1.

Nicht allein Edward empfand den Tagesanbruch als ungelegen. Erschrocken stemmte sich Stefan empor, als die Tür kreischend aufflog und Licht Licht Licht den Verschlag flutete. Die Abdeckungen der Nacht waren ebenso verschwunden wie der Fieberkranke mitsamt seiner Begleiterin. Man hätte sie für einen Spuk halten mögen, wäre nicht der Blechteller noch ungespült auf dem Fensterbrett gestanden, den sich die Elfin vor ihrer Flucht von Stefan erbeten hatte. Fertig behost und gestiefelt, klapperte Werner mit Becher und Zahnbürste, kramte hier, kramte dort, leerte, offenbar erfolglos, den Inhalt seines Rucksacks auf den Boden und rief mit heller, ausgeschlafener Stimme – wobei er sich, den Rucksack in der einen Hand, die andere Hand im Rucksack haltend, mit einer halben Drehung dem Auditorium zuwandte, ohne es geradezu anzusehen –: »Kann mir jemand sein Aftershave leihen?«

»Sein Aftershave!« höhnte Stefan. »Er will sein Aftershave. Dreitausendachthundert Meter über dem Meeresspiegel wünscht unser Wernerherz sein Aftershave. Es verlangt ihn nach einer Morgentoilette. Andere Leute ziehen den Hosengurt enger, aber er rasiert sich! Mach die Tür zu! Wahrscheinlich brauchst du noch einen Spiegel.«

»Wäre nicht schlecht«, kam die Stimme glockenrein vom Eingang zurück, »ich muss meinen verlegt haben. Kann mir einer aushelfen?«

»Lass sprießen«, mäßigte sich Stefan. »Hier oben gelten andere Regeln.«

»Das würde euch so gefallen, ihr Schweine.«

»Oho.«

»Ich stelle fest, dass ich das einzige zivilisierte Wesen hier im Umkreis bin. Kann das jemand zu Protokoll nehmen? Ich hätte es gerne festgehalten. Für alle Fälle. Man kann nie wissen.«

Hart schlug die Tür ins Holz.

Nachdenklich bewegte Edward die Zehen. Bernhards Ratschlag folgend, hatte er die Bergsocken bisher unter allen Umständen anbehalten. Es waren gute Socken, anschmiegsam und kältefest.

 

2.

Den steinernen Trog, flach ausgemeißelt, füllt im unteren Teil, dort, wo normalerweise das Wasser über den Rand tritt und in wunderlichen Kaskaden den Weg in die Tiefe antritt, eine Eisplatte. Edward balanciert auf einem schwankenden Stein, schraubt den Deckel seiner Zahnpastatube auf, lässt aus dem wider Erwarten funktionierenden Hahn ein wenig Wasser über die Zahnbürste rinnen und kommt mit einem älteren Bergsteiger ins Gespräch, der soeben den Rucksack abstellt, rasch den Oberkörper entblößt, mit der Gier des Entwöhnten die dem Hahn entfallenden Tropfen in der hohlen Hand sammelt und sie in kurzen Abständen gegen die behaarte Brust klatscht.

»Where did you come from so early in the morning?«

»Obe bin i gsi.«

»Da – oben?« Vage weist Edwards Hand in Richtung Kibo.

»Äbbe. Sid dihr öppe au scho obe gsi?«

»Noch nicht«, versichert Edward – vertrauenswürdig, wie er meint. »Wir gehen morgen hoch. War’s sehr anstrengend?«

»Längwilig isch’s nid gsi.«

»Hatten Sie Atemprobleme?«

»S’ Problem? I? Da obe? Mer darf halt net wölle juffle. I ha da kes Problem.«

 

3.

Plötzlich mutig geworden, legt Edward erst die Jacke, dann, schon zaghafter, das Hemd ab, derweil der Bergfreund, auf ein Felsstück gestützt, gemächlich erst den linken, dann den rechten Schuh öffnet und neu zu binden beginnt.

»Eis begryff i nid. Also d’ Mönsche chömme vo wit her und gä uuf, wenns am Gillman’s Point stönd. Das söttet dihr nid mache. Druf abe chunt ja erscht dr Gletscher. Das isch eine Augenweide. Mer wanderet grad wi an nere Grotte.«

Spricht’s und trollt sich hüttenwärts.

 

4.

Bernhard und Wolfgang hockten bereits am Frühstückstisch, auf dem Melchior das von gestern her vertraute blaue Deckchen ausrollte, die Fransen zurechtschob, hier und da angeschlagene und braun gefleckte Teller und Tassen hinter dem gekrümmten Handrücken hervorzauberte, seltsam gebogenes Aluminiumbesteck an die noch leeren Plätze legte –

– sie hockten und blinzelten, als die anderen, die Köpfe unter dem schräg emporstrebenden Gebälk einziehend, das den Aufgang zum Dachboden trug, ans Fenster traten, einen Blick auf die geschlossene Wolkendecke warfen, die hundertfünfzig Meter unter ihnen flutete, sich auf den Stühlen ausstreckten und sie müde witzelnd auszufragen begannen, wie sie denn dort oben die Nacht verbracht hätten, wobei sie ebenso vage wie bedenkliche Blicke zur Holzdecke emporsandten.

Mit verschränkten Armen und undurchdringlicher Miene lehnt Athanasios im Hintergrund. Melchior hingegen, angetan mit Pudelmütze und Küchenschürze, zeigt sich ausgesprochen aufgeräumt und redselig. Hin und her schwappt die Rede. Besonders Stefan ist auf immer neue Kostproben erpicht und lüpft den Deckel ein ums andere Mal.

»Ganz im Ernst«, sagt er plötzlich (vorsichtshalber sagt er es in seiner eigenen Sprache, die aber Melchior, wie sich nun herausstellt, ganz gut versteht), »du hast uns jetzt zwei Tage lang beobachtet: Werden wir’s alle schaffen?«

Edward überlegt, ob »frugal« als ein angemessener Ausdruck für ihr Frühstück durchgehen könnte, das aus einer schwarzgebrannten Scheibe Toast, einem Spiegelei und üppig darübergestreutem Salz besteht, nebst großen Mengen Flüssigkeit, die Casper aus zwei Thermoskannen nachgießt. Die eine enthält heißes Wasser, die andere heißen Tee. Bei den zwei mürrischen Gestalten unbestimmter Herkunft am Nachbartisch waltet größere Kargheit. Auch fehlt das blaue Tischtuch, das Melchior persönlich verwahrt.

Für einen Augenblick kann man meinen, er habe die so unvermutet an ihn herangetragene Frage nicht verstanden. Versonnen richtet er den Blick auf den Tisch, dann mit einer gewissen Scheu auf die Gesichter der Runde, lässt ihn ein zweites Mal zu Dieter hinübergleiten, der, die Lider nur halb geöffnet, unter der drückenden Last des Treppenbalkens ungesprächig auf seinem Sitz kauert, holt ihn wie ein Jo-jo zu sich zurück und – bleibt stumm.

Bleibt stumm.

