache, den Weltuntergang, in welcher Form auch immer, heraufzubeschwören: Da brechen Kräfte auf, die, wenigstens auf dem Boden Europas, in der Vergangenheit mühsam und unter Opfern gebändigt wurden.

KliMama

Folgt man der veröffentlichten Familienlegende, so erzieht Tochter Greta den Rest der Familie an der Klimafront, bis … nun, bis zu dem Zeitpunkt, an dem es sie vor das schwedische Parlament zieht, um die Welt zur Umkehr zu zwingen. Der keimende Fanatismus besitzt ein von hiesigen Medien gern verschwiegenes Vorbild: Zero Hour, eine amerikanische Klimabewegung, bei der Kinder von Politikern Antworten auf die Frage einfordern, »warum nichts unternommen wird«.

»›Gut gemacht, Greta‹, sagen Kevin und Isak unisono. In Gretas Augen tritt ein Leuchten, und ich habe das Gefühl, genau in diesem Moment entsteht etwas in ihr… Einen Augenblick lang ist es still. Gedanken schwirren durch den Raum – Gedanken daran, dass das fast unsichtbare Mädchen auf dem Stuhl am Fenster sich dazu entschieden hat, ins Rampenlicht zu treten, ganz allein, mit eigenen Worten und Gedanken, um die Grundfesten der gegenwärtigen Weltordnung zu hinterfragen…«

Eine Rezensentin schrieb über diese Mutter-Tochter-Beziehung: »Hoffnungslose Projektion? Kindischer Boykott der Eigenverantwortung? Oder wahnhaftes Streben nach diesseitiger Erlösung?« So lässt sich fragen. Lässt sich, außer mit ja ja ja, nein, nein, nein, auch darauf antworten? Die erwähnten ›Grundfesten‹, das erschließt sich aus der weiteren Lektüre des Buches, heißen money money money, und die ›Hinterfragung‹ gilt hauptsächlich den gewohnten Praktiken der eigenen Gesellschaftsschicht, es auszugeben, also dem Fliegen, Shoppen, Wohlleben: kein ganz ungewöhnliches, in vielen Familien virulentes Thema für Heranwachsende, wie Gretas Resonanz bei den Gleichaltrigen bestätigt. Das Projekt ›Greta‹ ist damit allerdings nicht einmal ansatzweise skizziert. Vielleicht hat es ja mehr mit kurrenten Frauenbildern der westlichen Gesellschaft zu tun, als die Kommentatoren sich eingestehen wollen. Der Eindruck jedenfalls drängt sich auf. Man liest Aufzeichnungen aus einem schnelldrehenden Familienkarussell, dem die Opern-Karriere der Mutter den Stempel aufdrückt. Häufige Wohnortwechsel, damit einhergehende Verkümmerung der Außenbeziehungen, ein privates Schein-Idyll –: das jäh umschlägt, als Greta abrupt das Essen verweigert und die Familie, allen voran die Mutter, radikal in den Bann der nacheinander rebellierenden Töchter und zum Leidensgang durch das schwedische Gesundheits- und Erziehungssystem zwingt. Da wurde, kann man annehmen, jemandem die Luft zum Atmen knapp und der Kampf gegen das allenthalben ›ausgestoßene‹ CO2 zum einigenden Band der gutsituierten, fest im Normensystem der schwedischen Gesellschaft verankerten Kleinfamilie.

›Klimafeminismus‹ (wie das Ende des Buches andeutet) als Verdrängungsangebot…? Auszuschließen wäre es nicht. Klimawissenschaft avanciert zum Player des Vertrauens, der das gesellschaftliche Spiel nicht mitspielt (wie sagte Greta vor der UN? ›kristallklare‹ Wahrheiten liefert). Wer so denkt und spricht, der kann, befreundete Klimawissenschaftler hin oder her, keine Innensicht auf den Wissenschaftsbetrieb haben. Er weiß buchstäblich nicht, worüber er redet. Woher auch? Wissenschaft erscheint ihm als die große ›weiße‹ Vaterfigur im Hintergrund, die es im Leben nicht geben darf, und Mutter wie Tochter betteln: Nimm uns an der Hand!

