Aesthetica

Schrift

Ein Mann schrieb: Dieser Mann ist ein A*loch. Er schrieb es sorgfältig, in weit ausholenden Buchstaben, mit einem grünen Filzschreiber an ein Whiteboard. Eine Frau sagte laut: »Das ist Sexismus«. Sie stand auf, nahm einen roten Filzschreiber aus der Ablage und schrieb unter den Satz des Mannes: Diese Frau ist eine… Sie hielt inne, strich ›Diese‹ durch und schrieb davor: Nicht. Sie trat einen Schritt zurück, betrachtete ihr Werk und setzte das Wort ›Frau‹ in Anführungszeichen. Sie trat erneut zurück, kniff die Augen zusammen und sagte: »Weiter komme ich jetzt nicht.« Der Mann griff nach dem grünen Filzschreiber, strich ›Dieser‹ durch und schrieb davor: Jeder. Die Frau zückte ihren roten Filzschreiber und setzte dahinter: Stimmt. Der Mann schob sie fast zur Seite, wischte den Punkt weg und schrieb dahinter: das? Die Frau sah ihn schweigend an, hob den Filzstift, wischte das ›e‹ von ›eine‹ fort und ersetzte es durch ein ›(e)‹. Sie musterte den Satz, den der Mann geschrieben hatte, und löschte das Sternchen, ohne ein anderes Zeichen an seine Stelle zu setzen. Ein Unmutszeichen kräuselte ihre Stirn. »Stimmt was nicht?« fragte der Mann, seine Stimme klang porös, als steige sie aus dem Untergrund auf. Die Frau griff nach dem Schwamm und löschte das A. Sie sah die Zornesröte im Gesicht des Mannes und schrieb in die Lücke: B. Andächtig malte sie den Buchstaben, mit schweren Brüsten, doch als sie zurücktrat, stand dort: Jeder Mann ist ein Bloch. Stimmt das? Fragend blickte der Mann sie an. Sie übergab ihm den Schwamm. Er wischte das Wort ›Bloch‹ aus und schrieb, etwas gedrängt, um nicht über den Punkt hinaus zu geraten: Adabei. Mit fester Schrift setzte die Frau hinter das Fragezeichen: Nein. Der Mann wartete. Die Frau, einen spöttischen Ausdruck um die Mundwinkel, schrieb hinter ›ein(e)‹: Gött*in. Der Mann las: Nicht diese Frau ist ein(e) Gött*in und schüttelte verwundert den Kopf. Er blickte sich im Saal um, als könne er dort die richtige erblicken. Dann fasste er sich und setzte hinter ›Gött*in‹ das Wörtchen ›wert‹. Die Frau warf den Kopf zurück, wischte ›Nicht diese‹ aus, schrieb: ›Keine‹, löschte ›ein(e) Gött*in‹ und vollendete den Satz mit einem dahingehuschten ›los‹. »Keine Frau ist wertlos«, murmelte der Mann, der Hieb saß, er löschte den ›Adabei‹ und setzte das Wort ›Versager‹ an seine Stelle. Schweigend musterte die Frau das Ergebnis, entfernte das ›Nein‹ und kritzelte: Vielleicht. Ohne aufzublicken ersetzte der Mann das ›Keine‹ durch ›Kein(e)‹, ›Frau‹ durch ›Gött*in‹, ›Gött*in‹ durch ›Gött*innenspei***se‹, leckte an seinem Stift, streckte die grüne Zunge heraus und unterstrich mit ihr das Ergebnis. Die Frau tilgte das ›ein‹ und das ›A‹ vor ›dabei‹, setzte das ›r‹ in ›Jeder‹ in Klammern, ersetzte das ›a‹ des Mannes durch einen Asterisk, strich ›Stimmt das?‹ und schrieb in die entstandene Lücke: Ist das wichtig? Da die Lücke nicht ausreichte, um den Satz aufzunehmen, schrieb sie nur ›Ist das‹ hinein und hängte das ›wichtig‹ ein wenig nachlässig an den Satz an. Jede(r) M*nn ist dabei. Ist das Vielleicht wichtig? las der Mann und blickte verwundert auf. Er umklammerte den grünen Stift, als ginge es jetzt ums Ganze, löschte das ›K‹ von ›Keine‹ und ersetzte es durch ein ›B‹, nicht ganz so ausladend wie das der Frau, änderte ›n‹ zu ›d‹, wischte, schon etwas nachlässig, das ›Fr‹ fort, krakelte ein ›bl‹ hinein, strich das ›ist‹, ließ das ›e‹ aus ›wertlos‹ verschwinden und setzte an seine Stelle ein ›o‹. Die Frau strich das ›M‹ von ›M*nn‹, das ›Ist‹ und ›das‹ und das ›Viel‹ von ›Vielleicht‹, pulte aus dem ›wichtig‹ das ›ich‹ heraus und warf es aufs Pult.