Gemessen, pole pole, wendet Wolfgang, der an der Stirnseite präsidiert, das gedunsene Haupt. Aus dem Wolkenmeer heben sich flaumartig leicht, minutenlang gleitend in liebloser Bläue und in spiralige Fäden zerrinnend, unsagbar zarte Gebilde. Einer wie er, der Kopfschmerz nur als einen unangenehmen, aber moralisch zugestandenen Zustand nach durchzechter Nacht kennt, leidet doppelt unter dem Druck, der von den Schläfen aufwärts zieht und in Augenblicken gesteigerter Drangsal scheinbar neutrale Schwaden – Zonen verdünnten Schmerzes – gegen Stirn und Schläfen pulsieren lässt, welche sich alsbald als neue tückische Quälgeister entpuppen. Längst hat er seine Dosis Aspirin intus, aber die Entlastung, die sie versprach, war ebensowenig eingetreten wie die dumpf erhoffte Erleichterung nach dem Ende der Nacht, während der fortwährend klobige, ihres Tritts nur noch sehr begrenzt sichere Gestalten über ihn hinwegstiegen, um sich in irgendeinem Winkel raschelnd, ächzend und murmelnd von der Wirklichkeit zu verabschieden: Bergsteiger, die den Abstieg vom Gipfel aus irgendeinem Grunde bei Tage nicht mehr geschafft hatten. Gegen Morgen hat er sie liegen sehen, stumm und bewegungslos, und ihr Aussehen hat ihm nicht gefallen. Vergebens versucht er den Gedanken daran zu verscheuchen, aber jede schmerzhafte Woge, die durch sein Gehirn rollt, erschafft ihren Anblick neu.

Fast entginge ihm Melchiors Stimme, die sanft, mit einem kleinen schalkhaften Unterton, Antwort gibt: »You will come to top. All of you will come to top. You are a great team.«

 

5.

Der Kopfschmerz ist der Antipode des Traums. Wie dieser dem Schlaf, so ist jener dem Wachbewusstsein verschwistert. Wie der Schlaf durch den Traum im Bewusstsein Konturen gewinnt, so gewinnt das Wachbewusstsein durch den Kopfschmerz Identität. Wer durch die kleine Hölle gegangen ist, der hat gelernt, »Ich« zu sagen. Im Traum fällt letzteres schwer, »ich« ist in allen Dingen. Und wie vom Traum nur die Erinnerung zeugt, so bezeugt den Kopfschmerz die Erwartung der Wiederkehr: Es gibt keine Erinnerung an ihn. Oder vielmehr nur die verworrene Erinnerung, wie wir sie an Träume bewahren, die wir vergaßen.

Kopfschmerz ist kein Gefühl, was dann? Eine Körperempfindung? Das schon eher, aber da ist eine Schwierigkeit: er lässt sich nicht lokalisieren. Zwar kennt er wie andere Empfindungen ein Oben und Unten, ein Links und Rechts, ein Vorn und Hinten, und jeder halbwegs Kundige glaubt etwas Bedeutsames mitzuteilen, wenn er das Wort »Schläfe« in seine Beschreibungsversuche einfließen lässt. Aber diese Lokalisierungen sind imaginär, sie lassen sich nicht mit der zerebralen Anatomie vermitteln, es sei denn im Scherz.

Träume machen beredt, Kopfschmerzen stumm. Vor allem, wenn es sich um »seltsame« Träume handelt, nimmt das Bedürfnis, sie zu erzählen, als handle es sich um Geschichten, schnell überhand. Dagegen führt jeder Versuch, einen Kopfschmerz zu beschreiben, in die Irre. Allein der Entschluss zu sprechen bringt die Entlastung, die gerade das verschwinden lässt, was beschrieben werden sollte. Alsbald blüht die Phantasie. Da zeigen sich Gedanken umwölkt, durchfurcht »der Schmerz« fächerartig die Stirnpartie, schon öffnen sich unter dumpfem Pochen und Hämmern die unteren Verliese und es entschlüpfen ihnen handverlesen eigenartige Kumpane: hier der Fachmann fürs Grobe, der jeden aufkeimenden Gedanken mit einer stechenden Salve aus dem Hinterhalt zu Fall bringt, dort der leisetreterische Verfälscher, der jede sanftere Regung mit Nadelstichen in den großen Käfig der Bitterkeit hineinzwingt, in dem das verlorene Ich und das enttäuschende Du unter dem Beifall hämischer Dämonen den Tango tanzen, dazwischen jede Menge fragmentarischer Täter, die aus der Anonymität herausblitzen, stechen, drücken, trommeln, schneiden, kreischen, krickeln, züngeln, zwängen, zwicken, zwacken, zackern, zecken, kriechen, knistern, wummern, wabern, wippen, dröhnen, träufeln, trommeln, trompeten, bohren, pochen, flattern, fluten, pulsieren und kreiselnd niedersinken: so viele Täter, so viel Tat, doch alles für nichts, da dichte Schwaden die Bühne verhüllen und allenfalls ein Bein hier, eine Hand dort hervorblitzt.

Bei alledem handelt es sich, wie gesagt, bloß um ein virtuelles Spektakel; die Substanz bleibt unscheinbar und eignet sich für keine ausschweifende Dramaturgie. Und dennoch weiß jeder, den es angeht, Bescheid, wenn es heißt, »in Werners Gehirn zog sich etwas zusammen«, »Bernhard, der bisher von derlei Anwandlungen verschont geblieben war, spürte ein mäßiges Ziehen in der linken Hirnhälfte, und gerade jetzt, als er sich bückt, um seine zu Boden gefallene Kappe aufzuheben, versetzt ihn ein dröhnender Paukenschlag in den anderen Zustand, den er seit längerem erwartet, aber nun, da er von ihm kostet wie von der zu Recht verbotenen Frucht des Paradieses, noch nicht recht wahrhaben will«, »ein waagrechter Blitz fegte durch das Gewölk, das nur hin und wieder ein flüchtiger Gedanke erhellte. Prasselnd brach sich das rollende Unheil an den eisernen Gitterstäben, zwischen denen er sich eingepfercht fühlte, zornbebend, denn er wusste, dass nur der Entschluss zur Umkehr ihm Erleichterung bringen würde...«

Wolfgang allerdings ist weit davon entfernt, sich einem Zornesausbruch zu überlassen. Kopfschmerzgeübte wissen – oder glauben zu wissen –, dass sie nicht aufgeben dürfen, wenn es sie anfällt, und neigen dazu, in ihren einmal gefassten Entschlüssen unter Druck zu versteinern. Neulinge wie Wolfgang hingegen versuchen, die Situation durch Abwerfen von Ballast – zum Beispiel dem Entschluss durchzuhalten, auch wenn die Luft dünner wird – in den Griff zu bekommen. Würde ihn einer fragen – etwa jetzt, da er sich dazu durchgerungen hat, seine Scheibe Toastbrot von ihren verbrannten Bestandteilen zu reinigen, und zu diesem Zweck das Messer hebt –, ob er mit ihm zusammen absteigen würde, da er es keine Sekunde länger hier oben aushalte, seine Antwort bestünde in einem spöttisch-überraschten, überaus altruistisch klingenden »Wenn’s denn sein muss!« Es fragt ihn aber keiner, und so unterbleibt die gute Tat. Allerdings – auch diese Geste bleibt unbemerkt – greift er bei der ersten sich bietenden Gelegenheit tief in seinen Rucksack hinein, bis er es spürt, sein Geheimnis, wohlverwahrt, das er erst auf dem Gipfel hervorziehen wird.

