An die abgesprungenen Linken, die jetzt ins konservative Lager hetzen, weil sie den Genossen Trend dort vermuten: An eurem unter Geschichtsgirlanden verborgenen Antiliberalismus soll man euch erkennen. Wer unter der Maske des Konservatismus den radikalen Umbau der Gesellschaft fordert, der hält sich nicht lange mit dem Instinkt-Konservatismus der Vielen auf, der auf die mühselige Bewahrung des Erreichten aus ist – sich übrigens weniger dem abstrakten Bewahren- oder Festhaltenwollen als der Sorge um die Bedingungen verdankt, unter denen das konkrete je eigene Leben und das derer, die einem teuer sind, zum Beispiel der Kinder und Kindeskinder, möglich erscheint, also um die ›Umwelt‹ in ihrer frühen, noch weitgehend ideologiefrei gedachten Bedeutung: den scharfen Konservativen erkennt man daran, dass all diese Menschen von nebenan ihm nur als Spielformen des letzten Menschen, des Zivilisationsversehrten und Kulturkretins erscheinen. Nirgendwo löst sich der Schatten des Radikalismus so sehr ins Komische auf wie in der Forderung, sie sollten gefälligst zum Glauben zurückfinden, diese Mitmenschen, dabei glauben sie doch bereits alles Mögliche und gehen bereitwillig auf jeden neuen Glaubensvorschlag ein. Sie glauben auch gern, dass ihre Mitwelt im Unglauben versinkt: dies glaubend, fühlen sie sich bereits zur Hälfte gerettet. Sie glauben zu glauben, wobei sie glauben, dass sie in Sachen Glauben noch mehr leisten könnten, wenn sie sich nur gehörig anstrengen würden. Währenddessen glauben sie der Apothekerzeitung, dass dieses oder jenes Medikament gegen ihre Gebrechen hilft, sie glauben den nach Schnittmustern gefertigten Märchen, die sich um jedes öffentliche Ereignis ranken, sie glauben unbedingt, der amerikanische Präsident sei ein Spucknapf, in den man tagaus tagein seinen Gedankenrotz leeren könne, sie glauben etwas zu glauben, wenn sie das Mantra nachbeten, ›Europa‹ sei ihre Zukunft, so wie sie ohne zu zögern glauben, dass ›Europa‹ dazu da sei, sie über den Tisch zu ziehen und dass dieses Europa der Untergang Europas sei, das alles glauben sie übrigens unbesehen – wem? Den Linken, den abgesprungenen Linken und den Konservativen neu-alter Schule, die sich den Untergang des Abendlandes privat mit einer Millionenvilla oder einer künstlichen Hüfte erleichtern – es reicht aber nicht, folgt man dem Ansinnen der abgesprungenen Linken, der Heiligen Europas der Letzten Tage, jetzt sollen sie noch an die unbefleckte Empfängnis und den Stall von Bethlehem glauben, und zwar fester denn je, denn: Europa ist in Gefahr. Nein, es ist nicht in Gefahr, dazu müsste es existieren. Es existiert aber nicht, es hat bereits aufgehört zu existieren, jedenfalls den losen Reden seiner Erweckungsprediger zufolge, es wird liquidiert, aus der Auflösungsmasse zieht man das eine oder andere gute Stück und empfiehlt seinen Ankauf.