Frau

»Und die Pointe?« fragte die junge Schülerin. »Bist du«, sagte die Frau und schubste den Filzschreiber auf die Ablage. »Das verunsichert mich jetzt«, wisperte die Schülerin, ihre Stimme klang zugleich laut und leise, hart und verhalten. »Ich sehe das mit der Sexualität etwas anders, ich lehne Kinder grundsätzlich ab, ich weiß wirklich nicht, wofür sie gut sind, aber der Schlamassel, den sie anrichten, den sehe ich. Trotzdem finde ich es natürlich gut, wenn sie sich wehren und für ihre Welt kämpfen, die von euch zerstört wird.« »Grundsätzlich bin ich auf deiner Seite«, sagt die Frau, »obwohl ich nicht der Auffassung bin, dass Kinder ganz und gar abzulehnen sind. Wo sollen sie denn herkommen? Ich habe immer dafür gekämpft, dass Minderheiten ihren Sex ausleben sollen und nicht dafür leiden müssen, dass sie in der Minderheit sind, obwohl ich grundsätzlich nichts gegen Minderheiten habe, im Gegenteil. Beim Sex zum Beispiel, aber ich höre jetzt besser auf. Meine hoffnungslos veralteten Auffassungen…« »Nein«, flötet die Schülerin, »das ist schon sehr interessant, was Sie da sagen. Ich meine, wenn ich eine Frau mittleren Alters wäre, würde ich wahrscheinlich ebenso argumentieren, vielleicht auch nicht, ganz genau weiß ich das noch nicht. Aber die Anforderungen an meine Generation sind nun einmal andere.« »Man macht es euch aber auch schwer«, sagt die Frau, »ich meine, selbst ich … auch ich mache es euch schwer. Dabei will ich es euch leicht machen, mein Leben lang wollte ich doch nichts anderes, als es euch leicht zu machen. Aber es ist wahr, ich will euch auch ziehen, eine Riege starker Frauen, ich will als Erzieherin nicht zurückweichen, wieso sollte ich, da braucht es eine gewisse Härte, aber nicht aus Übermut, nicht aus Übermut, eher aus Demut. Nur weil ich mich zu meinem Geschlecht bekenne, heißt das ja nicht, dass ich jedes andere für mich ablehne, das nicht, aber vorsichtig müssen wir sein. Schließlich will frau das eigene Geschlecht auch nicht ablehnen und das müsste sie dann doch, oder? Das Geschlecht darf nicht zu sein, kein geschlossener Kreislauf, man muss sich offenhalten, sonst wird es ganz schnell zur Falle und wer will das schon?« »Davon kenne ich eine ganze Reihe«, haspelt die Schülerin, »das ist ja das Schreckliche. Kinder sollten nicht sein. Kinder sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie schon da sind, sie dürfen eigentlich nicht gemacht werden, das verstößt gegen das Gleichheitsprinzip.« »Du meinst, das verstößt…?« »Irgendwie schon. In einer Welt, in der alle gleich sind, kriegen alle Kinder oder keine. Und ich meine ›alle‹. Aber wenn sie einmal da sind…« »… sind sie doch auch süß, nicht wahr?« »Wie können Sie so etwas nur sagen? Kinder erben die Welt, sie gehört ihnen sie haben jedes Recht, uns zu sagen wo’s langgeht, keiner hat einen Funken Recht, ihnen etwas zu verweigern, und sei es das eigene Leben. Ist das nicht furchtbar? Ich meine, ich kann nichts dafür, dass sie da sind, ich kann auch nichts dagegen machen, ich bin ihnen ausgeliefert, wo immer ich hinschaue. Nur die Erwachsenen schlafwandeln, als ginge sie das alles nichts an. Dabei will ich doch erst einmal selbst leben, einfach so, zum Spaß. Ist das verkehrt? Ich finde nicht, dass es verkehrt ist. Für mich jedenfalls fühlt es sich richtig an. Wie macht man das, selbst leben, wenn man keine Rechte hat?« »Aber du hast doch Rechte.« »Rechte? Jemand drückt mir etwas in die Hand und sagt: Da hast du Rechte. Was ist das denn? Sind das Rechte? Rechte habe ich nur, wenn ich alle Rechte habe. So sehe ich das. Ich habe aber kein Recht an etwas, das mir gar nicht gehört. Die Welt gehört den Erwachsenen, okay, dafür legen sie sich krumm, ich könnte mir natürlich ausmalen, dass ich das einmal erbe, also jetzt nicht ich, sondern meine Generation. Aber wenn die Welt den Kindern gehört, und nicht nur ihnen, sondern auch all den Ungeborenen, dann sieht die Sache noch einmal anders aus. Wie kann ich etwas weitergeben, was ich durch mein bloßes Dasein verbrauche, zum Beispiel, indem ich ein- und ausatme oder mich von A nach B bewege? Das sind so einfache Dinge und sie sind zum Verrücktwerden. Vom Essen rede ich erst gar nicht. Eure Generation verprasst die Welt, das erzählen alle, aber meine tut es doch auch, und höchstwahrscheinlich wird, wenn wir damit fertig sind, nichts mehr übrig sein und die nach uns Kommenden werden nichts mehr erben. Das ist eine ziemlich grässliche Vorstellung und ich weiß nicht genau, wie ich mich dazu verhalten soll. All diese Schülerdemos sind ja ganz lustig, ich meine, die bringen es jetzt auch nicht. Nicht wirklich, meine ich, aber vielleicht täusche ich mich da.«