 

6.

Die Upper Route, die sie heute erkundungshalber bis zum Mawenzi-Sattel begehen wollen, zieht sich von ihrem Nachtlager aus praktisch ohne Umschweife nordwärts. Anfangs von Senecien gesäumt, die dem Bachbett folgen, steigt sie im ersten Drittel kräftig an, bis sie eine Höhe von viertausend Metern über Normal Null erreicht, läuft dann zwischen Felsenbrocken hindurch nordostwärts auf einen Kamm zu, hinter dem sie, wiederum stetig ansteigend, sich in einem weiten Bogen neuerlich nach Norden orientiert.

Hat man den Mawenzi-Sattel erreicht, so schaut man auf eine kleine Senke, von deren gegenüberliegender Höhe aus das Gelände zum Kibo-Sattel hin abfällt. Eine Felsengruppe zur Linken trägt den Namen East Lava Hill. Alle Blicke zieht jedoch der geborstene Krater des Mawenzi auf sich, dessen über einem schwarz das Gelände in Vorder- und Hintergrund teilenden Lavarücken thronende, vielfältig durchbrochene, von steil abfallenden Geröllfeldern durchsetzte und umkränzte Kathedrale definitiv nicht ergangen, sondern erstiegen werden muss.

Ihre erste Rast halten sie auf viertausend Metern. Stefan lässt es sich nicht nehmen, für eine Aufnahme zu posieren. Den Hut ins Gesicht gezogen, die Beine breitgestellt, hebt er den glattgeschabten Stein mit der eingemeißelten Höhenangabe bis in Gurthöhe – »fotografiert hier denn keiner?« – und lässt ihn umstandslos fallen, sobald Bernhard auf den Auslöser gedrückt hat. Längs des Weges sieht man die Zebrafelsen, auf die kein Führer hinzuweisen vergisst: ein verwittertes Felsenband unter einer stark vorkragenden Lage härteren Gesteins, auffällig durch seine schwarz-weiße, in senkrechten Streifen verlaufende Färbung.

 

7.

Von den Strecken, die auf den Kibo führen, steigt die südöstliche am gleichmäßigsten an. Ihr genauer Widerpart ist die Südweststrecke, die von Umbwe aus über den Great West Breach den insularen Furtwängler-Gletscher angeht. Hier sind es, wie die Höhenlinien ausweisen, die Steilaufstiege, die den Erfolg bringen oder das Scheitern. Merkwürdig geradlinig verläuft die nördliche Rongai Route, die sich zum letzten Anstieg mit der Südoststrecke vereinigt. Ganz anders die von Westen kommende Shira Route, die sich in eleganten Schwüngen an den Gipfel heranschmeichelt. Das Gipfel-Ensemble, das zwischen dem nördlichen und dem südlichen Eisfeld mit Eiskuppel und Rebmann-Gletscher so lauschige Fleckchen ausweist wie Bismarck Towers, Stella Point und Hans Meyer Point – alle drei hintereinander längs des Weges aufgereiht, der die Gruppe im Fall der Fälle von Gillman’s Point zum Uhuru Peak führen würde, von dem aus man dann und wann zum eigentlichen Schlund, dem Reusch-Krater, hinüberblickt, während langsam die östliche Sphinx ins Bild wandert – bleibt auch in der Hinsicht eine Welt für sich, als die verschiedenen »Routes« überall am Ende vor dasselbe Problem führen: den unerlässlichen Aufstieg zum Krater. Hier gleichen sich die Bedingungen, hier scheiden sich die – »Geister« wäre vielleicht das falsche Wort, andererseits trifft es die Sache, wenn schon nicht genau, so doch überaus einprägsam.

 

8.

»All diese Gnaphalien, Artemisien, Heliochrysen, Rispengräschen u.s.w. haben sich mit einem hellgrauen Haarpelz bewehrt, dessen luftgefüllte Oberhärchen das Blatt gegen zu starke Erwärmung und Verdunstung einerseits sowie gegen zu große Benässung und Erkaltung andererseits schirmen und die verschiedenen Arten in der äußeren Erscheinung einander sehr ähnlich machen. Zum Teil stehen die Blüten und Blätter einer Pflanze in dichte, kugelige Polster gedrängt, um sich gegenseitig sowohl gegen Frost als auch gegen übergroße Transpiration zu bewahren. Zum Teil kriechen sie flach auf dem Boden dahin, um von der durch die kräftige Insolation erwärmten Erde den Vorteil zu ziehen, den ihnen die mangelnde Luftwärme versagt. Neben Gelb ist Violett die Lieblingsfarbe der Blüten. Aber auch die Blättchen und Stengel mehrerer einer größeren Wärme bedürftigen Arten haben die violette Anthokyanfarbe, die ja die merkwürdige Eigenschaft besitzt, das intensive Licht der Höhe zu absorbieren und in Wärme umzuwandeln. Dunkelgrau ist dagegen die Farbe der wenigen animalischen Bewohner des oberen Kilimandscharo, und durch diesen ‘Melanismus’ wird den einsamen Bergschwalben, Steinschmätzern, Eidechsen, Käfern, Spinnen und Immen nicht nur eine größere Sonnenerwärmung zuteil als durch helle Färbung, sondern auch der unentbehrliche Schutz in dem gleich dunkelfarbigen Gestein, auf dem sie leben.«

So kann man es sagen.

 

9.

Von Anfang an hatte Melchior, der einzige Führer, der heute mit ihnen ging – auch Dieter zog die Waagrechte erneut ihrer Gesellschaft vor –, wachsame Blicke auf die Wolkenformationen geworfen, die ihnen aus der Tiefe herauf nachwuchsen. Vom Mawenzi blühte ein weißer Schleier; hin und wieder löste sich ein Wölkchen und trieb dem östlichen Ozean zu. Klar stand der mittlere Grat vor ihnen, der zum Fuß des Mawenzi hinüberschwang und den Ausblick auf den Sattel versperrte.

Es reiche schon, wenn sie heute den Grat erreichten, hatte Casper zum Abschied beteuert. Sollte der eine oder andere schlappmachen, so böte sich ihnen dort Gelegenheit kehrtzumachen. Tatsächlich ersterben die Gespräche, Nacken senken sich, Schritte verlieren sich im Geröll. Abwesend richtet Edward sich auf, als eine jähe Kälte seinen schweißnassen Rücken erschauern lässt. Nebelschwaden wabern neben ihm gegen den Berg. Der Mawenzi ist verschwunden, die Sonne zu einer milchigen Scheibe verblasst. Er klemmt den Rucksack zwischen die Beine und zerrt den Anorak heraus. Die anderen, in der Marschfolge erstarrt, blickten auf Melchior.

 

10.

Es ist nicht sein Tag. Seit dem Auftritt beim Frühstück hüllt er sich in Schweigen. Überrascht hat ihn ihre Frage nicht. Er hört sie seit Jahren. Auch die Antwort hat sich bewährt. Bei dieser Gruppe wird ihm nicht wohl. Männer in guter körperlicher Verfassung, soweit er das überblickt. Übrigens gilt das auch für den kleinen drahtigen, den sie »Di-da« nennen. Anfangs hatte er immer »Dealer« verstanden. Aber was scheren ihn die Scherze der Fremden. Er hat Bill Borland und Jimmy Carter ohne Kratzer nach oben gebracht; dass »Di-da« nicht auf die Beine kommt, macht ihn ein bisschen ratlos. Der Boxer, der ihm am Ratzelgletscher k.o. ging, das war auch so ein Fall. Wie hieß der noch? Jordan oder so ähnlich. Gestern hat er es einmal gewusst. Das Gedächtnis lässt nach, sie sagen, das kommt vom Sauerstoffmangel.