Das Leben ändern? Unbedingt!

Es gibt eine Wissenschaftspräsenz in der Gesellschaft, die darauf beruht, dass eine Menge ihr verpflichteter oder unter ihrem Bann stehender Menschen die wissenschaftliche Arbeitsweise nicht wirklich begreifen. Dafür steht der Ausdruck ›Glauben-zu-wissen‹. Exakt diese Formel prangt an einer der pathetischsten Stellen von Gretas Familien-Buch: »Wir glauben, dass wir wissen, was die Krise mit sich bringt. Und alle gehen davon aus, dass alle Bescheid wissen.« Besser kann man’s nicht ausdrücken.

Wenn die Klima-Experten, darunter die eigene Tochter, sich unterhalten, dann sitzt die Mutter still dabei. Sie will sich nicht durch Unkenntnis blamieren. Dennoch weiß natürlich auch sie, und das unbedingt. Mutter und Tochter haben unisono das Fliegen, das Über-fliegen des Globus (und seiner Natur) schlechterdings zum Symbol des Bösen erklärt – der verbotenen Lebensart. Die Vielfliegerei, ein Privileg der eigenen Klasse (und sicher eine der Ursachen familiärer ›Dekomposition‹), wurde radikal gestrichen. Stattdessen fährt der Vater mit der jüngeren Tochter im Elektromobil nach London zum Popkonzert.

Da prangt ein Riss im Familienbewusstsein, verursacht durch eine nicht bewältigte Lebensweise, an der man dennoch mit allen Fasern hängt, und Klein-Greta, die Flugverweigerin und Diva-Konkurrentin der Mutter, stochert darin herum. Wie das Gros der Klimaforscher, forschungslogisch durchaus plausibel, die Treibhaus-These, also die Herleitung des weltweiten Temperaturanstiegs in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts aus der industriell bedingten Zunahme atmosphärischer ›Treibhausgase‹ schlichtweg voraussetzt – als praktisch unhintergehbare Begründung für die Dringlichkeit der eigenen Forschungsvorhaben –, so leiten Klima-Aktivisten und Klima-Gläubige aller Schattierungen aus ihr einen Wissensanspruch ab, den sie zwar in keiner Wissenschaft einlösen können, wohl aber an jedem Kiosk, der Stoff für das Uralt-Thema aller Zivilisation, Du-musst-dein-Leben-ändern, in der Auslage hat.

Das ist noch nicht Religion, aber es nährt sich von ihren Motiven. Lebensfromm werden, die ›falschen Errungenschaften‹ der mit der Fratze des ›Raubtierkapitalismus‹ behängten Zivilisation mit Verachtung strafen, kann eine lebensbefreiende Option sein, vor allem, wenn die eigene Familie gerade Gefahr läuft, vor die Hunde zu gehen. Welche Instanz, so die naheliegende Frage, verfügt in der Wissensgesellschaft über genügend Autorität, um die persönliche ›Wende‹ einzuleiten? Das kann nach Lage der Dinge nur die Wissenschaft sein. Die Folgen lassen nicht auf sich warten. Das latente, hier und da offen aufbrechende Verlangen der ›befreiten‹ Gesellschaft nach Autorität lässt den autoritativen Gestus der Wissenschaft ins Autoritäre entgleiten – zunächst in der Gesellschaft, aber natürlich auch in der Wissenschaft selbst. Dieser Rückschlag droht, sollte ihm nicht Einhalt geboten werden, die Quellen des Wissens selbst zu verstopfen, die nie so rein sprudelten, wie Greta den UN-Granden einzuschärfen versuchte.