Mann

Frauen, plätscherte es im Mann, da tragen sie diese Fortpflanzungsorgane in sich herum und was haben sie davon? Scherereien. Ich kriege auch Scherereien. Aber es sind jedesmal andere, das bilde ich mir wenigstens ein, jedenfalls trage ich sie nicht andauernd mit mir herum. Tippe einer Frau auf die Schulter und du verstehst gleich das fatale Wort: Scherereien. Nein, du musst auf keine Schulter tippen, das wäre ganz übertrieben, ein Wort genügt und du kapierst bis heute nicht, welches es ist. Im Grunde sind es nicht deine Scherereien, schließlich gehen sie dich gar nichts an, so jedenfalls hast du es oft gehört, so dass du das Gehörte auch endlich glauben könntest, aber wenn du alles glaubst, das glaubst du nicht, an dieser Stelle versagt dein Glaubensorgan und ohne Glaubensorgan glaubst du gar nichts. Als ich jung war, dachte ich, diese Unterschiede, die wischen wir weg bis auf die angenehmen, die behalten wir, der Rest ist Vorurteil und soll uns gestohlen bleiben. Was wusstest du von dem Aufruhr, der damals entfacht wurde? Nichts. Nicht du trugst ihn schließlich in dir herum. Nichts trugst du herum als die Ahnungslosigkeit, mit der du den Aufruhr, von dem du nichts ahntest, obwohl du ihn natürlich zu spüren bekamst, mit der du ihn steigertest bis zum… Äußersten, ja, alles bekamst du ab, immerhin warst du da, du warst der nächste Beste oder bloß der Nächste, aber das stimmt nicht, du bekamst ihn ab, weil du ihn entfachtest. Wodurch? Du hast sie ausgelassen, einfach ausgelassen. Wie soll ich das erklären? Nein, nicht weggelassen, bloß ausgelassen, etwas an ihr hast du ausgelassen und aus eigenen Beständen … ersetzt, ja ersetzt, das wird es wohl sein. Immerhin wart ihr Gleiche, unterschiedslos, Mann wie Frau, Frau wie Mann, es gehörte sich einfach nicht, sie spüren zu lassen, dass sie eine Frau … Blümchen hier, Blümchen da, wie peinlich ist das denn? Du sollst nichts merken, außer im Bett. Sie soll funktionieren wie du, eritis sicut … ach du Scheiße, wie sonst, tat sie es nicht, lag das am Defekt – einem reparablen, dann war die Beziehung im Kern intakt, einem irreparablen, dann weg damit. All diese irreparablen Frauen, die deinen Weg säumen … sie standen in Flammen und du nahmst es ihnen nicht ab. Nur den Aufruhr gegen die Männer nahmst du ihnen ab, schließlich warst du auf ihrer Seite, aber den inneren