Ihn morgen zurückzulassen geht gegen den Ehrgeiz. Natürlich, Sicherheit hat Vorrang, das versteht sich von selbst. Einen Abgang hat es bei ihm noch nicht gegeben, das wäre schlecht für die Autorität. Aber was heißt schon Autorität. Die Leute suchen den Kitzel. Diese hier haben sich direkt vom Flughafen an den Berg fahren lassen. Ein Wahnsinn. Einer wird dafür büßen. Davon geht er aus. Bloß wer? »Di-da«? Kein schlechter Kandidat, er wirkt so verbiestert. Aber er will nach oben. Praktisch ist alles eine Sache des Willens. Der Lange, der immer so sinnig schaut, dass einem die Kopfhaut juckt, der schafft es sicher. War auch schon oben, falls er sein Kauderwelsch richtig verstanden hat. Der Ruhige, der immer die Schuhe putzt, bevor sie aufbrechen, ist wohl am jüngsten. Viel sagt das auch nicht. Man merkt schon, dass er Schwierigkeiten bekommt. Nur redet er nicht drüber. Er redet sowieso kaum. Obwohl er aussieht, als rede er gern.

Der Krauskopf, der so gern Bier trinkt, den würde er ein zweites Mal mit hinaufnehmen. Er mag die Leute, das sieht man ihm an, und die Leute mögen ihn. Aber der Berg mag ihn nicht, das spürt er genau. »Let it be«, würde er ihm gern zurufen (o dieses Englisch), wenn er keuchend vorausstapft, »be happy«, »just say om« oder wie das merkwürdige Wort heißt, von dem diese Ruhe ausgeht, »apaisement« auf Französisch, es tut gut, dass er so beschlagen ist. Der Berg bildet. Er ist schon stolz darauf, seinen Job zu tun. Der Berg ist international. Der Berg ist die Weltkugel. Ohne ihn wäre er bloß eine Made. Hier oben ist er ein freier Mann, einer, der weiß, was zu tun ist. Wie sie ihn anstarren. Ein Blick, und sie fangen an, sich zu fürchten. Ein wenig zappeln sollen sie ruhig. Das ist gut fürs Trinkgeld.

 

11.

Auf dem Sattel weht ein scharfer Wind. Zum Glück unterstreichen einige rundgeschliffene oder -gemeißelte Felsbrocken die erreichte Höhe, groß genug, sich im Windschatten an sie zu lehnen oder auf dem kleingeriebenen Schotter auszustrecken, der sich zwischen dem kantigen Lavageröll behauptet. Auch Flechten träumen dort, als sollten sie den einladenden Zug des Ortes verstärken. Ein paar Träger sitzen und liegen herum, das Gepäck im Gelände verstreut. Bernhard, in seine Windjacke gehüllt, hat die Ellbogen aufgestützt und schießt ein Bild nach dem anderen; ganze Salven jagt er in die Landschaft. Die Kamera mit dem aufgeschraubten Objektiv dünkt Edward länger denn je. Werner im krebsroten Plastikhabit, das blaue Seidentuch und die Sonnenbrille zwecklos am Halse baumelnd, hält sich aufrecht für ein Foto mit der Überschrift »Restlos fertig«, vergebens. Die Wolken haben sich in die unteren Regionen zurückgezogen, dort harren sie, schwarz und lauernd, der kommenden Dinge. Gipfelabbrecher hoppeln talwärts; Blickkontakt unerwünscht.

 

12.

So nah am Mawenzi – dem falschen Gipfel zwar, aber wer wollte hier rechten – stellen sich eher einfache Fragen. Sie sind technischer Natur: Wo verläuft der Weg, wieviel Stunden wäre man unterwegs, bis man den Fuß erreicht hätte, gibt es einen gangbaren Weg durch die Geröllfelder, einen, der sich an und hinter den Steilwänden, den Kegeln und Säulengruppen entlangschlängelt, wo beginnt die finale Kletterpartie – Melchior lächelt ein wenig nachsichtig, als seien jene Regionen, in denen üblicherweise nur Jets verkehren, einer höheren Gattung vorbehalten, und als bestehe das Wunder des Kibo gerade darin, ihresgleichen in den Weiten des Universums das einzige derartige Angebot zu machen. Außerdem, belehrt seine auf Taubenfüßen daherkommende Stimme, sei die Jahreszeit schon zu weit fortgeschritten, als dass man den Aufstieg wagen könne – der Gipfel sei »closed«.

 

13.

Stefan hat das Fernglas herausgeholt und auf den Kibo gerichtet. Die weiche Muldung des Sattels, weit in den Mittelgrund hinein von dem Lavaband verdeckt, das hier, vom Mawenzi kommend, südwärts schwenkt, belässt die Entfernung im Ungewissen. Ein einfacher, überaus wirksamer optischer Effekt, geeignet, das langgezogene Trapez des Kraters, über dessen Ränder die Eiszungen lecken, als hechelte er kaum merklich in der flirrenden Sonnenluft, ebenso fern wie nah erscheinen zu lassen, »zum Greifen nah« und auf eigentümliche Weise unberührt, auch wenn das wissende Auge im unteren Drittel die Hütte auszumachen glaubt, von der sie zum Gipfel aufsteigen werden. Es ist eine feste Hütte, ein Steinhaus, wenn er sich recht erinnert, und doch kann er sich eines Fröstelns nicht erwehren. Es fiel der Platzregen, es kamen Wasserbäche, es brausten die Winde und stießen an jenes Haus, aber es fiel nicht zusammen; denn auf Felsengrund war es gebaut. Jesses, das sitzt. Hinzu kommt, nicht zu vergessen, der Schnee, der selbst noch den morgigen Aufstieg vereiteln könnte, auch wenn dies zur Stunde kaum glaublich erscheint. Aber was ist schon glaublich. Dass das Haus dem nächsten Vulkanausbruch trotzen könnte, hält er für eher unwahrscheinlich. Doch vielleicht ist das Wort nicht auf szenische Darbietungen solchen Ausmaßes gemünzt. Allerdings gelingt es ihm gegenwärtig überhaupt nicht, sich zu entsinnen, worauf es gemünzt sein könnte. Das mag daran liegen, dass die letzten Stunden auch an ihm nicht spurlos vorübergegangen sind. Dennoch darf er mit sich zufrieden sein. Rätselhaft nur, wohin das gestrige Glücksgefühl sich verflüchtigt hat. Eigentlich hätte er erwartet, es heute gesteigert wiederzufinden. Daraus dürfte wohl nichts mehr werden.

 

14.