 

Auctoritas mundana

Let me know … what shall I do? – Das Verlangen, schreibt Francis Fukuyama in seinem Buch Identity: The Demand for Dignity and the Politics of Resentment, Identität auszustellen und für sie unbegrenzten Zugang zu den Ressourcen der Gesellschaft zu einzufordern, sei der beherrschende Zug der gegenwärtigen Politik. Im Schatten der Klimabombe ist eine andere Gefahr herangewachsen: das ebenso radikale wie ridiküle Verlangen nach autoritärer Weisung, vorausgesetzt, sie bedient sich einiger ultimativer Mittel der Einschüchterung durch höhere, sich durch Arkanwissenschaft mitteilende Mächte. Das klarste Kennzeichen von Arkanwissenschaften besteht in der Trennung von Adepten und Meistern. Nur letztere verfügen über den Zugang zu den letzten Geheimnissen des Wissens: den überaus kostbaren Denkmaschinen, ihrer Software und den Entscheidungen, die in jede Klimamodellierung einfließen, um der Welt als untrügliche Wahrheit vorgesetzt zu werden, auf dass sie daran … ersticke? … genese? Die breite Klasse der Adepten hingegen – was weiß sie schon? Wir, die wir uns mit Klimaforschung auseinandersetzen, sind Klimaforscher. Auf dieser Basis ist auch eine schwedische Schülerin Klimaforscherin: eine Adeptin, der man gestattet hat, einige Grade zu überspringen, weil ihre Außenwirkung es nützlich erscheinen lässt, selbst wenn dabei letztlich nicht mehr herauskommen sollte als ein paar Fotos mit den Mächtigen und Halbmächtigen dieser Welt und Aufzeichnungen von Auftritten, über die man in ein paar Jahren den Kopf schütteln wird. ›Greta‹ weiß, was zu tun ist, denn sie trägt das Wissen – eine der Trägerinnen des Lichts, das aus dem Jenseits der Entscheidungen auf jeden fällt, in dessen Herzen die Entscheidung reift, diese dem Untergang geweihte Welt nicht mehr hinzunehmen, wie sie ist, sondern sie … nun ja, zu verändern, wie alle Tuwas-Akteure unablässig verkünden, seit Marxens elfte Feuerbachthese zum frei flottierenden Kulturgut geworden ist: »Die Philosophen haben die Welt / nur verschieden interpretiert, / es kommt aber darauf an / sie zu verändern« (Inschrift an der Haupttreppe der Humboldt-Universität). Wie die Auguren wissen, erregt das von Engels nachträglich eingefügte ›aber‹ seit altersher die Gemüter der Eingeweihten. Existiert ein Hiatus zwischen Wissen und Veränderung? Darf es ihn geben? Soll es ihn geben? Wenn die ›Wissenden‹ die Vertreter der ›Praxis‹ mit den unteren Graden des Wissens belehnen – verändern sie dann das Wissen oder die Praxis? Beides natürlich und beides läuft, in the long run, auf Zerstörung hinaus. Es sind die unteren, zu Wissenden ernannten Grade, welche die höheren im Wissen fixieren und es dadurch als Wissen entwerten. Das zumindest sollte die Geschichte der marxistischen Bewegungen hinreichend gezeigt haben.

Konjunkturen

Die Wette Pascals, seit längerer Zeit ruhend, hat sich mit äußerster Vehemenz zurückgemeldet: Es ist besser zu glauben, als an der Seele Schaden zu nehmen. Was aber als Glauben firmiert, soll jetzt und in alle Ewigkeit Wissenschaft heißen: ein Wissen darum, wie man mit ein paar theoretischen Handgriffen nach Belieben Weltuntergangsszenarien aus der Retorte erzeugt und damit die Welt aufs Neue verzaubert. Denn alle Lust will Ewigkeit (Nietzsche) – und alle Ewigkeit, in menschliche Dimensionen gepresst, wünscht sich zum Teufel. Wenn die Konsumgesellschaft Lust verheißt, dann erreicht sie hier, als Angstlust am Untergang, ihr theoretisches und praktisches Maximum.

