Wie es Intellektuelle gibt, die instinktiv der Macht zuneigen, so andere, die ihren Lockungen instinktiv widerstehen: viel Instinkt für diese kurze Strecke, auf der viel Volk unterwegs ist. Was hier ›Instinkt‹ heißt, deuten tiefenpsychologisch Versierte reflexhaft als Wiederkehr einer kindlichen Situation im Alltagsleben: der renitente Sohn, die leidenschaftlich aufbegehrende Tochter regen sich im Erwachsenen, und zwar dort, wo sie, rein rechnerisch, den geringsten Schaden anrichten können, in der Gesinnung. Wobei das Verdienst des Aufbegehrens in den flutenden, sich zusehends anonymisierenden Machtverhältnissen der Moderne enorme Zuwächse verzeichnet: Es ist zu einem Selbststeuerungselement der Gesellschaft herangewachsen, ohne dessen Einsatz sie in unschöner Regelmäßigkeit entgleist. Gesellschaft in diesem Sinn schließt die Wirklichkeit des Staates einfach ein. So weit ist es mit ihm gekommen, seit Hegel ihn einst definierte als »der sittliche Geist, als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das, was er weiß und insofern er es weiß, vollführt«. Damit ein solcher Geist entstehen und sich durchhalten kann, braucht es nicht allein Regierende und Regierte, es braucht Staats-Bürger, Menschen also, welche Rechenschaft vom Staat fordern – von den ausführenden und lenkenden Organen ohnehin, darüber hinaus aber von ihm als Ganzem: allzeit agile Wächter über die Einhaltung seiner von Verfassung, Sitte und Moral gezogenen Grenzen und – man höre und staune! – seine Verwendung. Ganz recht, der moderne Staat hat sich, bei eher magerer sittlicher Substanz, als eine äußerst praktische Vielzweckwaffe erwiesen und die Frage, wer sich ihrer in welcher Ungeniertheit bedient, bleibt nach der welthistorischen Pleite des Sozialismus weiterhin, manche werden sagen: erst recht, ›ein heißes Thema‹. Für den juristischen Hagestolz, der die Hegelsche Formel nach wie vor für das Nonplusultra des politischen Denkens hält, sind das natürlich unsinnige Unterstellungen. Sagen wir: dieser Hegel schmeckt nach Parlamentspräsidenten-Ideologie und taugt hauptsächlich zur Legitimierung von Ordnungsrufen. – Jene von Haus aus machtgeneigten Intellektuellen, sie sind ja nicht schlecht, sie sind nur, sie meinen bloß, sie haben den Eindruck … sie fühlen sich eine Spur zu wohl in der Aura der Macht. Sie folgen dem Wunsch, jemand zu sein, sie wünschen sehnlich, in der Hierarchie der Auserwählten den ihnen gebührenden Platz einzunehmen und nicht in den Fluten des gesellschaftlichen Lebens zu treiben und zu verdämmern, obwohl gerade das ihr Los ist. Das größere Rätsel bieten die von Haus aus Widerstehenden, sofern sich ihr Problem nicht auf einen widerspenstigen Charakter reduziert. Selten geht ihr Abscheu vor der Hierarchie der dienstbaren Geister so weit, ihr die Anerkennung zu verweigern. Sie bringen bloß, auf einen einfachen Nenner gebracht, ihre Leute mit. Dieser Geschmack zugunsten der Leute, also desjenigen Teils der Bevölkerung, der vor allem sein Leben leben möchte und aufbegehrt, wenn die Macht ihm ans Leder, sprich: sein Leben geht, darf demokratisch-plebejisch genannt werden, auch wenn die eigene Lebensführung davon völlig abweicht. Er enthält, immerhin, eine Ahnung des Sachverhalts, dass Intellektuelle zwar nicht gewählt werden, aber auf ihre Weise Stellvertreter sind: der Menschengeist, der so viele Privilegien schafft, ist Menschheits-Eigentum und will als solches behandelt werden.