Hat eins die gros Ebene vberquert / in welcher ein iegliches / Mensch oder Thier / ohn’ alle Ausnahm verdurst’ / wan es nicht lernet / von seyn Thränlein zu trincken / und mit inen Haus zu halten / in der ein iegliches / Mensch oder Thier / Hungers vergeht / das nit vermocht / zu wandeln Stein’ in Brot / zu erachten sein Koth / als ein köstlich Ding / so hat eins das schwerst / allda noch vor sich; das ist: der Kampf mit dem Unthier. Das Unthier machet aber den Eindruk / als sey kein Leben inn im. Wann aber eyns an es herantritt / so das der Abstand / weniger dann funffzig Fuß sey / so springet es auff und fletschet die Zän / als wollet es in / ohn Umbständ / zerreissen. Dan tuet man gut daran / ein DrittTeil von seim Arm und Bein / im zu vberlassen / worauf es von eym ablasset und sich niderleget. Dan aber steiget man / ohn sich lang zu bedencken / vber den Laib hinweg und findet das Thor / wol unversert / etliche Klafter tief / mitten in der Erden.

 

15.

Sein auf Zahlen, Daten, Fakten trainiertes Gedächtnis hält alles bereit. Er weiß, wie hoch sie sich gegenwärtig befinden, wieviel Meter sie absteigen müssten, um den tiefsten Punkt des Sattels zu erreichen, wo exakt die Ausläufer von Rebmann- und Ratzelgletscher beginnen und in welcher Höhe sie enden, weil darüber der nackte Fels und die zitternde Luft ihr perverses Spiel spielen, man könnte ihn nach dem durchschnittlichen Kraterdurchmesser ebenso fragen wie nach seiner größten Erstreckung, und keinen Augenblick würde er zögern, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Routen in freier Rede gegeneinander abzuwägen – vorausgesetzt, jemand fragte ihn, was aber nicht der Fall ist. Er ist nicht böse darüber, weil ihm die Abstinenz der anderen Gelegenheit bietet, einem am allgemeinen Zeitmangel kränkelnden Hobby zu frönen: dem Schweigen.

Er kennt die Neigung seiner Mitmenschen, Leerstellen im Gedächtnis und verworrene oder auch erst im Augenblick der Mitteilung sich verwirrende Erinnerungslinien durch phantastische Einfälle zu verdecken und zu ergänzen. Angesichts des Wustes auseinanderdriftender Informationen stehen die Chancen, damit durchzukommen, im allgemeinen nicht schlecht. Jedenfalls dürften sie erheblich höher sein als die, dem neutralen, durch kein Geflunker nachgebesserten Wissen Gehör zu verschaffen. Bernhards angeborene oder früh erworbene Höflichkeit gegenüber den Dingen verwehrt es ihm, an diesem Treiben teilzunehmen – ein unzeitgemäßer Zug, verstärkt und zum förmlichen Verbot erhoben durch einen Beruf, von dem er schon deshalb nicht behaupten könnte, er habe ihn gewählt, weil er, bevor er ihn auszuüben begann, nicht gewusst hatte, dass es ihn überhaupt gab. Daran war, für sich genommen, nichts Ungewöhnliches.

Trotzdem: hin und wieder beschäftigt ihn der Gedanke, was wohl aus jenem sehr persönlichen Zug geworden wäre, hätte er nicht eine Nische im wirklichen Leben gefunden. Nicht selten ertappt er sich in den letzten Jahren dabei, dass er aus einer Laune heraus Daten zu sammeln beginnt, einfach so, wie es scheint (doch er ist sich unsicher), auf eigene Faust und objektiv sinnlos, weil sie weder ihm noch seinen Auftraggebern in irgendeiner Weise von Nutzen sein werden. Gewiss gilt das auch in bezug auf diese Reise, die er persönlich, obwohl viel unterwegs, als Abwechslung empfindet und auf die er sich wie üblich durch die Lektüre von drei unterschiedlichen Travel Guides vorbereitet hat.

Dabei kann er sich diesmal nicht entfernt mit Dieter messen, der nun leider diesen unglücklichen Part zu spielen gezwungen ist, vermutlich nicht einmal mit Stefan, ihrem Flora- und Faunaspezialisten, aber eben doch nur auf Freizeitniveau, man merkt ihm den Mangel an exakter Schulung deutlich an. Zum Beispiel jetzt, da die unbestimmt kreisende Bewegung seines Feldstechers die Suche nach dem Außergewöhnlichen bezeugt. Kein methodisch verfahrender Beobachter würde sich so verhalten, es sei denn, er hätte Grund, sich gegenüber den Gefährten zu verstellen. Das wäre aber doch eine allzu abartige Hypothese, um ernsthaft in Betracht zu kommen.

Allein wer weiß. Stefan ist ein Mann der Heimlichkeiten, eine Schleiereule, wenn man ihn fragt, wenngleich der Vergleich etwas plump wirken könnte. Einer wie Stefan verfügt immer über mehrere Gründe, wenn er sich zu etwas entschließt. Dass er ein zweites Mal auf den Gipfel will, muss etwas bedeuten.

Auch wenn sich Bernhard für einen hält, den das Innenleben der Mitmenschen herzlich gleichgültig lässt, so verfügt er doch über eine leise Ahnung davon, was jener dort oben vorhaben könnte.

 

16.

Ist er nicht sanftmütig? Ist er nicht barmherzig?

Ist er nicht lauteren Herzens, was immer das heißen mag?

Zwar würde er nicht gerade die Backe hinhalten, dafür wären dann andere zuständig, keine Sympathieträger, wenn man ihn fragt, aber er hält sich da heraus.

No problem. Aber so leicht lässt sich eine christliche Erziehung nicht abschütteln. »Selig die Armen im Geiste« – mit diesem Spruch, der jede ihrer Ohrfeigen begleitete, hat Mutter eine feste Ideenverbindung geschaffen. Diese kleinen familiären Rituale machen das Dasein hell. Damals schon hat er klammheimlich (unter Tränen, wie es sich gehört) begriffen, was »Armut im Geiste« bedeutet, nämlich Freiheit – jedenfalls dann, wenn er, Stefan Dieter Bernhard, er wird doch wohl noch den eigenen Namen zusammenbekommen, mit seiner ganz persönlichen Auslegung richtig liegt.

Frei sein heißt unterwegs sein: pastorales Geschwätz. Frei sein heißt weg sein.

Natürlich meint er das nicht in irgendeinem äußerlichen Sinn, das wäre ja lächerlich, eher so etwas im Gefühl. Die Mitmenschen sind schließlich keine Fata Morgana. Tatsächlich gibt es sie, obwohl dieses merkwürdige »es«, das da gibt, wieder Zweifel wecken könnte. Auf jeden Fall stellen sie Ansprüche, die befriedigt sein wollen; am Ende zählen die Ansprüche. Natürlich fällt auch eine Menge Befriedigung für einen selber ab. Na ja. Hm. Aber aber: während man um sie herumwirbelt und ihnen, wenn es an der Zeit ist, auch einmal den Arsch wischt, muss man innerlich Abschied nehmen, ein ums andere Mal.

Alles tun, als sei es ein letztes Mal.

 

17.

Ist er sanftmütig? Ist er barmherzig?

Jedenfalls ist er davon überzeugt, dass niemand Grund hat, sich zu beklagen, er nicht und die anderen auch nicht. Er drängt sich keinem auf. Es gibt ihn eben. Und? Ist das ein Fehler? Und wenn, kann man ihn vermeiden? Das ist doch lächerlich.

 

18.