Warum sollte eine frisch missionierte Bevölkerung vom Glauben abfallen, nur weil ein paar Missionare der Konkurrenz aufkreuzen und zum Streitgespräch auffordern? Das ergibt keinen rechten Sinn. Jedenfalls dann nicht, wenn man bedenkt, dass ein rechter Glaube sich nicht auf einen dürren Satz reduzieren lässt, sondern ebensosehr den Tagesablauf des Menschen (»Aufwachen!« – »Tu was!«) umfasst wie sein Leben in der Natur (»Dieser wundervolle Kreislauf ist in Gefahr!«) und seine gesellschaftlichen Kämpfe (»Die sind doch krank« – »So geht’s nicht weiter!«). Es ergibt keinen Sinn, wenn man bedenkt, dass jene exotischen Missionare den Leuten damit den Universalschlüssel zum Verständnis dessen, was nun einmal geschieht, aus der Hand nehmen und ihnen stattdessen versprechen, sie kämen auch ohne ihn überall hin. Die Antwort an die Versucher kann sich jeder selbst geben: »Mag sein, mag nicht sein. Aber sicher ist sicher. Warum gibt’s heuer wieder keine weiße Weihnacht?« Wer auf diese Frage nur mit den Schultern zuckt und etwas vom nächsten Jahr murmelt oder vom nächsten Jahrzehnt, in dem wir alle noch ganz schön klappern werden, der kann gleich einpacken, weil er die göttliche Strafe unterschlägt wie einst Thomas Edison, als er den Blitzableiter erfand.

Mit Strafandrohungen fängt man Menschen. Rebellisch werden sie erst, wenn ein Gleichgewicht der Schrecken ihnen jeden Ausweg verbaut. Trotzdem weiß jeder, der sich mit diesen Dingen beschäftigt: Unter der Oberfläche des neuen Glaubens überleben, zweckmäßig camoufliert, stets ältere Riten und Glaubensreste. Entsprechend stellt sich die Automobilindustrie auf die Wünsche der Kundschaft nach weniger CO2 und nachhaltigerem Konsum mit PS-strotzenden E-Autos ein, deren ›Ausstoß‹ durch den Verweis auf grüne Energie aus der Steckdose hinter den Vorhang verlegt wird (ähnlich wie die EU das Elend der Abweisung Einwanderungswilliger in die Europa-Anrainerstaaten verlegt und ihnen dafür Geld und Equipment in die Hand drückt) – so haben alle ein gutes Gefühl und der öffentliche Nahverkehr bleibt das Stückwerk, das er nun einmal ist.

Konservativ bleibt, allen Umbau-Ankündigungen zum Trotz, auch das Vorsorgeverhalten der Staaten. Zwar spendieren die wohlhabenderen unter ihnen dem Sprößling Klimaschutz hier und da ein paar Millionen, damit er sich ausleben kann. Doch schon die Ankündigung einer Regierung, sie werde in naher Zukunft ganz andere Summen ›in die Hand nehmen‹, treibt den Hütern der ordnungspraktischen Prioritäten die Zornesröte ins Gesicht. Dabei eignet sich die Rede von Prioritäten doch bestens dazu, Spannungen abzubauen, weil … nun, weil sie aufs Haar rituellen Anrufungen gleicht, nach denen seit eh und je Gläubige unbekümmert zum eigentlichen Geschäft überzugehen pflegen. Schlecht ist das nicht. Eine Berggemeinde, die ihre Schneepflüge abschafft, »weil wir künftig mit wärmeren Wintern zu rechnen haben«, darf sicher sein, dass sie damit das nächste Schneechaos auf ihren Straßen programmiert. Vorsorge geht anders.

Soll heißen… Es gibt Missionierungszyklen, gegen die Skeptiker (oder Widergläubige) vergeblich anrennen, weil ihre Dynamik etwas mit der menschlichen Psyche und der Art, wie Denken nun einmal funktioniert, zu tun hat, aber ebenso mit sozialen und kulturellen Verlaufskurven, die sich an der Sicherheit von Handel und Wandel oder an der Gier der Besitzenden und den dadurch erzeugten Abhängigkeiten orientieren. Hinzu tritt das Bedürfnis des Staates nach einem einheitlichen, den Gesetzesrespekt sichernden Ethos seiner Bewohner, das sich bekanntlich am einfachsten durch gemeinsame ›starke‹ Überzeugungen herstellen lässt. Der alte Satz ›cuius regio eius religio‹ spukt stärker in den liberal verfassten Gemeinwesen, als das garantierte Recht auf Religionsfreiheit es zum Ausdruck bringt. Wer die traditionell religiöse Ebene freilässt, muss dem Gemeinwesen einen zweiten Boden aus gemeinsamen Grundüberzeugungen einziehen. Auch der Glaube an den freiheitlichen Verfassungsstaat unterliegt Zyklen und tendiert zur Aufnahme frischer Dogmen, sobald die Zeit reif dafür ist.

