Der Mensch ist das Tier, das Gott hat. Tiere sind Manifeste des Pantheismus: lückenlos eingeschlossen in ihre Umwelt (›wie die Mücke im Bernstein‹) scheint ihr Leben – nach menschlichen Begriffen – eher göttlich als menschlich. Gott ist die zweite Umwelt des Menschen im Menschen. Bei allen Ideen, die der Gottesglaube hervorgetrieben hat: Gott ist keine Idee. Gott ist die Instanz, die Umwelt in Welt verwandelt.

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Der Raum bietet Rätsel (die gelöst werden wollen), die Zeit ist ein (will sagen: das) Mysterium. Alles tierische Leben vollzieht sich im Raum, der Mensch hat Zeit. Anders gesagt, er existiert in Zeit und Raum, insofern er Zeit hat. So wie Raum nur vorhanden ist, weil es Zeit gibt, so existiert der Mensch nur, soweit es Gott gibt.

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Alle Ordnung ist räumlich, das heißt, sie appelliert (ganz ungeniert oder aus dem Hintergrund) ans räumliche Vorstellungsvermögen. Wenn die gescheiterte Kritik des Vorrangs der Anschauung in der ›abendländischen‹ Metaphysik etwas gelehrt hat, dann die offenbare Tatsache, dass das Vertrauen in Symmetrien und Gleichungen auf optischen Gegebenheiten aufruht, also letztlich auf der Verteilung von Körpern im Raum.

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Das ist einer der Gründe, aus denen der ‹Gott im Gehirn‹ aus jedem Ordnungszerfall hervorgeht, als ginge sie ihn letztlich nichts an (wo doch jede Ordnung eine Ordnung ›in Gott‹ ist). Jenseits von Aufbau und Zerstörung … die kulturabgewandte Seite der Religionen weiß sich im Bund mit der Dauer. ›Dauer‹ ist einer der Namen des Heiligen. »Gott hat Zeit«, sagen die Vertreter eines anthropomorphen Gottesbildes, aber das ist falsch. Der Mensch hat Zeit, Gott gibt.

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Was heißt ›in der Zeit leben‹? Was heißt es, ›seine Zeit zu versäumen‹? Wer ›keine Zeit‹ hat, der, so versichern die Weisen, versäumt seine Zeit. Er sei ein Sklave der Zeit, das heißt, ein Ausgelieferter. Warum so emphatisch? Jeder hat, auf die eine oder andere Weise, aus dem einen oder anderen Anlass, keine Zeit, das heißt, jeder ist ausgeliefert. Die Zeit, nein, das In-der-Zeit-Sein spaltet den ganzen Menschen in einen, der Zeit hat und einen, der keine Zeit hat. Genauer: Im Keine-Zeit-Haben ist das Zeit-Haben mit enthalten. Jeder hat Zeit. Zu sagen, sie sei ihm zugemessen, ist einer der vielen Versuche, Bewusstsein von einer externen Quelle her zu bestimmen, einem Bewusstsein dort draußen.

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Tiergötter stehen am Anfang der menschlichen Frömmigkeit. Das Bedürfnis, sich von dem, was den Raum der Vorstellung öffnet, ein Bild zu machen, ist ungeheuer. Es spiegelt den Riss, der mit dem Aufgang des Bewusstseins durch die Tierwelt geht, und – scheinbar – gestopft werden will. Die primae poetae sind Theologen ohne Theologie. Ihre späten Nachfahren tummeln sich in Chemielabors und Genforschungszentren. Die Tatsache ist bekannt, aber sie verblüfft, wie alles Menschliche, immer wieder.

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Dass der Dekonstruktivismus versuchen musste, den Menschen zu dekonstruieren, versteht sich von selbst. Anders bekommt man ihn einfach nicht in die Hand. Jeder, dem sich beim Menschen zuerst die Machtfrage stellt, muss Bewusstsein für eine formbare Materie halten. So viele Bewusstseine, so viele Menschen. Die Pluralisierung des Menschlichen erinnert an die Phase der Tiergötter, der Götter für jeden Zweck: sie entspricht im Kern dem magischen Weltbild, in dem das gesprochene Wort die Welt der Dinge bewegt – nach Belieben, aber nur, soweit das Brimborium trägt. Natürlich gelingt auch dieser Versuch nur scheinbar. Er produziert Schein. Immerhin hat er einen Teil des akademischen Betriebs vorübergehend in ein Schmierentheater verwandelt. Soviel Erfolg muss Gründe haben.

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Die Kette der konstruktiven Versuche, Bewusstsein zu erklären – Pumpe, Dampfmaschine, Elektrizitätswerk, Computer, Turingmaschine, KI etc. –, gleicht einer Liste von Deklarationen des Bewusstseins, es sei etwas anderes als es selbst. Das ruft die Erinnerung an das ›Nichtandere‹ des Nikolaus von Kues wach, eine der vielen Formeln, die sich im Lauf der Theologiegeschichte für das Unnennbare eingefunden haben. Die klügeren Vertreter des Konstruktivismus als einer der theoretischen Weisen, ohne Gott auszukommen, verstehen sehr wohl, dass jede Objektivierung den Gott erschafft, der, nach ihrem erklärten Willen, um keinen Preis ins Spiel kommen darf. Es soll aber ein anderer sein. Es handelt sich demnach um Heterotheismus.

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