Was bedeutet es, einer Frau im Traum zu begegnen?
Frauenhaar verscheucht alle Schwierigkeiten.
Mit einer Frau schlafen bringt Glück
Mit einer verheirateten Frau schlafen bringt Unglück.
Eine Frau tragen bringt Bedrängnis.
Eine weibliche Brust verheißt ein langes Leben.
Eine tanzende Frau bedeutet Ehebruch.
Eine nackte Frau weissagt den Tod.
Das sind ja schöne Aussichten.

 

19.

Apropos Aussicht: Edward, der stumm und begehrlich versucht, die sich dem Auge magnetisch aufzwingende Hochebene in ein Bild zu fassen, das zugleich Sprache und Landschaft, Syntax und Wüste ist, wird durch unvermutete Schwierigkeiten zurückgeworfen. Einigermaßen sicher fühlt sich das Auge durch die spitzbrüstige Abfolge von Lava Hills (deren letzter durch einen rätselhaft dürftigen, von Bernhard mit einem leisen Augenzwinkern mitgeteilten Namen auffällt) in den Mittelgrund geleitet, ungefähr dorthin also, wo von Süden wie von Norden her über die Flanken helle, fast weiß schimmernde Zungen, bestehend aus einer ihm unbekannten Substanz, herauflecken, die wiederum ein Netz dunklerer Stege durchschneidet: eine Rätselzone, Vorbotin einer Welt, die ihm aus Träumen geläufig, in der Wirklichkeit hingegen völlig unzugänglich erscheint. Unzugänglich zumindest – diese Einschränkung sieht er sich nun vorzunehmen genötigt – für den wachen Verstand, denn dass er, koste es, was es wolle, in sie eindringen wird, daran regen sich nur noch leise, wie Sandwirbel vom Wind aufgefächerte Zweifel.

 

20.

Dass Werner sich abseits hält, hat Ursachen, die ihm in unterschiedlichen Graden bewusst sind. Einerseits hat die Wanderung durch die nasskalte Nebelwelt sein Körpergefühl weit zurückgeworfen; der wieder stille Teilhaber sammelt die Reserven, rekognosziert das Gelände und versucht zu ergründen, welche Absichten dem unvermuteten Ausbruch der Feind-seligkeiten und dem ebenso überraschenden Rückzug des Gegners zugrundelagen. Andererseits vermag er die Befriedigung über das Erreichte angesichts des nunmehr in seinen Gesichtskreis gerückten Doppelgipfels nicht unterdrücken.

21

Daneben beschäftigt ihn ein Gedanke, der seinen Aufstieg schattenhaft begleitet hat, ohne sich bisher zu materialisieren. Nun schlägt seine Stunde. Werner spürt es und geht ein paar Schritte ins Gelände, um sich und ihm das Geschäft zu erleichtern, vielleicht auch, um ihn ein wenig zu zerstreuen, wenn er erst einmal ins Dasein getreten sein wird, vor allem jedoch, um für die ununterbrochene Konzentration zu sorgen, die nötig ist, wenn ein Gedanke hervortreten soll. Zum erstenmal bemerkt er dankbar die Abwesenheit von Fliegen und ähnlichem Getier in diesen Höhen. Ein leichtes Ziehen, wie er es schon mehrfach empfunden hat, schärft seine Aufmerksamkeit, auch wenn es ihr keine bestimmte Richtung vorzuschreiben vermag. Das ist auch nicht nötig, denn ein Gedanke erhebt sich nicht aus der Richtung, aus der man ihn erwartet, sondern unversehens, aus einem selbst, es sei denn, es handle sich um einen Folgegedanken, der, da im Innersten unfrei, willig seinem Herrn und Meister nachstrebt. Hier strebt nichts, und Werner ist gewillt, diesen Zustand zu verteidigen, koste es, was es wolle.

Langsam, sehr allmählich regt sich der Schatten, nimmt erste Konturen an – es ist, um genau zu sein, die Form des Konditionalsatzes, die sich herausbildet: Wenn

Doch so schnell bewegt sich in diesen Höhen nichts, und so kehrt Werner in die kauernde Haltung zurück, aus der er gerade im Begriff war, sich aufzurichten. Zwischen schwärzlichem Geröll liegt es wie weiße Asche, sein abwesender Blick verwandelt es in ein körniges Gewimmel, richtungslos, ursprungslos, wenn

Und da geschieht es: Wenn dieses langsame, aber energische Vorrücken sie ebenso... Wie war das Wort?

Keines von denen, die sich jetzt aufdrängen, ist das Gemeinte. Das Gemeinte? Etwas treibt losgelassen im Hintergrund, immer wieder trübt sich das Bild, wenn ein Fisch mit schnellem Schwanzschlag das unbewegte Auge passiert, doch am Ende genügt ein klarer Moment –

– sicher über das bisher Erreichte hinausträgt, dass man eher Vorkehrungen treffen muss...

Vorkehrungen treffen? Wogegen? Wer soll sich in diesem blinden Spiegel erkennen? Dieser Gedanke ist kein Gedanke. Gut, dass er das jetzt erkennt. Er steht auf und schüttelt den Staub aus den Hosenbeinen. Der Wind nimmt ihn mit.

Aber halt. Das Spiel ist noch nicht zu Ende. Im Gegenteil, gerade jetzt, da er mit einem energischen Schnitt zur Tagesordnung zurückkehren möchte, Edwards Schlapphut zu einem kurzen Wortwechsel herausfordert, geschieht das Unausweichliche. Es krümmt ihn auf sich zurück, die Steinwüste verschwimmt, und wie unter den Händen des Masseurs, sobald der Druckpunkt lokalisiert ist und Erleichterung sich nach jäh aufloderndem Schmerz in Wellen Bahn bricht, so bewegt sich der Satz, derselbe Satz (er ist es!), er bewegt sich...

Wenn dieses langsame, aber energische Vorrücken sie ebenso gewiss über das bisher Erreichte hinausträgt, dass man eher Vorkehrungen für den Notfall treffen muss, wenn alles ganz schnell geht und es darauf ankommt, heil nach unten zu kommen und nicht, das Erreichte zu sichern –

Es ist zuviel. Was da emporsteigt und in Schüben abgeht, dazu bestimmt, breit zu verströmen, muss in seinen wechselnden Bestandteilen, die aus ganz unterschiedlichen Tiefen stammen, an die Oberfläche gelangen, Oberfläche werden, und sei es nur, um abzukühlen und sich dem ruhigen Fluss des Gegebenen einzufügen oder anzuvertrauen.

Es ist der Königsgedanke, er spürt es. Das Erreichte sichern – woran sollte ihn das erinnern? Diese Bergsteigermetaphern machen ihn ganz konfus. Etwas ist falsch, er weiß es, aber es zeigt sich nicht. Beide wissen sie es, sein Wissen und er. Was trennt sie? Was hält sie auseinander? Das Wissen und er. Der Doppelgipfel. Die unvermuteten Ausbrüche. Das umgürtete Ego. Oder doch schon geborsten? Er will es nicht hoffen. Er oder das Wissen.

Scheitert er? Ist die Höhe zuviel für ihn? Büßt er seine Beweglichkeit ein? Das wäre schade, gerade jetzt, da alles zum Greifen nahe gerückt ist. Rückzug! Man wird es erneut versuchen.