Dennoch war die spöttisch-verzweifelte Rede von einer ›Klimareligion‹ lange Zeit nicht mehr als ein Pfeifen im Walde. Missionare erschaffen keine Religion, sie bringen sie nur mit. Ihr Geschäft ist die Verbreitung und Festigung immer derselben Botschaft. Das unterscheidet sie von Nachrichtenverkäufern, bei denen die nächste gleich hinterdreinkommt. Solange das ›Sacrum‹ fehlt, das Allerheiligste, steht jede Mission auf wackligem Boden. Mit dem Auftauchen einer neuen Klasse sozialer Geschöpfe ändert sich das. Ob Greta Thunberg alle Kriterien des göttlichen Kindes erfüllt, mögen Religionsexperten herausfinden. Zu den heiligen Jungfrauen, deren Berührung Dein Leben zu ändern und damit den bitter nötigen Heilungsprozess einzuleiten vermag, gehört sie gewiss. Es versteht sich, dass dieses Personal, einmal aufgetaucht, für Turbulenzen sorgt. Auch krasse Negativreaktionen zählen dazu. Das hat nicht viel zu bedeuten. Auf den Prozess, seine innere Dynamik und seine Stärke kommt es an. Die meisten Religionsansätze laufen sich tot, weil das Feld zu dicht besetzt ist oder von überstarken Akteuren beherrscht wird.

Abenteuer Religion

Wenn der Mensch das Tier ist, ›das Religion hat‹, dann lassen sich regelmäßig wiederkehrende Erscheinungen wie die Greta-Rackete-Bewegungen (und, in Grenzen, die Klimabewegung insgesamt) als Produkte eines annähernden Totalversagens des Christentums im Hinblick auf die Wahrung und Hegung des Sacrums begreifen. Womit auch die grosso-modo-Aufteilung der Weltbevölkerung in Täter und Opfer des Klimawandels ihre Erklärung findet. Zu ihren grotesken Zügen gehört, dass einige der größten Welt-CO2-Produzenten unter den entwickelten Volkswirtschaften Asiens sich nach wie vor auf der Opferseite tummeln. Die mit sich selbst zerfallene Christenheit stellt das gegebene oder ›gesetzte‹ Täter-Reservoir dar, an dem die unfrohe Botschaft vom menschengemachten Klimawandel sich abarbeitet. Das erklärt, warum in den USA, in denen christliche Religiosität noch als soziale Kraft pulsiert, die Klimaszene sich tief gespalten zeigt, während in den religiös abgebrühten Zonen Europas die Betroffenheit und der blinde Glaube an hochriskante Projektionen weit überwiegt – vor allem in den nominell protestantischen Ländern, wo die liebevolle Begleitung von Bürgerbewegungen in den Gemeinden die mehr oder weniger offene Abwesenheit kirchlich vertretener Glaubensinhalte kaschiert.

Eine Religion, die ihre Gläubigen zu Welt-Übeltätern stilisiert und eine staunende Schar von Ungläubigen in die unerbetene, aber dankbar angenommene Opferrolle drängt, hat die Welt bislang nicht gesehen. Kein Wunder, dass alle denkbaren Profiteure und Non-Profiteure gespannt sind, wie es auf dieser Linie weitergeht. In neuerdings aufgelegten Szenarien trägt das frei flottierende Kapital der Weltmärkte Elemente einer langfristig wirksamen Abwrackprämie für die europäischen Ursprungsländer der Industrialisierung, und die philanthropischen Reichen der Neuen Welt samt ihren deutschen, französischen oder auch hellenischen Golfpartnern sind alle mit von der Partie. Aufgescheucht durch fleißig antichambrierende und sprunghaft den öffentlichen Raum ›bespielende‹ Apokalyptiker, verlagert sich die edle Kunst staatlicher Selbstbegrenzung von der Außen‑ und Ordnungspolitik auf den ökonomischen Sektor – nicht, wie unter der Ägide des ›Neoliberalismus‹, mit dem Ziel, den Staat zurückzudrängen, sondern um einer Ökonomie der Selbst‑ und Fremdbescheidung den Weg zu bereiten, in der das private Wirtschaften, unter den Symbolaspekt gestellt, mit satanischen Zügen ausgestattet wird – jedenfalls dann, wenn man den ganz gewöhnlichen Trommlern zuhört, unter denen sich, neben Technikutopisten, erstaunlich viele ›gestandene‹ Politiker und ganze Parteien finden: Friedenskämpfer zuhauf, denen das Böse auf der Zunge tanzt, als habe es Aufklärung nie gegeben. Das fügt der Rede vom ›gemeinsamen Haus Europa‹ eine perfide Note ein: Wo nur noch der Frieden (mit den Nachbarn und mit der Natur) zählt, da herrscht bald schon Grabesruhe, es sei denn, es findet vorher eine große Umwidmung intellektueller Ressourcen statt oder das allzeitmürbe Christentum bettet sein Haupt anderswo ins herbstliche Laub.

