von Ulrich Schödlbauer

Zu den Kennzeichen der Massengesellschaft gehört, dass dort, wo jedes Wort politisch wird, die Freiheit – nicht nur des Einzelnen, sondern die bürgerliche Freiheit in toto – erlischt. Das gilt auch dort, wo die revolutionäre Masse der Vergangenheit angehört, weil der Ruchlosigkeit der Regime (oder ihrer Widersacher) Waffenarsenale zur Verfügung stehen, angesichts derer das tapferste Herz … versagt.

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Beispiel Maidan II: Wer dort eine revolutionäre Masse ihr Werk verrichten sah, der hatte sich bereits für eine Partei entschieden. Generell gilt: die Masse ist die Masse – und die Akteure sind die Akteure, ganz nach dem vertrauten Motto: Denn man siehet die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht. Warum auch? Man erfährt ihr Wirken so oder so.

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Die Witterung des Krieges…: Die Deutschen sind folgsame Hysteriker, der Anblick der brennenden Lunte blendet sie, als blickten sie der Wahrheit ins strahlende Auge. So reagieren Leute, die mit der Geschichte nicht fertig sind. Man fragt sich, wieviel Phantomschmerz noch in den heutigen Grenzen steckt, dass sie das deutsche Gemüt so entschlossen beiseite räumt, sobald es sich zuständig wähnt.

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Es hätte mehr politischer Klugheit bedurft, als sie ein Apparatschik, selbst ein aufgeklärter, aufbringen konnte, um mit dem Ende der Sowjetunion auch den Schwarzen Peter Königsberg an die Deutschen zurückzuerstatten. Die entsowjetisierten Russen haben die Kalinin-Groteske auf die Spitze getrieben, als sie dort Raketen stationierten, die sie nicht abfeuern können, ohne das eigene Haus in Brand zu setzen. Heute sind sie es, die um den ›Korridor‹ fürchten.

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Es ist die überall sichtbare Klaue Stalins, die Osteuropa in Bewegung hält.

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Blickt man auf das jahrhundertealte Verhältnis zwischen Deutschen und Russen, dann war es die historische Sendung der Sowjetunion, das Verhältnis Deutschlands zum Westen zu ›bereinigen‹. Doch ist, was dort an Distanz aufgegeben wurde, im Osten nicht einfach angewachsen. Russland ist für die Deutschen ebenso nah wie fern, ein Phantom, mit dem man Geschäfte abschließt, bis man von den Oberen zurückgepfiffen wird, wie es gerade geschieht.

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Was ist ein Klientenstaat? Ein Klientenstaat ist ein Staat, dem man Waffen gibt, damit er einen Krieg auf eigenem Boden führt, den er nicht gewinnen kann, unter Federführung von Kräften, deren Unterschrift sich unter keinem Abkommen findet.

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Neben den Kriegstreibern sind die Kriegsschwätzer das am schwersten erträgliche Beiwerk des Krieges vor der eigenen Haustür. Sie können nichts dafür, haben schon immer alles gesagt und geißeln jeden, der in ihr Blickfeld gerät, ohne das Mundwerk synchron zu bewegen, als Versager, Defätisten, Illusionisten, Verräter und Feigling. »Halt’s Maul!« möchte man rufen, doch das wären zwei Wörter zu viel.

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Bei allem Ungemach, das die Angeprangerten erleiden: Pranger sind populäre Orte. Man lernt dort interessante Leute kennen.

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Nachdem jetzt jede politische Richtung über ihren digitalen Pranger verfügt, sieht man, dass sie sich alle vor dem Gleichen fürchten: Analyse, Recherche, Konsequenz. Die entsprechenden Reizwörter heißen Verleumdung, Fake News und Verschwörungstheorie. Was letztere angeht, so gibt es sie, kein Zweifel: als Rede vom Pranger herab auf alles, was am Pranger steht. Der Pranger gestattet bloß Prangerrede – alles andere wäre verdächtig (wobei der IQ-Verdacht zu den übelsten Angstmachern zählt).

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Das Feld der politischen Erregungen ist eine Scheininsel: bequem zu Fuß zu erreichen, doch fern aller Kausalität. Kalamität statt Kausalität – daran erkennt man den waschechten Insulaner.

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Was das politische Denken der Freiheit des Einzelnen so gefährlich werden lässt: Seine Begriffe entstammen derselben Gedankenreihe wie diejenigen, die dem Selbst seine Festigkeit verleihen. Es macht nur einen radikal anderen Gebrauch von ihnen. Die berühmten Orwellschen Formeln – war is peace, freedom is slavery, ignorance is strength – treten in dem Moment in Kraft, in dem das verhexte Denken den Körper des Einzelnen verlässt und über den Dingen schwebt. Nicht ohne Grund macht in der Politik das krasse Ego das Rennen. Nur wer keine Interessen außer den eigenen kennt, ist gegen den Rausch der scheinbaren Selbstlosigkeit und seine Folgen gefeit.

