Path of destruction. 2001, 2008, 2015, 2020 – jedesmal trennte sich die Spreu vom Weizen und die Überzeugungen flogen hoch. Jedesmal wurde getrommelt und zurechtgebogen, was sich auf geradem Wege nicht fügen wollte. Jedesmal gingen Freunde verloren, die Freunde fürs Leben schienen, weil sie sich nicht vorstellen wollten … was sie sich vor dem Ernstfall tausendmal vorgestellt hatten. Sie alle haben den test of ridicule nicht bestanden. Wer sich lieber lächerlich macht als auf dem simplen Einmaleins zu beharren, weil irgendeine Art von Kollektivbann darüber verhängt wurde, der lebt bereits in einer anderen Welt, er ist auf irgendeine Weise unerreichbar geworden.

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Wie endet ein Jahrhundert (vom Jahrtausend will ich nicht reden), das so beginnt? Nicht die Täuschungen sind das Erschreckende, sondern ihre Globalität. Eine Menschheit im Griff der masters of the universe, nicht zu begrenzten, auf ein Land oder eine Ländergruppe zugeschnittenen Zwecken, sondern unterwegs zu universaler Herrschaft, die sich, vergleichbar dem physikalischen Universum, vom Größten bis ins Kleinste erstreckt. Nicht, dass sie auf keinen Widerstand stießen, nicht, dass der Widerstand in den Ländern nicht wüchse – die Wahrheit ist, dass ihre Methoden den Widerstand brauchen, um ihre Kraft zu entwickeln, dass sie ihn förmlich, wie eine Serie menschlicher Huldigungen, schlürfen.

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Hannah Arendts Nürnberger Hinweis auf die Banalität des Bösen hat seine Dämonisierung und Verkitschung nicht aufhalten können. Das hat seine Gründe. Man soll die Banalität des Banalen nicht übertreiben. Kein Mensch ist ausschließlich Werkzeug in einer Sache, die über sein Menschsein hinausginge – sei es auch ein Führerbefehl, der sich auf dem Weg in die Niederungen verhundert- und vertausendfacht. Und wäre der Mensch bloß ein Werkzeug, so würde gerade dies ein Wesen aus ihm herauskitzeln, wie es die Welt sonst nicht zu sehen bekommen hätte, eingeschlossen ihn selbst. Genau genommen, handelt es sich um einen Typus. Die Evolution des menschlichen Universums bringt ständig neue Menschentypen hervor. Das liegt in der Natur der Sache, so wie es in der dynamischen Natur des Geldes liegt, von Zeit zu Zeit neue Typen von Geldmenschen zu erschaffen.

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Bleibt die Rede vom Bösen. Was wäre es anderes als der Sündenbock für die Guten? Der Herr der Welt ist eine Figur aus dem Kosmos der Religion, die sich nicht eins zu eins in die Realverhältnisse übertragen lässt. Nur geheimnisumwittert verhilft der Sinn, wie in diesem Fall, zur Existenz. Das Böse existiert und existiert nicht, es existiert, weil es nicht existiert. Ein guter Mensch arbeitet an der Vernichtung seiner Spezies, weil er sich den Bösen in den Grenzen der Spezies denkt. Vielleicht auch nicht den Bösen, sondern ganz allgemein (und unverbindlich): das Böse. Der Gute will das Böse ausrotten, er will das Gute verwirklichen, das wirkt auf ihn und seinesgleichen aphrodisierend. Auch das ist ganz normal.

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Wie soll man eine Welt nennen, die ihre Fassung von der Religion borgt, ohne einen Funken Religiosität in sich zu bergen? So recht weiß das keiner, allein schon deshalb, weil der Verschleiß an Wörtern in ihr ungeheuer ist und jedes Wort sich ausgesprochen ins Gegenteil verkehrt. Man kann – und es ist längst geschehen – eine solche Welt zynisch nennen, doch damit erklärt man das Ganze zu einer Charakterfrage, was zweifellos nicht der Fall ist. Der Mensch, der sich zynisch zu dieser Welt verhält, um das Beste für sich draus zu machen, wird ihr ebenso wenig gerecht wie irgendein Idealist, der zum Esel wird oder zum Mörder. Wie das moderne Schlachtfeld übersteigt sie die intrinsischen Möglichkeiten des Menschseins. Schiller variierend ließe sich sagen: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo seine Psyche versagt.

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Perfekte Geheimhaltung gelingt selten oder nie. Alle Handelnden wissen das und dennoch … handeln sie, als könnten sie nie zur Verantwortung gezogen werden. Wirklich ist Verantwortung in den höheren Etagen der Macht eine rara avis, ein seltener Vogel, dem man rechtzeitig die Flügel gestutzt hat. Irgendwann tauchen die files auf, aus denen hervorgeht, wer wann was gesagt und in Bewegung gesetzt hat, doch die einschlägigen Partien sind geschwärzt, das heißt, ein Jemand, nicht wert, dass die Öffentlichkeit seinen Namen kennt, hat der Wahrheit auf dem Weg ins Licht die Augen ausgestochen. Was sagt die Schwärzung anderes als: ›Hier steht, wer Schuld trägt an dem, was an dieser Stelle geschah‹? Man muss also nur die Schwärzung aufheben, um der Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen. Man muss, wenn man kann. Manche Wahrheiten brauchen länger. Wohl dem, der dann die Bühne geräumt hat. Bis dahin hilft das obligate Verschwörungsgeplärr.

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Apropos … das Schweigen und Finessieren ›großer‹ Medien in Momenten, in denen Schwärzungen gerichtsbedingt fallen – was könnte es anderes bedeuten als ein spätes Eingeständnis der Mitschuld? Einige drängen sich in diese Rolle, als wollten sie nachdrücklich ihren eigenen Anteil am Geschehen reklamieren. Das lässt daran denken, dass auch in Medien Menschen arbeiten, Funktionsmenschen mit Physis und Psyche, vor allem letzterer, die, durch die Ereignisse überrollt, sich leicht am sogenannten Bösen infiziert, denn irgendwo ist Letzteres eine Folge von Akten der Kommunikation. Als Schrift an der Wand hingegen ist es strikt in zwei Richtungen lesbar.

 

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