Bei politischen Systemen kommt es darauf an, wie und wodurch sie installiert wurden: das verrät nicht nur eine ganze Menge über ihr übliches Procedere, es gibt auch Antwort auf die Frage, worauf es bei ihnen letztlich ankommt. Ein Despot, der seinem Regiment ein demokratisches Mäntelchen umhängt, um an Entwicklungsgelder und andere goodies der Weltgesellschaft zu kommen, wird es immer so einzurichten wissen, dass er bei aller sogenannten Kontrolle in Entscheidungen von Belang das Sagen behält und die Gefahr einer Abwahl sich in engen, notfalls korrigierbaren Grenzen hält. Wenn er dann kippt, weil die Zeiten sich ändern und jeder Despot irgendwann kippt, dann sieht es so aus, als habe die Demokratie gesiegt und sein Nachfolger sei ihr erster würdiger Vertreter an der Spitze des Staates. Es sieht so aus, und wenn er klug ist, wird er den nützlichen Schein nicht antasten, der ihm in der Weltöffentlichkeit ebenso hilft wie an den heimischen Wahlurnen, aber sein Regierungsstil wird, jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle, unauffällig ins alte autoritäre Gleis zurückgleiten: Man nennt das Korruption, aber es handelt sich um die politische Kultur des Landes und eine andere besitzt sie nicht. Ein System der erkämpften Bürgerrechte, wie es die klassischen europäischen Demokratien vorweisen können, muss durch viele Stürme der Reaktion gehen, um einen dauerhaft wirksamen Kern auszubilden, der auch extremen Belastungen standhält. Hingegen muss die von Siegermächten verhängte Demokratie eines Landes von den Bürgern symbolisch ein zweites Mal erkämpft werden, um als wirkliche Demokratie und nicht bloß formales, als Fremdsystem abgelehntes Procedere aufzuspielen: das setzt historisch gewachsenes Bürgerbewusstsein und eigene, zeitweise unterdrückte Freiheitstraditionen voraus, ohne die das politische Gehäuse nur ein Kartenhaus und der temporäre Bürgerprotest nur heiße Luft ist – heiß genug, damit sich Einzelne daran verbrennen, aber nicht wärmend genug, um die totalitären Kälteinseln abzuschmelzen. Frankreich, um ein Musterland des demokratischen Freiheitskampfes zu erwähnen, fällt bei Stress der alten Versuchung des Bonapartismus anheim, der maskierten oder offenen Despotie im Gewand des Freiheitspatriotismus, darauf geeicht, neben dem Zorn der Gelbwesten den zynischen Applaus der Systemgewinnler zu kassieren: eine Rückfallposition, hinter deren speziellem Idol der durchgestrichene, aber die nationale Erinnerung wärmende Sonnenkönig seine göttliche Bahn zieht. Kurios auch die ›gefestigte‹ Demokratie, die dem unauffälligen Zögling eines totalitären, durch den Gang der Geschichte erledigten Projekts die Macht im Staat anvertraut und sich lieber den eigenen Instinkten verschließt als zuzugeben, dass etwas schief läuft – sind nicht alle Institutionen intakt und, bis auf ein paar Belanglosigkeiten, alle Rechte gewahrt? Etwas läuft schief, krächzt Poes Rabe Nevermore, die rechtschaffenen Ornithologen versuchen ihm den Schnabel zu verbinden, aber vergebens –

And his eyes have all the seeming of a demon that is dreaming,
And the lamp-light o'er him streaming throws his shadow on the floor;
And my soul from out that shadow that lies floating on the floor
Shall be lifted – nevermore!

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