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Man erzählt, der Gebrauch des Wortes ›System‹ stehe neuerdings im Ruf der Verfassungsfeindlichkeit. Das erinnert an den Titel einer juristischen Dissertation, die mir einst beim Stöbern im Antiquariat der Zufall in die Hand legte: Darf man Vögel zeigen? Man darf, Nachbar, man darf. Sie sind auch gleich wieder weg.

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›Die Angst vor den Folgen macht aus Opfern Leugner.‹ Wer diesen Satz heute auflösen kann, bekommt einen Tusch und ein Freibier extra. Vor allem, wenn er sich rechtzeitig der Parole entsinnt, die alles so kommen ließ, wie es kam: Brav sein und Klappe halten.

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›Wir sind jetzt alle Ukrainer. Die Armen müssen jetzt sehr sehr tapfer sein.‹

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Die Deutschen fürchten sich vor dem chinesischen Bruttoinlandsprodukt und halten die EZB für einen Wohlfahrtsverein. Das sind dieselben Leute, die lauthals die Abschaffung des Verbrenners mit der Begründung fordern: »Ich fahr eh einen SUV.« Im Gegensatz zu Atomraketen finden sie Grippeviren tödlich und gehen in die Babylonische Respirationsgefangenschaft mit dem gefährlichen Mut von Leuten, die ihr Sach’ auf Nichts gestellt haben.

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Was radikale Sprachpolitik bedeutet: Lasst uns gemeinsam LTI durchschmökern und sehen, was wir noch alles anstellen können! Andererseits: Man muss nicht lesen können, um nichts zu verstehen.

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Wer 1984 zu den wenigen Leuten gehörte, der dachte: ›Wie harmlos dieses Buch doch ist! Wie unendlich raffinierter die entfaltete Gegenwart zu Werke geht!‹, der darf heute konstatieren, dass er sich bloß im Regal geirrt hatte. Abteilung Kinder- und Jugendfilm: Hier findet er alles, was Leuten einfällt, die zufällig zu Macht und Einfluss gekommen sind und von früh bis spät die Menschheit im Munde führen.

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Souverän ist, wer expandieren darf, ohne an seine Grenzen zu kommen.

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Wer sich heute hinstellt und sagt: »Der Great Reset ist ein Dingsbums«, der riskiert die Frage: »Und was soll das sein?« Das Erstaunliche am Great Reset ist, dass alle wissen, was damit gemeint ist. Vermutlich haben sie sogar recht. Es könnte sich um die Neuerfindung des Rades handeln, unter einer Bedingung: So langsam wie möglich. Dabei stünde noch eine Frage im Raum: Das linke oder das rechte?

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Die Medien haben das Wort ›Immunsystem‹ jetzt so oft unter die Leute geworfen, dass sie gegen seinen Gebrauch immun sind. Schreibt jemand zum Beispiel ›Das Immunsystem ist gefährdet‹, dann betrachten sie das als Angriff gegen sich selbst und reagieren darauf in aller Schärfe. Das erinnert an die verblichene DDR, in der das Wort ›Sozialismus‹, einmal zu viel gebraucht, die Sicherheitsbehörde um den Verstand und den Delinquenten um seine Freiheit bringen konnte. Glücklicherweise haben die Medien, so sie denn einschlägig sind, weder das eine, noch steht das andere in ihrer Macht. Insofern ist alle Erinnerungsarbeit für die Katz.

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Dass alle Wirklichkeit medial vermittelt wird, hat ein paar schwachbrüstige Theoretiker zu der Ansicht verleitet, alle Realität sei nur Simulation. Das wieder hat gewohnheitsmäßige Simulanten veranlasst, sich selbst und ihre ›Merkmale‹ für wirklicher zu halten als den Rest der Welt. Seither schlägt sich der Rest der Welt auf die Schenkel und brüllt außer sich: »Das kann doch nicht wahr sein!« Auf diese Weise wird wahr, was keine Wahrheit in sich hat.

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In Tabuzeiten ticken die Uhren lauter. Jedes Wort, das gesprochen wird, wird zum Pausenfüller: gewogen und zu leicht befunden. »Sprich lauter«, fordert dein Gegenüber, der nichts versteht. »Versteh schneller«, fordert dein fragender Blick und trifft auf Hochmut, der nichts verzeiht.

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Politik schlafwandelt nicht, sie wandelt unter Schläfern.

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