Aesthetica

nach Jorge Luis Borges

Dies Blatt wird kein geringeres Rätsel sein
als jene Meiner Heiligen Bücher,
oder die anderen, nachgeplappert
von Ignorantenmund,
der sie für Menschenwerk, nicht dunkle Spiegel
des Geistes nimmt.
Ich, der das Ist, das War bin und das Wird,
lass mich erneut herbei zur Sprache,
die Zeit, vergehende, und Sinnbild ist.

Wer spielt mit einem Kind, der spielt mit etwas,
das nah ist und geheimnisvoll;
ich wollt’ mit meinen Söhnen spielen.
Bestürzt und zärtlich stand ich unter ihnen.
Durch eine Art Magie,
seltsam, gebar man mich aus einem Bauch.
Verzaubert, eingesperrt in einen Körper
und in die Schwäche einer Seele, lebte ich.
Ich lernte die Erinnerung
kennen, niemals gleiche Münze.
Ich lernte kennen Furcht und Hoffnung,
die zwei Gesichter ungewisser Zukunft.
Ich lernte das Wachen, den Schlaf und die Träume,
das Nichtwissen, das Fleisch,
die plumpen Labyrinthe der Vernunft,
die Liebe der Menschen kennen,
die geheimnisvolle Treue der Hunde.

Wurde geliebt, verstanden, wurde geehrt und hing an einem Kreuz.
Ich leerte den Becher zur Neige.
Mit Meinen Augen sah ein erstes Mal ich
die Nacht und ihre Sterne.
Lernte kennen das Glatte, das Körnige, das Unebne und das Raue,
den Honiggeschmack und den des Apfels,
das Wasser in der Kehle des Durstes,
das Gewicht von Metall auf der Hand,
die Stimme der Menschen und das Geräusch von Schritten im Gras,
Geruch des Regens in Galiläa,
den hohen Schrei der Vögel.
Auch das Bittere lernte ich kennen.
Solches hieß ich einen Menschen niederschreiben (irgendeinen);
nie wird es sein, wie ich es sagen wollte,
doch wie sein Schatten, jedenfalls.
Aus meiner Ewigen Dauer fallen diese Zeichen.
Ein anderer, nicht sein heutiger Gehilfe, schreibe das Gedicht.

Morgen werde ich sein ein Tiger unter den Tigern,
ihrem Wald predigen Mein Gesetz,
oder ein großer Baum in Asien.
Manchmal denk’ ich mit Heimweh dabei
an den Geruch dieser Tischlerei.

Das Gedicht bedarf keines Kommentars, es sei denn des theologischen. Sein Sinn ist so hell wie sein Gegenstand dunkel. Es hat den Reiz einer apokryphen Quelle. Der Gott selbst grenzt seine neue Offenbarung gegen den kanonischen Bestand ab. Nur erweist sich eben darin der Kanon als menschlich. Für den Gott, der sich zur Sprache entschließt, eine unendliche Distanz überwindend, um im Wort die flüchtige Berührung durch das Zeitliche und das Opake auszukosten, schwinden die Differenzen. Das Blatt ist Rätsel; nachgetragen, doch nicht unverbindlich. Wenn die Flut sich verläuft, tauchen die Fragen auf. Wer schrieb diese Verse, der Gehilfe oder der andere? Ist dies das schließliche Gedicht oder die vorläufige Niederschrift? Der Gott ist deutlich – für einen Gott.

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