Am Rande der Zeit

Nein, sie werden die Religion nicht los, die durch alle Verwandlungen geschrittenen Europäer. Dafür sorgt bereits der wiedererstarkte Islam, dessen Quellen, abgesehen von den geistigen Zentren, im Ölgürtel sprudeln, also gerade dort, wo der horrifizierte Konsum sich seine beliebtesten Energieträger holt. So gesehen ist die Verwandlung des westlichen Christentums in die erste weltumspannende Religion des postideologisch-postindustriellen Zeitalters in vollem Gange und die Klimareligion, falls das Pflänzchen bereits diesen Namen verdient, darf als eine der ersten Hybridbildungen gelten, die in ihren Treibhäusern gedeihen. Erdumspannend ist bisher an ihr, vom Emissionshandel und vergleichbaren magischen Praktiken abgesehen, allein der fordernde Habitus und das Warten darauf, dass sich die staatlichen Scheckbücher öffnen. Doch was nicht ist, kann noch werden. Wie erfolgreich lässt sich der postchristliche Heiligenkalender exportieren? Keiner weiß es, doch eines scheint sicher: Vi kommer att ha mycket att skratta om.

Klimawandel ist ein Bestandteil der Erdgeschichte. Er vollzieht sich in Zeiten und Räumen, an denen die Menschheit nur am äußersten Rande partizipiert. Fast alles, was man über ihn weiß, beruht auf Rekonstruktion. Diese Disziplin ist noch jung, entsprechend vorläufig gestalten sich ihre Auskünfte. Doch selbst vorausgesetzt, man bezieht sich bloß auf die jüngsten Entwicklungen im Industriezeitalter, um in ihnen die Spur des Menschen zu erkennen und auszuwerten, so bleibt es, aus dem Blickwinkel der Statistik, merkwürdig genug, dass die spezielle Vorsehung, genannt Evolution der Technik, just zu jenem Zeitpunkt der Menschheit das technische Equipment und die entsprechenden Datenreihen zur Verfügung gestellt hat, in dem das Weltklima, angetrieben durch den Faktor Mensch, katastrophal zu entgleisen droht. Weh dem, der Arges dabei denkt oder sich zu blinzeln untersteht. Man mag das, auch als Wissenschaftler, einen glücklichen Zufall nennen. Doch aus der Welt schaffen lässt sich die extreme Unwahrscheinlichkeit dieses Vorgangs nicht. Plausibler erscheint manchem fachfremden Laien da schon die Vorstellung, die schiere Verfügbarkeit des Equipments, verbunden mit einer gewissen ›alarmistischen‹ Handhabung, könnte das permanente Weltgericht auf die Köpfe post- und neuchristlicher Bekenner niedergezwungen haben. Wie man es immer wenden mag, eines ist gewiss: Maximales Unheil verheißt maximalen Gewinn.

Anhang: 12 Regeln für Klimakämpfer

1. Beweise dein wissenschaftliches Format durch kreative Verwendung des Wortes »unbezweifelbar«, wahlweise zu ersetzen durch Ausdrücke wie »fest steht«, »wie wir seit … wissen« und immer wieder: »darüber kann es keine Zweifel geben«, als sei das von der anderen Seite Bezweifelte gerade das, worüber jeder Zweifel durch über jeden Zweifel erhabene wissenschaftliche Forschung ausgeräumt wurde – was selten der Fall ist.