Soeben aus der Traumwelt zurückgekehrt, spricht Stefan einen seiner Wahrsätze.

»Ich glaube, Dieter geht mit.«

 

22.

Wolfgang kostet die Wonnen des Abstiegs. Mühsam erst, dann in immer breiterem Fluss bricht die Jubellava sich Bahn, treibt Jubelbäumchen in die zitternde Nachmittagsluft, schiebt und drängt vereint mit anderen Jubelrinnsalen talwärts, letztere eher ungewisser Herkunft, der nachzuforschen er keinerlei Gelegenheit findet, weil er eingehüllt ist in dieses flutende Glück, von dessen Möglichkeit er bisher nicht die leiseste Ahnung hatte.

Nicht dass die Sache ausgestanden wäre; so ist es nicht. Jeder Schritt in die Tiefe gibt ihm das Quentchen Lebensgefühl zurück, das sein aufwärts gerichteter Vorgänger ihn gekostet hat. Viele Quentchen sind ihm auf diese Weise abhanden gekommen, entsprechend zieht sich die Rückeroberung in die Länge. Aber der Feind ist besiegt, und wenn er auch noch den größten Teil des eroberten Territoriums besetzt hält, so vermischt sich doch das Glücksgefühl des Siegers mit der Rührung über jeden genommenen Weiler und jeden Dorfbrunnen, dessen sprudelnde Wiederkehr die bereits im Sinken begriffene Erwartung erneut nach vorne drängt. Was besagt schon das Morgen angesichts dieser unwahrscheinlichen Frucht, der Frucht der Umkehr:

– sich gehen lassen, mit dem ruckhaften Knicken des Knies, dem polternden Aufschlag des Bergschuhs, in dem die Zehen den Takt gegen das Leder hämmern, hier und da auf Geröll ins Rutschen geratend, dann wieder festen Grund fassend und weiter, tiefer, tiefer, hinein in das Wolkengewabere und ‑gehexe, den Braukessel, in dem man den Anorak schließt und die Kapuze über den Kopf zieht, weil es zu nieseln, zu rieseln, zu stürzen beginnt, abwärts, man selbst, der Regen, die Rinnsale, der auf der Brühe treibende Staub, rötlich, mit schwarzen, sich verbreiternden Tupfen, die sich, umkippend, in weite nässende Flächen verwandeln, denen man am besten aus dem Weg geht, aber wie aus dem Weg gehen, da es abwärts geht?

Vorbei an streitbaren Fackellilien, an verflochtenen Flechten, an stationären Springkräutern und munteren Moosbällchen, die es vorziehen, auf dem verwitterten Boden dahinzurollen, immer auf der Suche nach einer Feuchtstelle oder eine Pfütze, um ihren Wasserbedarf zu stillen – auch er hat Stefans Belehrungen aufmerksam gelauscht –: da liegen sie, saugen sich voll, gierig oder einfach träge nach dem Stress der letzten Tage, vorbei, er wird ihnen ein Andenken widmen, wenn alles vorüber ist, draußen, in der Ebene, nur nicht jetzt, nicht jetzt.

 

23.

Dieter sitzt auf den Stufen zur Hütte, lässig die Windjacke übergehängt, die Riemchen der Bundhose lose baumelnd, er sieht ernst aus und sehr sehr ruhig. Ansatzweise hebt er den Kopf, so, als müsse er ihn aus einer Arretierung lösen, und dreht ihn zur Seite. Er hält ihn nicht fest, er lässt ihn pendeln. Den Blick heftet er auf die Rückseite der vor ihm stehenden, etwas tiefer gelegenen Hütte. Manchmal lässt er ihn zu der Apothekerin aus dem Badischen hinüberschwingen, mit der er sich seit einer Stunde angeregt unterhält. Sie ist neu eingetroffen und sich der Risiken, die der Berg bietet, wohl bewusst. Dieter weiß nicht, was er im stillen mehr bewundert: ihr frisches Gesicht mit den etwas vorstehenden Zähnen oder den gut sortierten Arzneivorrat, den sie bei sich führt. Letzterer jedenfalls hat ihm ein grinsendes »great« entrissen; der Weltmann ist wieder erwacht.

Als die anderen eintreffen, langen, unkontrollierten Schritts, der mehr über ihren Ausflug aussagt als die etwas breiigen Gesichter, ist er mit der eifrigen Nachbarin gerade einig geworden. Er braucht

(a) ein durchgreifendes Entwässerungsmittel, das sie ebenso zufällig wie absichtslos bei sich führt,

(b) ein Herz-Kreislaufpräparat, wie es bei Operationen zum Einsatz kommt, um der Herzrhythmusstörungen Herr zu werden, die das Entwässerungsmittel aller Voraussicht nach auslösen wird.

Auch dieses Präparat, wer hätte daran gezweifelt, findet sich wohlverwahrt in dem weitverzweigten Taschensystem, als das sich das Innere ihres Rucksacks beim unverzüglich wahrgenommenen Ortstermin entpuppt.

 

24.

Bernhard wirft einen Stein in die wiedererblaute Weite, ungefähr in die Richtung, in der ein Adler über dem nächsttieferen Höhenzug kreist. Edward beobachtet beide: den fallenden Stein und den Adler im Aufwind.

»Verzeih, aber man kommt nicht von der Literatur.

Man kommt von der Wissenschaft und scheitert an ihr; dieses Auflodern und Verglühen ist die Literatur.«

»Wenn das wahr ist, dann sind die meisten nicht weit gekommen.«

»Du meinst, sie haben kaum studiert. Davon rede ich nicht. In Wirklichkeit gibt es zwei Literaturen. Die zweite kommt vom Zirkus; man sollte das trennen.

»Das geschieht aber selten.«

»Die Verwechslung ernährt ihre Urheber.«

»Du meinst also...«

»Clown oder Renegat. Tertium non datur.«

Wenige Meter entfernt schnürt die Elfin durchs Gelände.

 

25.

Unter dem Vordach der Gemeinschaftshütte, umspielt vom Licht der untergehenden Sonne, ruht ein Mann. Er ist noch jung. Er trägt die übliche Bergsteigerkluft, der Anorak ist ihm von der Schulter gerutscht und klemmt zwischen Rücken und Lehne; ein Zipfel baumelt eine Handbreit über dem Bretterboden. Die Bohlen sind durch zentimeterbreite Spalte voneinander entfernt, so dass man bequem den felsigen Untergrund nach entfallenen Wertsachen absuchen kann. Auch dem jungen Mann ist etwas entfallen, aber da unten sucht er es nicht. Um genau zu sein: er sucht nicht, weder unten noch oben, weder vor noch hinter sich, weder außen noch innen. Er sitzt auf der hölzernen Bank, ein Bein lang von sich gestreckt, das andere angezogen und seitwärts gekippt. Die eine Hand umklammert ein Glas, ihr Ballen ruht auf der Tischplatte, die andere Hand liegt auf dem Oberschenkel, weil sie dort zufällig auf einen Widerstand traf; so wie sie daliegt, könnte sie leicht ins Bodenlose fallen.

