Woher die enorme Macht des Verlierers über den Sieger? Sie liegt, wie oft gesagt wurde, in der Sorglosigkeit des Siegers, soll heißen in dem, was ihn als Sieger erst auszeichnet: seinem Großmut. Wer dem, der im Staub liegt, nicht die Hand bietet, der ist es wert, über kurz oder lang selbst Staub zu fressen: das war lange Zeit die Maxime Europas, was nicht bedeutet, dass es sich stets daran gehalten hätte. Die Niederlage hingegen macht rachsüchtig und lernfähig: eine brisante Mischung, die umso rascher zum Erfolg führt, je lernunwilliger sich der Verlierer in der Vergangenheit zeigte. Das verborgene Schema in dieser Deutung (die vieles für sich hat) ist die Personifikation. Der Sieg erzeugt aber weder den Sieger noch den Besiegten, er erzeugt viele Sieger, die abkassieren, und viele Besiegte, die der Ungunst der Lage ihre Chance abluchsen wollen. Soll heißen: der Sieg zeigt sich, nach dem Verrauschen der Feierlichkeiten, eher in den Verhältnissen als in den Personen. Sitzen die Besiegten erst mit am Tisch, können sie sich ruhig auch zu den Siegern zählen. Es erleichtert vieles und stört im Grunde wenige. Das gilt erst recht in Zeiten, in denen das Volk per se auf der Seite der Sieger sitzt, auf die es seinem innersten Wesen nach schon immer gehörte. Und wer könnte mehr Volk sein als diejenigen, die es gestern schon repräsentierten? So brauchte die SED nur die Namen zu wechseln, um auf allen Kanälen Liebkind zu sein und geduldig darauf zu warten, dass der öffentliche Druck auf die staatstragenden Parteien, das Fraternisierungsverbot zu lockern und schließlich ganz aufzugeben, steigen würde. Heute ist die ›ehemalige‹ DDR ein Bestandteil der allgemeinen Popkultur und ihr gesellschaftlicher Einfluss übersteigt die Zahl der Stimmen am Wahlsonntag um ein Vielfaches. Der Sog des untergegangenen Staatswesens wächst im Quadrat der einst vorenthaltenen Anerkennung; das Denunzieren und Weghabenwollen noch des Kabarettisten, der, wie immer, bloß seine verfassungsmäßigen Rechte in Anspruch nimmt, gibt mehr von der Vergangenheit preis, als ihre Harmlosredner jemals begreifen werden, zu denen sich mittlerweile auch der eine oder andere orientierungslos gewordene Drachentöter gesellt hat. Das Beste von allem: der Staat, der auf Grund seiner überbordenden Wirtschaftskraft das Rennen der Systeme für sich entscheiden konnte, wird heute von Leuten ›bespielt‹, deren Kenntnis ökonomischer Prozesse sich in Träumen vom Großen Übergang spiegelt, schmackhaft gemacht mit ein paar apokalyptischen Bonbons aus der Westentasche einer Zubringerwissenschaft, die gern Herrenwissen generierte und und doch nur der Herrschaftssuada Stichworte liefert. Dabei wechselt der Weltuntergang mit dem Wetter: Standen gestern die Zeugen des menschengemachten Klimawandels im Türrahmen, läuten heute die Coronistas Sturm, während die kurzfristig abgeschlagenen Europaretter sich mit dem Füllhorn ins Abseits drücken, dessen Ausgießung nun einmal beschlossene Sache ist, weil dadurch die allseits gewünschte Gemeinsamkeit wächst. Mehr braucht’s nicht, um das Volk auf den Sieg aller einzuschwören, in dem auf die Verfassung pfeift, wer auf Waldesdunkelheit in den Köpfen setzt.

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