Die Wörter sagen es: ›Schnüffler‹ riechen den Braten, ›Aufklärer‹ bringen Licht in die Sache. Für den verbindenden Abgrund zwischen beiden Tätigkeiten steht eine dritte Vokabel bereit: ›im Dunkeln tappen‹. Wer im Dunkeln tappt, ist gewöhnlich ›in der Sache‹ keinen Schritt weiter. Das Publikum liebt die Aufklärer und betrachtet den Schnüffler mit einer Mischung aus Besorgnis und Geringschätzung. Man weiß nie genau, auf welcher Fährte er sich gerade befindet. Wer Aufklärer an ihrer Tätigkeit hindern will, bedient sich des Schnüfflers gern. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Ein rechter Schnüffler schnüffelt an allem und ein Verdacht, gleichgültig, ob reell oder nicht, fällt immer dabei ab. Deshalb ist es für alle, die etwas zu verlieren haben, so wichtig, diese Spezies an der Leine zu halten – je kürzer, desto beruhigender.

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›Die Gehirngewaschenen‹ – das klingt wie ein Filmtitel aus den vierziger oder fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. In meiner Jugend war der Ausdruck in aller Munde. Wer ihn heute benützt, erntet Geringschätzung und eine gehörige Portion Misstrauen dazu. Gehirnwäscher sind immer die anderen. Allgegenwärtig ist allein die Gehirnwäsche selbst, sie unterscheidet nach Freund und Feind nach Bedarf, nicht nach Vermögen. Das sind subtile Unterscheidungen, die sich im Kampf verlieren, nicht, weil sie bedeutungslos werden, sondern weil sie sich in wirkliche Kämpfe umsetzen: Man bekämpft den Feind, weil er der Feind ist, nicht, weil man ihn herstellt. Gegner des Krieges legen großen Wert auf das Fabriziertsein des Feindes. Ihre Kritiker finden das abstrakt.

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Man kann ein Land, eine Verfassung, eine Zivilgesellschaft, selbst eine Regierung auch zu Tode schützen. ›Rein logisch‹ bedeutet das keinerlei Schwierigkeit. Dumm dabei nur: Dem Schützer ist diese Logik nicht zugänglich. Schließlich bietet er … Schutz. Steigt die Gefahr, ist ›halt‹ erweiterter Schutz geboten. Mit jedem Schritt in den Sumpf wächst die Einflusssphäre des Schützers. Auch auf diese Weise wird man souverän. Zwar handelt es sich um eine geborgte, der selbstverschuldeten Notlage geschuldete Souveränität, doch Macht bleibt nun einmal Macht. Man nimmt die Mächtigen ernst – darauf läuft alles hinaus. Wirklich ernst wird es daher, sobald im Volk das Ernstnehmen nachlässt. Nicht umsonst stehen Schützer im Selbstschutzmodus im Verdacht der Unberechenbarkeit.

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Ausdrücke wie ›Gehirnwäsche‹ sind Boten aus der Zukunft. Sie eilen den mit ihnen verbundenen Fertigkeiten voraus. Es kommen Grade der Perfektion, die ihr Alltagsgebrauch nicht mehr erlebt. Man kann sich überlegen, ob der Verdrängungsvorgang ein Teil der erfolgreichen Gehirnwäsche ist oder Ausdruck des tiefen Respekts vor dem Teufel, dessen Name in seiner Gegenwart nicht genannt werden darf. Die Ausdrücke scheinen in der Sache aufzugehen. Wie es aussieht, bezeichnen sie gesellschaftliche Projekte im Anfangsstadium, manche kommen ihnen um Dekaden zuvor. Bekommt der politische Gegner das Sagen, verbietet sich der Gebrauch des mot juste von allein: Es ist jetzt Feindgut.

