Niemals werde ich diesen Anblick vergessen: Homomaris, eine starke, vom Alter leicht gebeugte Gestalt, in die Haustür tretend, meine Wenigkeit auf dem kurzen oberen Treppenabsatz erwartend, das dichte, schlohweiße, inzwischen in ein unscheinbareres Grau abgeglittene Haar wie einen Turban ums Haupt tragend – in seinem Fall ist es einmal angemessen, von einem Haupt zu sprechen, dem Haupt eines Sechzehnenders, falls jemand die gesellschaftliche Anspielung versteht: der Platzhirsch hat sich in die Einsamkeit zurückgezogen, er zieht die Gesellschaft der Bücher der Gesellschaft der Menschen vor. Was daran erzwungen, was freiwillig zustande kam, wissen die Götter, soll heißen, die von ihm zur Diskretion vergatterten Hausgötter, denen er täglich ein Schälchen Rizinusöl spendet, um ihre und damit seine Phantasie beweglich zu erhalten. Woraus erhellt, dass Homomaris’ Verhältnis zur Götterwelt durchaus praktischer Natur ist. Jedenfalls besitzt sie eine starke praktische Komponente, wie ich erfuhr, als ich das erste Mal die Tür zu seiner Arbeitsstube durchschritt:
Die Stimme, welche dich belehrt
hast du von Anfang an verehrt
stand da in quasi-amtlicher Letternschrift über dem Türstock. Der Blick des Magiers folgte meinem mit einem leichten Lächeln, als ich die Wörter in mich aufnahm, ohne zu ahnen, welche Sonderwelt sich in dem Wort ›Stimme‹ auftat. Von allen Menschen, deren Bekanntschaft ich jemals machte, hat Homomaris den Kult der Eingebung am weitesten getrieben. Er war und ist von der Auffassung überzeugt, alle Rede beruhe auf Eingebung – und nichts davon auf freier Erfindung –, wobei er die tierische keineswegs ausschließt. Ganz im Gegenteil. Wann immer in seiner Umgebung – oder in der Tiefe des Waldes – ein Tier Laut gibt, glaubt er die Worte eines Dämons zu vernehmen (was nicht ganz richtig ist, da für ihn kein ›Glaube‹ sich zwischen Laut und Wahrnehmung schiebt). Man darf also, ohne sich einer Übertreibung schuldig zu machen, behaupten: Dieser Mensch lebt inmitten einer von Dämonen zerrütteten Welt. Selbst ein Spötter wie ich, hat er einmal die Schwelle seines Hauses überschritten, kann sich dem Sog der alles überflutenden Einbildung nicht entziehen. Habe ich es erwähnt? Das meines Wissens einzige noch existierende Exemplar des homo maris hat es vor Jahren aufgegeben, das Haus zu verlassen. Der alleinige Auslauf, den er sich meines Wissens gestattet, konzentriert sich auf das komplizierte, von meiner Wenigkeit bis heute nicht recht durchschaute Auf und Ab der Treppen. Einmal ging er mit mir auf die Veranda hinaus, die Sonne schien uns breit ins Gesicht, nach ein paar Minuten wurde er unruhig und zog mich zurück in die Schatten der inneren Welt.