Aufruhr, den Aufruhr des Geschlechts gegen seine Repräsentation nahmst du ihnen nicht ab, du nahmst ihn gar nicht zur Kenntnis, es sei denn als falsches Bewusstsein. Sage jemandem, er besitze ein falsches Bewusstsein, und er traut dir nicht länger. Das nennt man eine Vertrauenskrise. Sie vertrauen dir nicht, gestern nicht, heute nicht, keine vertraut dir, sie sehen es gar nicht ein und wüssten auch nicht, warum sie gerade dir vertrauen sollten, schließlich haben sie ihr Ich mit soviel Männlichkeit angereichert, dass sie eher dem Teil ihres Selbst vertrauen, den sie nicht mit dir teilen, so sehr misstrauen sie ihm. Hat ihnen jemand gesagt, dass diese angereicherte Männlichkeit toxisch ist? Sie halten dich für das Gift, das widerrechtlich von ihnen Besitz ergreifen will, dabei lassen sie dich nicht einmal ihren Mantel halten, geschweige denn einen Zipfel der wahren Verhältnisse. Das ist schon schade, denn es gibt doch nichts Wahreres als die Verhältnisse. Man kann ihnen, wie einem Medizinschrank, alles entnehmen, was nötig ist, um sich zu kurieren. Schau auf die Verhältnisse! Wie oft würde ich das um mein Leben gern vorbringen, aber ein Blick bringt mich zum Schweigen. Der toxische Mann! Jeder musternde Blick sagt kalt: Dich hatten wir schon. Du bist ein Mann und ich will keine fremden Männer neben mir haben, es sei denn im Bett. Der Fremde im Bett, am besten für eine Nacht, was kann da schon passieren? So denkt der angereicherte Mann, der Mann ohne Geschlecht, der Mann der Gleichheit, der Mann im Schatten des Körpers der Frau. Etwas stimmt mit ihm nicht. Aber was? Er will dir Konkurrenz machen, aber er nimmt es dir übel, dass du sein Konkurrent bist. Er findet, du hindertest ihn an seiner Entfaltung, während es doch andersherum stimmt: Er betäubt deinen Arbeitsinstinkt und verkündet mit lauter Stimme, mit dir zusammenzuarbeiten sei sinnlos, da du seine Bedürfnisse ignorierst. Seit wann ignorierst du Bedürfnisse? Wie kannst du mit jemandem zusammenarbeiten, der sich durch dich erniedrigt fühlt, während er dich verhöhnt? Vielleicht ginge es ja, aber dazu müsste noch viel geschehen. Allein dir fehlt, wie gesagt, der Glaube. Jetzt glauben sie an Sternchen im Kopf und die Konfusion geht in die nächste Runde.

 

 

erschienen als:

Emergente Schatten (Acta litterarum)

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