2. Antworte nie direkt auf einen Einwand. Benütze ihn vielmehr, um den Gedanken auszubreiten, auf den es dir ankommt.

3. Unterlasse es nie, einen Gegner als Gegner zu markieren, wenn du dich auf ihn einlässt. Das kann durch ein mokantes Lächeln geschehen oder ein gezielt platziertes »Alles Ladenhüter!«, aber die sicherste Methode ist doch, ihn mit einem Publikationsort, einer Forschungseinrichtung oder einer Lobby in Verbindung zu bringen, bei deren Nennung das Publikum gleich weiß, woher der Wind weht.

4. Komplexitätsreduktion ist eine Waffe. Benütze sie mit Umsicht! Die Dinge liegen nie so einfach, wie der Konkurrent sie erscheinen lässt, aber sie lassen sich stets auf einen einfachen Kern bringen, der den anderen als begriffsstutzig dastehen lässt: Wer das nicht begreift, was begreift der überhaupt?

5. Worum es dir, worum es dem anderen geht, ist nie so wichtig wie das, worum es in der Welt der Entscheider geht. Beherrsche die Kunst, jederzeit den kleinlichen Streit um Fakes & Fakten fahren zu lassen, um dich in die großen Linien der Politik und der Weltrettung einzuklinken: Das Publikum und die Moderation werden es dir danken. Was ist der andere doch für ein armer Tropf!

6. Vergiss nie: die Moral ist auf deiner Seite. Das wissenschaftliche Ethos verwandelt sich auf dem Weg in die Öffentlichkeit in Pathos. Es ist der hohe Ton, der die Musik macht.

7. Leugner sind immer die anderen. Du selbst stellst fest.

8. Wissenschaftler ist, wer mit Mythen aufräumt. Lass keinen Zweifel daran, dass du Mythenaufräumer bist, dein Gegner hingegen Mythenverbreiter. Wissenschaftler, die Mythen verbreiten, haben es versäumt, ihre Hausaufgaben zu machen. Du hast deine Hausaufgaben gemacht, also die Pflicht, darauf bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit hinzuweisen.

9. Kein Argument der Gegenseite ist frisch. Daher ist es unter deiner Würde, sich mit ihm zu befassen. Verweise stattdessen darauf, wer alles es bereits widerlegt hat, am besten schon vor Jahren oder Jahrzehnten. Das zeigt den Champion.

10. Da du die Position der Vernunft vertrittst, ist es nur natürlich, dass du auf eine lange Genealogie verweisen kannst. »Wie schon Arrhenius zeigen konnte…« Die Ahnenreihe verschafft deiner Position Legitimität. Legitimität ist wichtig, in manchen Situationen fast alles.

11. Lass keinen Zweifel daran, dass Unwissenheit und böse Absicht im Begriff sind, das bereits Erreichte zu gefährden, und dass du die Öffentlichkeit nur aus dem einen Grund aufsuchst, um noch zu retten, was zu retten ist. Schüttle den Kopf über soviel Unvernunft, wie sie dir entgegenschlägt, zeige dich tief deprimiert durch die Dominanz eigensüchtiger Motive und gib dem Bedauern Ausdruck, gegen sie anreden zu müssen, statt unter besser informierten Zeitgenossen eine Flasche zu köpfen und hinter den Zahlenreihen zu verschwinden, welche die Welt bedeuten. Denn dort gehörst du hin.

12. Signalisiere mit allen dir zur Verfügung stehenden Mitteln, dass auf deinen Schultern die Last der Verantwortung für die Zukunft liegt und der andere dich nur mit mehr oder weniger unlauteren Mitteln daran hindern will, deinen Weg zu gehen. Es ist also keine Sache zwischen dir und ihm, sondern eine zwischen der Welt von morgen und den sie umlauernden Mächten der Finsternis. Ist das verstanden, folgt alles andere nach.

 

Notizen für den schweigenden Leser

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