Wir haben die freie, deliberative Rede unter den Primat der ›Fakten‹ gestellt. Wie konnte das geschehen? Nun, beginnen wir mit dem ›wir‹. Die freie, deliberative Rede kommt aus keinem Wir, sie verdankt sich dem Ich. Solange ich nicht sage, wie ich die Dinge sehe, bleibt alle Rede ein unfreies, anonymes Geschehen, ich mag meinen Namen voranstellen, wie ich will. Kein Problem, sagt das Mundstück des Wir, ich halte mich an die Fakten. Was ist schlecht an den Fakten? Fakten regieren die Welt. Sie sind genau das, was ist und daher am Ende zählt. Jemand kann dagegenhalten, Fakten würden, wie der Ausdruck bereits lehrt, ›fabriziert‹, sie seien keineswegs der Stoff, aus dem die Welt besteht, schon gar nicht ungefiltert oder unzensiert. Ganz im Gegenteil: gerade sie seien das Produkt subtiler, vielfach auch grober Filterungsprozesse, in bestimmten Bereichen ›Wissenschaft‹ genannt, doch die Mehrzahl der Prozesse bleibt namenlos. Nichts ist der Öffentlichkeit geläufiger als die Verwechslung von Faktum und Ereignis. Etwas ist geschehen und das ist Fakt. Weit gefehlt: erst die Frage nach dem, was da genau geschehen sein mag, führt auf die Fakten, das heißt ins Gestrüpp der Hypothesen, die, je nachdem, ob sie belegt werden können oder nicht, als Fakten durchgehen oder als ›unbewiesene Theorien‹, in der Sprache der medialen Grobschmiede gern ›Verschwörungstheorien‹ genannt, jedenfalls dann, wenn die Frage nach den möglichen Urhebern dabei eine gewisse Rolle spielt. Aber wie das mit den Belegen so geht: weniges davon taugt als Beweis, das Wort in einer gewissen Strenge genommen, das Meiste fällt unter die Rubrik ›Leuchtet ein‹. Was genau leuchtet ein? Dem einen dies, dem anderen das. Das eben ist das Kennzeichen aller Meinung. Meine Meinung ist nicht meine, sondern das Stück allgemeiner Rede, mit dem sich mein Drang, es besser wissen zu wollen als der uninformierte Nachbar, zufriedengibt. Das ist dann ›Fakt‹. »Corona ist keine Grippe. Corona ist eine Pandemie.« Es lebe die unbegriffene Differenz.

Wenn ich aber beschließe, die Dinge für mich im Fluss zu halten und den Prozess des Erwägens in Gang zu halten, jedenfalls solange, bis meine Kapazitäten im gegebenen Fall erschöpft sind, ohne der aberwitzigen, aber alltäglichen Vorstellung anzuhängen, mich für die Fabrikationen der einen oder anderen Seite entscheiden zu müssen, dann treibt mich das im trüben Fall in die Indifferenz (»Ich weiß nicht, können wir nicht das Thema wechseln?«), im besseren in jenen Zustand leidenschaftlichen Urteilens, durch den sich der orientierte Mensch vom desorientierten unterscheidet, der sich für orientiert hält, obwohl man ihn vielleicht besser ›meinungsdurchtränkt‹ nennen sollte. Die Frage ist: Wohin führt dieser Zustand? An den Pranger? Das wirft dann die nächste Frage auf: Wo leben wir eigentlich?