Ein wenig Buchstabenkunde: immer und immer wieder hat Homomaris das H gezeichnet und stets hat es die Form eines auseinandertretenden Beinpaars mit ausgestellten Füßen angenommen, zusammengehalten auf Kniehöhe durch einen kräftigen waagrechten Strich: eine Tanzfigur, der Körperlast ledig, die sich – warum es verschweigen? – nicht zuletzt in seiner eigenen physischen Erscheinung eine robuste Manifestation verschafft hat. Überblicke ich die Flut seiner Alterszeichnungen, dann entdecke ich, manchmal bis zur Unkenntlichkeit verästelt und verschlüsselt, wieder und wieder diese ätherische Rune. H, rief er mir einmal zu, H wie Hummel, hast du Hummeln in den Beinen? Meine… – er blickte vielsagend an sich herunter: Ich kann sie nicht einmal mehr sehen. Er lächelte in sich hinein. Kuchen. Ich habe den Tempel meines Leibes aus Kuchen erbaut. H wie Himmel, H wie Herr, H wie Herrlichkeit, wem sage ich das? Nichts davon wollen sie gelten lassen. H wie Hinterfotzigkeit, H wie Hasenfüßigkeit, das ist ihre Welt. Wir wollen uns nicht beirren lassen. Damals beirrte mich dieses majestätische Wir, später verstand ich. In seiner Welt ist das anlautende H der Urlaut des Geistes. Er bedeutet: Sei achtsam und hüte dich vor den Fälschern.

Sie behaupten, Chirico habe seine eigenen Sachen gefälscht. Ich bezweifle das. Ich bezweifle das stark. Weiß du, woran man Fälscher erkennt? Sie sind Malocher. Fälschen ist ein mühsames Geschäft. Ich könnte dir jede Fälschung liefern, die du von mir verlangst. Das ist kein Problem. Mein Bildgedächtnis ist ausgezeichnet. Für die Leute ist das fotografische Gedächtnis das größte. Da staunen sie: Boah! Ich verrate dir etwas. Mein Gedächtnis ist präziser als jede Fotografie. Ich muss auch nicht lange nachschlagen. Was ich gesehen habe, das habe ich gesehen. Ich habe die Bilder hier oben. Aber wenn ich die Feder ansetze … versteh mich recht … dann … dann geschieht etwas. Etwas rührt sich, etwas kommt zum Vorschein, es … verstehst du das? Ich zeichne nicht, ich enthülle. Ich könnte das auch im Dunkeln. Ich brauche kein Licht. Licht ist kein Problem. Hier diese Funzel, was könnte sie mir schon zeigen? Aber sie genügt mir. Sie genügt mir ganz und gar. Glaubst du, ich vertraute ihren Auskünften? Nein… Was geschieht, geschieht anstrengungslos. Sei kein Tüftler! Warum soll ich mich anstrengen, bloß um auszutüfteln, was es irgendwo schon gibt? Oder geben könnte? Wem dient diese Lüge? Natürlich bin ich ein Fälscher. Ich fälsche sie alle. Ich bin sie alle. Ich fälsche, was niemand fälschen kann: mich. Wer bin ich schon? Ein Nichts, ein Niemand.

 

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