Lippen besitzt der junge Mann nicht; jedenfalls nichts, was diese Bezeichnung verdiente. Weiße, von leichten Bartstoppeln durchsetzte Haut, die zur Öffnung hin einen leichten Blaustich aufweist, umgibt den Mund. Er ist nicht geschlossen, er ist nicht geöffnet, ebensowenig wie die Augen, um die tiefe Schatten sich winkeln. Die Gestalt erinnert an eine Krippenfigur, von plumper Hand nachlässig abgestellt.

Werner, Stefan und Edward gehen vorbei.

Stefan, aufmerksam wie stets, lenkt ihre Blicke.

Edward wird übel.

»Ich finde, der Mann gehört auf dem schnellsten Weg in ein Krankenhaus.«

»Nein«, sagt Stefan, »der Mann ist glücklich.«

»Du meinst, er war oben?«

»Der war oben.«

 

26.

Werner und Edward plaudern mit dem Führer.

»Wie wird man Führer?«

»O, das ist nicht einfach.«

»Das glaube ich Ihnen.«

»Ich erkläre es Ihnen gern. Zunächst einmal ist man Träger.«

»Wie gedacht.«

»Wie meinen Sie? Also man ist eine ganze Weile Träger. Zwei, drei Jahre, es können aber auch fünf oder sechs sein. Man trägt alle Arten von Lasten, bis man sich auskennt. Dann, eines Tages, wird man gefragt, ob man sich vorstellen könne, ein Führer zu werden.«

»Will das nicht jeder?«

»O, nur die Besten werden gefragt.«

»Woran erkennt man die Besten?«

»Ach, an diesem und jedem. Man sieht das an den Gesichtern, aber vor allem an der Art, wie sich einer bewegt.«

»Sie hat man ausgewählt?«

»Ich hoffe, bisher hat das niemand bedauert.«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Was geschieht dann?«

»Dann kommt die Ausbildung.«

»Wie? Man wird zum Führer ausgebildet?«

»Selbstverständlich.«

»Wie lange dauert die Ausbildung?«

»Alles in allem ein Jahr.«

»Ist das lang oder kurz?«

»O, man hat zu tun.«

»Was hat man Ihnen beigebracht?«

»O, erst einmal die Strecken.«

»Das dachte ich mir. Was sonst?«

»Den Umgang mit den Kunden. Führer sein ist ein sehr verantwortungsvoller Beruf. Ich habe gelernt, wie man eine Unterhaltung führt. Ich weiß, wann ich zu reden und wann ich zu schweigen habe.«

»Wissen die Kunden das auch?«

»Wie bitte?«

»Worüber lernen Sie sich zu unterhalten?«

»Ich kenne alle Tiere und Pflanzen, denen man am Berg begegnen kann. Die Kunden schätzen das.«

»Haben Sie medizinische Kenntnisse?«

»Ach, Sie meinen die Todesfälle? Ja, darin sind wir ausgebildet.«

»Passiert denn viel?«

»Nein nein, da kann ich Sie beruhigen. Nicht mehr als vier- oder fünfmal im Jahr. Das ist normal.«

»Sie meinen Todesfälle?«

»O sicher. Nichts Ernsthaftes.«

»Und wenn das Jahr um ist, dann sind Sie ein Führer?«

»Dann kommt die Prüfung.«

»Sie sind ein geprüfter Führer?«

»Jeder Führer ist geprüft.«

»Fallen denn welche durch?«

»Das kommt vor. Aber es ist sehr sehr schlecht für sie.«

»Warum? Müssen sie dann noch ein Jahr büffeln?«

»Nein. Sie haben ihre Chance vertan und bleiben Träger.«

»Es gibt keinen zweiten Anlauf?«

»Niemals.«

»Aber warum?«

»Das ist so.«

»Finden Sie das in Ordnung?«

»Ich finde es schwierig. Wenn Sie erlauben, würde ich mich jetzt gern zurückziehen.«

»O, gehen Sie ruhig.«

»Ich danke Ihnen. Au revoir.«

»Das war Französisch.«

»Es tut mir leid. Würden Sie mich entschuldigen?«

»Aber mit Vergnügen. Arrivederci.«

»Danke sehr, danke sehr.«

 

27.

»Es gibt nur zwei Arten, wie einer dort oben abkratzen kann«, knurrte Stefan mit wegwerfender Gebärde, »Lungenembolie oder Höhenkrankheit. Heute habe ich gehört, der letzte soll von einem Felsen gefallen sein. Das wäre dann die dritte Möglichkeit.« Spuckte übers Geländer und verschwand in der Dunkelheit.

 

28.

Halb im Schatten versteckt, hockten zwei Träger auf dem Boden und starrten in ein nicht vorhandenes Kaminfeuer. Dann und wann huschte der Widerschein einer aufzüngelnden Flamme – ein Scheit mochte zusammengebrochen sein und ein neues Epizentrum geschaffen haben – über eins der Gesichter, ein Strahl vielleicht aus der Vergangenheit, vielleicht aus der Zukunft. Edward, dem vor der Nacht graute, lud sie zum Bier ein. Einer der beiden erbot sich, ein paar Flaschen zu holen.

Über den Köpfen hing das Bild des großen Staatsmanns; der schwarze Rahmen kratzte am Gebälk.

»Bad guy«, sagte Edward, um irgendetwas zu sagen, und deutete mit dem Daumen nach oben.

»That is true«, strahlte der Jüngere. »He’s a bad guy. You know him?«

»Nein. Was macht er falsch?«

»Nichts. Er gehört zum falschen Stamm. So we have a problem.«

»Schlimm?«

»Sehr schlimm.«

»Wie lange geht ihr schon auf den Berg?«

Der Ältere ließ ein paar schlechte Zähne sehen. »Ich vierzehn, er sieben.«

»Jahre?«

»Jahre.«

»Würdet ihr nicht auch mal verreisen wollen?«

»Verreisen?«

»Vielleicht nach Amerika? Vielleicht nach England?«

»We don’t like English. You come?«

Edward versucht sich zu erinnern. Das Auge des Jungen blitzt.

»That’s good. Very very good. Want you write an invitation? Now? It’s very easy. I help you.«

Dämpfen. Erst einmal dämpfen.

»Pah«, begütigt der Alte. »das ist schlimm hier. Die halten uns wie die Schweine.«

Edward dankt ihm im stillen.

Als er wenig später sein Lager aufsucht, fasst er an etwas in sich Zusammengelegtes, Weiches. Von der Berührung aufgeschreckt, huscht es elfinnenhaft an ihm vorbei und bettet sich, wie zu bemerken er nicht umhinkommt, auf Stefans Lager.

 

29.

Wie auf einer Reise, wenn dein Schiff vor Anker gegangen ist und du an Land gehst, um frisches Wasser zu bekommen, du vielleicht einen kleinen Krebs oder eine Zwiebel am Wegrand aufliest, deine Aufmerksamkeit dabei aber stets auf das Schiff gerichtet bleibt, und du dich häufig umdrehst, aus Angst, die Schiffsglocke könne läuten – und, wenn sie läutet, du all diese Dinge aufgeben musst, wenn du nicht wie Vieh gebunden an Bord geworfen werden willst –, so geht es auch im Leben: falls dir, anstelle von Krebs oder Zwiebel, Frau und Kind gegeben worden sind, so spricht nichts dagegen: aber sobald die Schiffsglocke läutet, lass alles fahren und begib dich aufs Schiff, ohne einen Blick zurück zu werfen.

 

Notizen für den schweigenden Leser

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