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Man kann Gebäude schützen und Menschen. Die heikelste Aufgabe besteht darin, Projekte zu schützen. Das liegt daran, dass sie in Gedanken zu sterben beginnen – oder bereits vor langer Zeit starben. Wer sie schützen will, muss also in die Gedankenwelt des Gegners eindringen – keine leichte Aufgabe, wenn der Gegner jedermann sein kann. Allein der Gedanke daran, wer alles denkt, ohne dass man hinter die Fassade der Stirn blicken könnte, macht krank. Nur eine kranke Aufklärung will vor Gedanken schützen. Gedanken sind Allgemeingut. Wer sich welcher von ihnen bedient und zu welchen Zwecken, steht auf einem anderen Blatt. Es ist nicht nötig zu wissen, was der andere denkt, wenn man wissen will, was er treibt. Am besten ordnet das Tun von Menschen ein, wer den eigenen Gedanken freien Lauf lässt. Dazu braucht es Kultur. Wer Angst davor hat, sein Gehirn einzuschalten, wie kann der die Gehirne anderer Leute ›durchleuchten‹?

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Eine Verfassung ist kein Projekt. Das erhellt schon der Umstand, dass sie in Geltung ist (oder nicht, dann ist sie eine abgelegte Verfassung und ein Fall für die Geschichtsbücher). Projekte hingegen gelten nicht, sie befinden sich auf dem Weg zur Verwirklichung. Politiker, in denen ein Projekt unumschränkt herrscht, sollten wissen, dass es schon in ihrem nächsten Nachbarn, vielleicht dem, der am eifrigsten bei der Sache ist, möglicherweise nicht existiert, während der hilfreiche Geschäftsfreund es vielleicht innerlich ablehnt und froh wäre, wenn es sich beizeiten in Luft auflöste. Viele Menschen sind dabei, ohne dabei zu sein. Letzteres mag auch für Verfassungen gelten, aber es tangiert ihre Geltung nicht. Entweder man bewegt sich in ihrem Rahmen oder man tut Verbotenes (und wird so zum Fall für die Gerichte).

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War da nicht noch etwas? Das ›unvollendete Projekt der Moderne‹, einst ein Dauerbrenner unter Gebildeten, ist in den Köpfen gestorben. Was nicht bedeutet, dass seine Gedanken nicht frei herumspazierten. Im Gegenteil: Seit sie von der Last professoraler Geschichte befreit sind, kann jedermann über sie verfügen. Sie haben nichts zu bedeuten und nichts zu verlieren. Ihre verbliebene Aufgabe besteht darin, den anderen mundtot zu machen. Den Anderen… Sollte es nicht einmal den Anderen raisonabel machen und ihm damit zu mehr Respekt verhelfen? Dass ein Unvollendetes siegt, bedeutet nichts Gutes. Es hat sich von den Fesseln der Logik befreit und verweigert den Respekt, den es für sich fordert. Die jahrzehntelang zurückgehaltene Auskunft darüber, was denn nun das Unvollendete am Projekt sei außer den sattsam bekannten falschen Versprechungen, die zu Mitteln der Repression wurden, musste irgendwann die Gesetze der Physik und der Gesellung (und in ihrem Gefolge das Wissen der Biologie etc.) zur Aufhebung freigeben.

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Man kann alles wählen, vorausgesetzt, man begreift, dass man damit sein Los zieht.

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Kein Gedanke ist so aufreizend wie ein verbotener. Einen Gedanken muss denken dürfen, wer ihn zurückweisen will.

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In der Mehrzahl der Fälle … wie sagt man? In der Regel verdanken Gedanken, die man aus Menschen herauspresst, ihre Entstehung der Presse. Der Gepresste sagt, was der ›Pressende‹ hören will, und hören will er, wovon er schon einmal gehört hat.

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Seiner Empörung Luft machen ist ein Akt des Stoffwechsels und damit der Hygiene. Kein Verbot kann etwas daran ändern. Machtansprüche sterben im Gewisper. Wenn ›die Mitte der Gesellschaft‹ zu wispern beginnt, ist das politische Spiel verloren. Am Eingang zu jedem Gemeinwesen, das auf sich hält, sollte stehen: Sprich deutlich. Hier sprechen alle.

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Die besten Gedanken sind der Mitwelt noch nicht und der Nachwelt nicht mehr zugänglich. Bestimmt sind sie für die produktiven Köpfe der Zeit.

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